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Widerstand tut not

Von Peter Kroh

Das Jahr 2004 ist noch nicht sehr alt. Angesichts der „Reformen“ der Schröder-Regierung ha-ben Millionen Menschen Sorgen und Ängste wie seit langem nicht. Trotz sehr unterschiedli-cher Bedingungen fragen sich Ausbildungswillige und Azubis ; vergeblich Arbeit Suchende und in Unternehmen, Verwaltungen, Universitäten Arbeit Habende ; Studenten, Gymnasias-ten und Senioren derzeit: In was für einer Ordnung leben wir denn ? In welche gesellschaft-lichen Zustände treiben wir? Wohin geht der „Aufschwung“? Was wird mit mir, aus mir ? Es wächst das diffuse Gefühl, in einer kalten Welt , ohne Glück und Freiheit zu leben.

 

Viele suchen nicht nach Antworten , die von „Zwölf bis Mittags“ reichen. Ihnen geht es um Grundsätzliches. Um im bundespolitischen Hick-Hack der sogenannten Steuer-,Gesundheits-, Arbeitsmarkt“reformen“ durchzusehen, muß man sich an Vergangenes erinnern.

 

Ende April 2002 , d.h. knapp fünf Monate vor der letzten Bundestagswahl forderte der Chef des BDI , Herr Rogowski, „mutige Schritte“ beim Umbau der Gesellschaft. Für notwendig hielt er Reduzierungen der Gesetzlichen Krankenversicherung, Heraufsetzung des Rentenal-ters, Absenkung von Arbeitslosen - und Sozialhilfe, Abkehr von Flächentarifverträgen, vom Kündigungsschutz, von der Mitbestimmung. Er forderte die umfassende Einführung von Nie-driglöhnen ebenso wie die Einschränkung der Versicherungspflicht für geringfügig Beschäf-tigte und die spürbare Entlastung der Unternehmen von Steuern. Bei alldem vergaß er nicht, das Ganze als alternativlos darzustellen.

 

Exakt dieses Konzept arbeitet Schröder Punkt für Punkt seit der gewonnenen Wahl ab !

Er hat sich entschieden : für die Intensivierung des neoliberalen Kurses und damit noch schär-fer gegen die Interessen der „kleinen Leute“ ; weg von der Erhaltung des Sozialstaates in der reichen Bundesrepublik des 21.Jahrhunderts und damit noch klarer für die Interessen der Ban-ken und Großkonzerne. In Neujahrsreden gibt es ein paar verbale „Streicheleinheiten“. Kon-kret und praktisch jedoch orientiert er darauf , das die einfachen Menschen ihre Verantwor-tung für die Wohlhabenden wahrnehmen. Solidarität „nach oben“, Asozialität „nach unten“ - das wird zum Markenzeichen der „Standort Deutschland AG“. Vorbei sind die Zeiten, in de-nen ein sozialdemokratischer Bundeskanzler dazu aufrief, mehr Demokratie zu wagen. Schrö-der hat sein soziales Gewissen verloren . Er führt eine Art „Klassenkampf von oben“ .

 

Dazu ist u.a. die Schaffung und Erhaltung falschen Bewußtseins notwendig. Deshalb wird der Verfall öffentlicher Daseinsvorsorge in „Sozialreform“ umgelogen; werden zusätzliche Ko-sten für Versicherte bei zugleich schlechterer Versorgungsqualität zur „Gesundheitsreform“ verfälscht; wird die allmähliche Abschaffung der solidarischen Altersvorsorge bis zur staat-lichen Alimentation unterhalb der Armutsgrenze zur „Rentenreform“ manipuliert; wird die Abmagerung der Arbeitslosenhilfe unters Sozialhilfeniveau als „Arbeitslosengeld Zwo“ fri-siert. Das Ganze gelingt  immer wieder  , weil schon lange der Kapitalist fälschlich „Arbeit-geber“ und der Ausgebeutete „Arbeitnehmer“ genannt werden .

 

Warum dieser enorme Aufwand? Wer lügt, kennt die Wahrheit! Und er fürchtet sie! Die Menschen sollen nichts durchschauen, aber alles mitmachen. Dafür besonders wichtig ist die These von der „Alternativlosigkeit“. Sie soll verhindern, dass glaubwürdig und überzeugend über das Bestehende hinaus gedacht wird. Die Lüge von der Alternativlosigkeit wird genutzt, um für Einschnitte ins Leben von Millionen die millionenfache Akzeptanz der Betroffenen zu erzeugen. „Gelernten Ossis“ ist das im allgemeinen gut bekannt. Stets die Herrschenden be-gründen das Lügengespinst der Alternativlosigkeit. Darin steckte das Elend beim Zugrunde-richten der DDR und darin steckt die Misere der Bundesrepublik. Denn da wie dort wurde und wird durch die Regierenden das Gesellschaftliche entpolitisiert, die Regierten sollen nicht kritisch Beteiligte, sondern folgsame Zuschauer sein. So wird das innere Band jeder Gesell-schaft spröde und brüchig. In der DDR zerbrach es, die Gesellschaft implodierte. Keiner kannte Datum oder Art und Weise, aber der Prozess war lange vor dem Ende sichtbar. Wer mit offenen Augen ins Jahr 2004 gegangen ist, weiß um die Erosion des gesellschaftlichen Zusammenhalts in der Bundesrepublik Deutschland. Keiner kennt den Verlauf der weiteren sozialen Polarisierung in der Zukunft, aber der Prozess ist seit langem sichtbar....

 

Der von Schröder praktizierte Sozialabbau ist jedoch kein über uns gekommener alternativ-loser Sachzwang, sondern bewusst gewollte politische Entscheidung ! Politik ist nie alterna-tivlos, sie lebt geradezu davon, dass unterschiedliche politische Kräfte alternative Vorschläge zur Lösung von Problemen machen. Dass das gegenwärtig bei der übergroßen Koalition der sozialen Kälte von SPDCDUCSUFDPBÜ90/Grü nicht der Fall ist , verursacht ganz wesent-lich die scheinheilig von denselben Akteuren beklagte Politikverdrossenheit. Zu dieser  Koa-lition gibt es vorerst keine parlamentarische Alternative mehr ! Die CDU/ CSU hat ,nach ei-nem Wort von Nell-Breuning, ihr Christentum schon lange ausgeschwitzt hat. Und in der SPD unter Schröder sind die Werte von Bebel, Luxemburg und Liebknecht verdunstet. Die Kanzler Schröder und Bismarck werden sich in einem immer ähnlicher: Sozialsysteme werden refor-miert, auf daß die Sozialdemokratie immer weniger Wähler bekommt.

 

Macht ist gleichwohl nie absolut und total ! Auch der mächtigste Herrscher bleibt stets mit ei-nem Restchen Ohnmacht gefesselt an ein Restchen Macht der (scheinbar oder momentan tat-sächlich ) ohnmächtig Beherrschten. Denn für Regierende ist der zivilgesellschaftliche Unmut verbunden mit dem Gefühl der Solidarität („wir hier unten“ müssen uns nicht alles von „Euch da oben“ gefallen lassen, denn „Wir sind das Volk!“) schwer zu kalkulieren. Jeder kann alko-holfreies Bier oder koffeinfreien Kaffee akzeptieren oder auch nicht. Niemand aber muß eine von sozialen Kompetenzen freie Regierung gutheißen.

 

So gesehen muss nun die Überschrift präzisiert werden: Widerstand tut nicht nur not, er wen-det auch Not, d.h. er ist notwendig. Protest ist, wenn ich deutlich sage, das und das ist nicht richtig. Widerstand ist, wenn ich mich dafür engagiere, dass das, was nicht richtig ist, nicht länger geschieht.

Widerstand kann darin zutage treten, die Begriffe richtig und so das System bloß zu stellen.  Denn : Wenn Forderungen nach korrekter Bezeichnung der vorhandenen Zustände – z.B. Pro-fitmaximierung zugunsten Weniger tatsächlich Ausbeutung auf Kosten Vieler zu nennen oder in der Beseitigung menschenunwürdiger Ungerechtigkeiten Schritte zu mehr Gerechtigkeit zu sehen  – als gesellschaftsgefährdend bewertet werden, dann steht es schlecht ums System und sein Charakter tritt als veränderungsbedürftig offen zutage.

Widerstand kann auch als Fortsetzung solche Demos wie am 1.11. 2003 in Berlin zutage tre-ten . Denn :Sie entkräftete greifbar sowohl die Lüge von der Politikverdrossenheit als auch die Lüge von der Alternativlosigkeit. Bei der einen handelt es sich in Wahrheit um Verdruß an dieser Politik und diesen Politikern . Und die andere haben zahlreiche attac-oder Gewerk-schaftsmitglieder und anderen Demonstranten mit ihren realistischen Alternativen zerpflückt.

Daraus kann man neuen Mut schöpfen , sich erneut den Auffassungen von Jesus Christus und / oder den Standpunkten von Karl Marx zuzuwenden. Für Jesus waren Zeit seines Lebens die Armen wichtiger als die Herrschenden und Wohlhabenden. Unmißverständlich zeigt das seine Auffassung, Reiche kommen genauso glatt und schnell in den Himmel , wie ein Kamel durchs Nadelöhr flutscht. Karl Marx ging es mit Sicherheit  um die Rettung des Menschen vor kapi-talistischer Entfremdung ,Zerstörung und Entmenschlichung.

Eine dem Menschen und nicht dem Mammon verpflichtete Politik wäre dann nicht mehr nur die Kunst des Möglichen, sondern eher die  Kunst der Ermöglichung des Not-Wendigen.  

Der Mensch, schrieb Camus, ist das einzige Geschöpf, das sich weigern kann zu sein, was es ist. Das ist eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, dass ein Mensch gegen seine Lebens-umstände rebellieren, ja revolutionär handeln kann.

Was also tun ? Wie weiter ? 1.Aussprechen, was ist ! 2.Begründen, was sein soll ! 3. Tun, was dafür erforderlich ist ! Widerstand tut not. Widerstand wendet Not.