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HARTZ IV und die -MV

 

ein Brief ,

mehrere Antworten

und

fünf Anhänge

 

 

 

 

-        Ein kleines Lehrstück vom Sommer 2004 –

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

von Peter Kroh                                                         Neubrandenburg, im September 2004


Am 25.6.2004 erfuhr ich in einer Beratung der PDS, in Mecklenburg-Vorpommern solle Hel-mut Holter (PDS) für die Umsetzung von Hartz IV zuständig sein. Nach anfänglicher „Weige-rung“ habe er sich – aufgrund von Argumenten aus Vereinen und Verbänden – dazu bereit er-klärt.

In der gleichen Beratung wurde die Europa- und Kommunalwahl ausgewertet und unter an-derem die positive Wirkung der Kampagne des PDS-Landesvorstandes „Von 331 Euro kann man nicht leben!“ hervorgehoben.

 

In der Beratung benannte ich das als einen Widerspruch und äußerte meine Befürchtung, in absehbarer Zeit werde die PDS mit Hartz IV identifiziert, wenn einer ihrer Minister dafür zu-ständig ist.

 

Ich erhielt daraufhin u.a. die Information, der PDS-Landesvorstand bzw. der Landesvorsitzen-de, Peter Ritter, habe einen Brief an MP Ringstorff und SPD-MV-Chef Backhaus geschrie-ben, in dem beide gebeten werden, mit der Umsetzung von Hartz IV keinen PDS-Minister zu beauftragen.

 

Am Sonnabend, den 26.6.2004 saß ich zu Hause und wurde mit diesen Informationen nicht fertig. Ich hatte zum einen eine Ahnung, was da auf Menschen zukommt, weil einer meiner Freunde von Hartz IV direkt betroffen ist und wir beide schon einmal, als die Pläne erstmals veröffentlicht wurden, die Konsequenzen für ihn und seine Familie „durchgespielt“ hatten. Zum anderen waren mir deswegen auch die grundsätzlichen sozialen Folgen dieses Sozialkahl-schlags in Umrissen klar. Zudem erinnerte ich mich an zwei Papiere, die ich im Januar 2003 angefertigt hatte, als es mit der „Hartzerei“ begann. Und ich erinnerte mich, dass sich damals nur ganz wenige dafür interessierten.[1]

 

Nach langem Hin- und Hersinnen rang ich mich letztlich dazu durch, an den Minister einen Brief zu schreiben. Das Formulieren kostete mich die zweite Hälfte des Sonnabends.

Am Sonntag, eine Nacht drüber geschlafen, prüfte ich den Brief erneut, fand ihn immer noch richtig und schickte ihn per e-mail ab. Ich wollte, dass der Minister am Montag früh den Text hat , um rechtzeitig reagieren zu können.

 

 

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Die e-mail, gesendet To: poststelle@am.mv-regierung.de / mit Cc: helfried.liebsch@am.mv-regierung.de / Sent: Sunday, June 27, 2004 10:44 AM hatte folgenden Wortlaut:

 

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

bitte geben Sie den angehängten Brief unverzüglich an Herrn Minister Holter weiter. Ich schicke ihn heute, am Sonntag, den 27.6. vorab, damit der Minister rechtzeitig informiert ist und werde ihn morgen auf normalem postalischen Wege abschicken.

Ich bedanke mich für Ihre Unterstützung

Mit freundlichen Grüßen

Peter Kroh

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Der angehängte Brief an den Minister hatte folgenden Wortlaut:

 

Dr. phil. habil.Peter Kroh

Rotbuchenring 23

Tel/Fax ( 0395 ) 368 55 64

e-mail: kroh.peter@freenet.de

17033 Neubrandenburg                                                        27.06.2004

 

Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung

Herrn Helmut Holter

Schlossstraße 6-8

19053 Schwerin

 

Sehr geehrter Genosse Minister, lieber Helmut,

 

als parteiloser PDS-Sympathisant schreibe ich Dir diesen Brief zum einen, weil mir Fragen nach dem Tun und Lassen der PDS-Minister gestellt werden, die ich nicht alle beantworten kann.

Zum anderen schreibe ich diesen Brief aus tiefer Sorge und aus einem Mit-Verantwortungsgefühl mit dem Ziel, auf einen eklatanten Widerspruch aufmerksam zu machen, daran 5 Fragen zu knüpfen und so (hoffentlich) eine Fehlentscheidung verhindern bzw. korrigieren zu können.

 

Der Widerspruch:

Am Kabinettstisch der Regierung in Mecklenburg-Vorpommern hat es die Entscheidung gegeben, Hel-mut Holter wird der verantwortliche Minister für die Umsetzung von Hartz IV in unserem Bundesland . Nach anfänglicher Weigerung des PDS-Ministers hat er am Ende seine Zustimmung dazu gegeben. So wird ein PDS-Mitglied also verantwortlich sein, dass alle vom so genannten Arbeitslosengeld II in M-V Betroffenen das Verarmungs- und Armutsgeld von 331 € pünktlich ausgezahlt bekommen.

 

Zur gleichen Zeit führt der PDS-Landesvorstand M-V eine berechtigte und im jüngsten Kommunal-wahlkampf schon erfolgreiche Kampagne gegen die marktradikale Neuordnung (d.h. Zerschlagung) des Sozialrechts unter dem Thema: „Von 331 € kann man nicht leben“.

 

Die Fragen:

Will also das PDS-Mitglied Holter als Minister letztlich verantwortlich dafür zeichnen, dass viele tau-send Menschen in M-V mit einer ungerechten Rechtsverordnung in die Armut gestoßen werden und so mithelfen, dass die in der Bevölkerung nicht mehrheitsfähige Agenda 2010 weiter realisiert wird ?

 

Müssen (und werden!) das nicht Betroffene, ihre Partner, Freunde und Kinder sowie zigtausend Men-schen mit ganz normalem Gerechtigkeitsgefühl als zynisch, machtversessen und machtvergesssen bewerten ? [Auf die Frage „Haben Sie den Eindruck, der Bundesregierung liegt die soziale Gerech-tigkeit am Herzen?“ antworteten in einer repräsentativen Befragung im Frühjahr 2003 63 % der Be-fragten mit „NEIN“. Im Frühjahr 2004 waren es 73%]

 

Wäre es nicht an der Zeit, dass Du, lieber Helmut, aus Deiner unmißverständlichen, berechtigten und mehrfach laut geäußerten Kritik an Hartz IV die demokratisch-sozialistische und verantwortungsbe-wußte Konsequenz ziehst : „Diese sozialpolitische Schweinerei ist mit mir nicht zu machen! Bei die-sem radikalen Verelendungsprogramm für Millionen Menschen in der ganzen Bundesrepublik ist für mich das ‘Ende der Fahnenstange‘ erreicht. Aus Gewissengründen verweigere ich mich dieser politi-schen Entscheidung “ ?

 

Würde eine solche Haltung, öffentlich gemacht, nicht eher helfen, dem verbreiteten Verdruß in der Be-völkerung Ziel und Richtung zu geben und das Gesetz zu kippen als den tatsächlichen Rücktritt des Ministers auszulösen ? Wo doch gegenwärtig weder die Finanzierung noch die Verwaltung dieses An-schlags auf das Lebensniveau vieler Frauen, Männer und Kinder gesichert ist, das Gesetz selbst unter (nicht betroffenen) Experten umstritten ist, die Kirchen mahnend-kritische Worte finden und sogar namhafte CDU-Politiker ( aus nachvollziehbaren wahlkampf-taktischen Gründen) Bauchgrimmen ob der sozialpolitischen Folgewirkungen haben .

 

Können wir als Linke, als demokratisch und sozialistisch Denkende und Fühlende mithelfen, dass zigtausend ohnehin schon sozial benachteiligte  Menschen in MV noch weiter gedemütigt, noch mehr be-schämt und noch stärker drangsaliert werden und so zugleich die gigantischen Profite der sowie so schon reichlich Vermögenden weiterhin gesichert werden ? Oder müssen wir uns dem verweigern? 

 

Sehr geehrter Herr Minister, lieber Helmut,

an einer raschen und ehrlichen Antwort bin ich sehr nachhaltig interessiert.

 

Ich hoffe, in dieser Frage ist das letzte Wort noch nicht gesprochen und ich glaube, es ist absehbar, dass dieses Thema auch in der Öffentlichkeit noch nicht „abgehakt“ ist.

Gegebenenfalls werde ich mich, nachdem Du sicherlich in der gerade begonnenen Woche meine Fragen beantworten kannst , an der weiteren öffentlichen Diskussion beteiligen.

Bitte versteh das nicht als Drohgebärde, sondern als Ausdruck meines Bemühens eine falsche und  - wie ich glaube – für die PDS nachteilige und schädliche Entscheidung doch noch zu verhindern.

 

Mit freundlichen Grüßen und in Verbundenheit

 

Peter Kroh

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Bis zum 4.7. 2004 kam keine Antwort.

 

Deshalb sandte ich nun eine mail an PDS-Adressen, die ich in meinem PC zu Hause hatte.

Die e-mail, [Sent: Sunday, July 04, 2004 10:47 AM To] Alexa Wien ; Gerd Walther ; Sahra Wagen-knecht ; Jürgen Tremper ; Beate Thieme ; Jasmin Stein ; Ilja Seifert ; Birgit Schwebs ; Gabi Schulz ; Karin Schmidt ; Peter Ritter ; Friedemann Reinhold ; Karsten Neumann ; Dr. Detlef Nakath ; Cati Muth ;Hans Modrow ; Heidemarie Lüth ; Regine Lück ; Gesine Loetzsch ; Ma-rianne Linke ; Rolf Kutzmutz ; Regine Kroh ; Beate Kroh ; Torsten Koplin ; Bernd Ihme ; Hans Peter Heuwold ; Rene Heilig ; Angelika Haas ; Angelika Gramkow ; Wolfgang Gehrcke ; Trau-del Felfe ; Herbert Doberenz ; Martina Bunge ; Karin Breitenfeldt ; Steffen Bockhahn ; Andreas Bluhm ; Lothar Bisky ; Gerhard Bartels ; Regina Bärens /  lautete so:

 

Liebe Genossinen, liebe Genossen, Freunde und Sympathisanten,

ich möchte Euch alle darüber informieren, dass ich am 27.6.2004 (vorab per e-mail) einen Brief an Minister Helmut Holter zum Thema Hartz IV schickte, um auf einen Widerspruch aufmerksam zu ma-chen und fünf Fragen dazu zu stellen. Ich hoffte , so eine Fehlentscheidung verhindern bzw. korrigie-ren zu können. [Im Anhang ist der Brief nachlesbar].

 

Bis heute erhielt ich keine Antwort. Deshalb möchte ich hiermit versuchen, eine öffentliche Diskussion auszulösen, denn die Sache ist (mir) zu ernst, als dass sie mit Aussitzen, einem drüber Hinweggehen oder anderen Formen der Nichtbeachtung zu lösen wäre.

 

Ich habe nun meinen "Schriebs" als Offenen Brief an Helmut Holter an die Presse gegeben , in der Hoffnung die öffentliche Diskussion mit zu befördern. Euch bitte ich, sofern ihr mit meiner Sicht der Dinge übereinstimmt, die Argumente und Fragen für Eure Aktivitäten gegen Hartz IV zu nutzen.

 

Was bewegt mich dabei?

1.) allgemein möchte ich festhalten und erinnern:

 

- die Schröder-Regierung erfüllt kontinuierlich die Vorgaben der Industrie zum Schaden der abhängig Beschäftigten (besonders erhellend das kürzliche Schulterklopfen von BDI-Chef Rogowski im Palast der Republik "Sie sind auf dem richtigem Weg, Herr Bundeskanzler , halten Sie durch auch gegen Widerstände aus den eigenen Reihen!") ;

- Hartz IV (durch die übergroße Parteienkoalition von SPDCDUFDPCSUBü9oGRÜ zum 1.Januar 2005 in Kraft gesetzt ) schafft eine Situation, in der die politischen und sozialen Folgen dieser Politik der nächsten (CDU-) Bundesregierung wie reife Früchte in den Schoß fallen, weswegen jetzt, heute, lange vor dem 1.1.2005 Widerstand not tut und Umkehr zu organisieren ist ;

- es gibt aufsehenerregende Bedenken von Juristen und Datenschützern, dass Hartz IV gegen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verstößt und die dazu derzeit entwickelten 15-seitigen Fragebögen datenschutzrechtliche Grundsätze prinzipiell zerstören ;

- Sozialraub auf Kosten großer Teile der Bevölkerung beschädigt die Zukunftsfähigkeit und –chancen vieler Menschen und des Landes ;

- die radikale Verschlechterung der Lebensumstände von Millionen Menschen und die Zerschlagung des Sozialstaates - das wird uns als "notwendige Reform" verkauft , würden die abhängig Beschäftig-ten in gleicher Weise die Erhöhung von Tarifen und die Ausweitung von Mitbestimmungsrechten for-dern – dann wäre sofort vom "Klassenkampf der Roten" die Rede;

- die Äußerungen verantwortlicher Bundespolitiker zeichnen sich durch eine Wirklichkeitsblindheit und Realitätsabstinenz aus, die mich in manchem an die Endphase der DDR erinnert ;

- Hartz IV bewirkt zwei Zustände mit Gewißheit: die Bereinigung der Arbeitslosenstatistik und die dem Kapital nützliche weitere Verbilligung der Ware Arbeitskraft ;

- wo es angeblich keine Alternativen gibt, findet keine Politik statt, sondern nur noch bürokratisches Verwalten ohne Beachtung der Betroffenen, denn Politik ist immer ein Streit der politischen Akteure um alternative Lösungen für anstehende Probleme.

 

2.) im einzelnen ist m.E. heute schon erkennbar und zu bedenken:

 

- Hartz IV schafft auf einen Schlag mindestens eine Million Sozialhilfeempfänger und das künftige Ar-beitslosengeld II liegt unter dem Niveau der heutigen Sozialhilfe;

- Zigtausende von Familien, in denen derzeit einer der Partner arbeitslos ist, werden gezwungen, ihre angesparten Lebensversicherungen zu kündigen, ihre Grundstücke und evtl. Autos zu verkaufen, nach Untervermietungsmöglichkeiten im eigenen Wohnraum zu suchen;

- durch die Anrechnung des Partnereinkommens und des Vermögens wird es für die Betroffenen un-möglich , auch nur geringste Rücklagen gegen eine Verarmung zu bilden bzw. es entsteht die Not-wendigkeit alle, aber auch wirkliche alle, bisher gebildeten Rücklagen aufzuzehren, ehe überhaupt ein Antrag auf Arbeitslosengeld II gestellt werden kann ;

- von 331 € im Osten und 345 € im Westen kann niemand leben, selbst wenn er einen Mietzuschuß und eine Energiekostenpauschale erhält

- der umfangreiche Kürzungskatalog von Hartz IV ( z.B. Nichtmelden auf dem Amt oder Versäumen eines angeordneten Arzttermins bringen 3 Monate lang ein Minus von 10 %, ein Vorstellungsgespräch in unangemessener Kleidung zieht für 3 Monate eine 30%ige Kürzung nach sich usw., hinzu kommt: alle Kürzungen sind addierbar ) dient vor allem der Verbesserung der Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit und führt zur Verarmung, Verelendung und Demütigung der betroffenen Frauen, Männer und Kinder ;

- zumutbar ist künftig ausnahmslos jede Arbeit, gegebenenfalls auch ohne Entgelt, verweigert das der Betreffende tritt der Kürzungskatalog in Kraft;

- wer das Arbeitslosengeld II beantragt, muß (alle 6 Monate) eine "Eingliederungsvereinbarung" unter-schreiben, darin steht, wie häufig er in dieser Zeit Anstrengungen unternehmen muß,um im 1.Arbeits-markt unterzukommen und in welcher Form er diese Anstrengungen nachzuweisen hat;

- mit Sicherheit wird Hartz nicht die Arbeitslosigkeit bekämpfen, sondern die Arbeitslosen;

- mit großer Wahrscheinlichkeit wird es zu einem Anstieg psychischer Erkrankungen kommen, auch zunehmende Kriminalität (vor allem unter Jugendlichen mit schlechten Berufschancen) kann man vorausahnen , Obdachlosigkeit wird ganz gewiß ansteigen;

- Hartz IV verschlechtert nachhaltig auch die Situation der Beschäftigten, denn wenn Arbeitslose in der o.a. geführten Weise schikaniert werden, wird es für die so genannten Arbeitgeber leichter, den Nie-driglohnsektor zu vergrößern, die Arbeitszeit zu verlängern , Urlaubstage zu kürzen , den weiteren Verzicht auf Urlaubs- und/oder Weihnachtsgeld durchzusetzen, Kündigungsregelungen zu Ungunsten der Beschäftigten zu ändern und überhaupt Rechte der Gewerkschaften oder der Betriebsräte zu eli-minieren.

 

In der Summe heißt das, Hartz IV ist der Weg in tiefere soziale Spaltung der Gesellschaft, zu mas-senhafter Not und Verarmung. Hartz IV ist keine Reform des Arbeitsmarktes, sondern ein scharfer Im-puls für eine grundgesetzwidrige, qualitative Veränderung der Bundesrepublik . Hartz IV ist eine aktu-elle Erscheinungsform des Klassenkampfes von oben.

Diesen Weg darf die PDS nicht mitverantworten.

Eine andere Gesellschaft ist möglich. Dafür ist Protest und Widerstand notwendig. Protest ist, wenn ich deutlich sage, was nicht richtig ist. Widerstand ist, wenn ich mich dafür engagiere, dass das, was nicht richtig ist, nicht länger geschieht.

 

Was also tun ? Wie weiter ? 1.Aussprechen, was ist ! 2.Begründen, was sein soll ! 3. Tun, was dafür erforderlich ist ! Widerstand tut not. Widerstand wendet Not.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Kroh

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Am nächsten Tag sendete ich diese mail und den angehängten Brief noch an Adressen, die ich in meinem Arbeits-PC gespeichert hatte. Das waren: Peter Barthelt, Daniel Bartsch, Benno Bechtel, Jörg Böhm, Barbara Borchardt, Jan Borgwardt, Dolores Brunzendorf, Carola Daum, Christiane David, Wolfgang Dietrich, Martin Eilers, Günter Emmaus, Bodo Frenzel, Bernd Fuhrmann, Klaus Gebauer, Peter Grottian, Rolf Kadgien, Jürgen Kalkbrenner, Renate Klopsch, Dieter Kowalick, Wolfgang Münchow, Paul Nickel, Rudi Otterstein, Ursel Pientka,, Jeannine Rösler, Andre Sandmann, Birgit Scherer, Petra Schmelzer, Andreas Schmidt, Marion Wiedenhöft, Gerd-Erich Neumann, Fritz Klinger, Stefan Höse, Peter Krautz, Manfred Bewersdorf, Jochen Lansky , Wilfried Schumacher; Eberhard Schmiedel;  Hedi Manfred Herbst; Werner Heise; Marianne Heide; Jürgen Hahn; Roswitha Erdmann; Lutz Albrecht;
Manfred Bewersdorf;

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Es dauerte nicht lange und die ersten Antworten trafen ein.

 

Karsten Neumann schrieb: Unter dem BetreffRe: Hartz IV - Rücktritt Holter“ erhielt ich unter dem Datum Monday, July 05, 2004 8:38 AM folgende Antwort:

 

Lieber Peter,

ich gehe mal davon aus, Du willst als parteiloser Sympathisant auch Antworten auf Deinen Brief. Ich will es aber kurz halten.

Deine Ausgangsthese: "So wird ein PDS-Mitglied also verantwortlich sein, dass alle vom so genann-ten Arbeitslosengeld II in M-V Betroffenen das Verarmungs- und Armutsgeld von 331 € pünktlich aus-gezahlt bekommen." stimmt - H. Holter wird den Versuch unternehmen, wenigstens das Wenige zu si-chern, was übrig geblieben ist. Genauso wie viele PDS-Mitglieder im und zwischen Wahlkämpfen mit Rat und Hilfe den Schwächsten zu ihrem Recht verhelfen, so beschissen das auch ist, und das seit 14 Jahren.

Deine Schlußfolgerung: demonstrativer Rücktritt Holters: "Würde eine solche Haltung, öffentlich ge-macht, nicht eher helfen, dem verbreiteten Verdruß in der Bevölkerung Ziel und Richtung zu geben und das Gesetz zu kippen ... ?" Das glaubst Du doch nicht im Ernst! Nach zwei Tagen wäre das öf-fentliche Interesse an diesem Schritt vorbei und kein Gesetz würde daran fallen. Ein neuer PDS-Mi-nister müßte her und es versuchen besser zu machen, oder die SPD bekommt das Ressort – wahr-scheinlich der Wirtschaftsminister - oder die Koalition wird beendet und die PDS durch die CDU aus-getauscht. Das sind die Alternativen - für ein besseres Gewissen? Welches Ziel und welche Richtung soll denn der Verdruß bekommen? In vorgezogenen Wahlen Merkel zum Kanzler machen und dann wird alles besser? Oder 50%+ für PDS - unabhängig von der Frage, ob es dann besser würde?

Diese Fragen müßtest Du mir schon beantworten.

Mit freundlichen Grüßen
MdL Karsten Neumann rechts- und europapolitischer Sprecher PDS-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern
stellv. Vorsitzender des Rechts- und Europaausschusses /stellv. Mitglied des Ausschuss der Regionen

Lennéstr. 1, 19053 Schwerin / Tel.: 0385-525 2500 /Fax.: 0385-525 4 2529
mail.: k.neumann@pds.landtag-mv.de / PDS-Landtagsfraktion

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Klare Fragen soll man versuchen, halbwegs klar zu beantworten. Ich mailte ( 05.07. 21.32h) zurück:

 

Lieber Karsten,

danke , dass Du so rasch auf meine mail geantwortet hast. So sind wir zwei schon ein Teil der von mir für wichtig und richtig gehaltenen Diskussion über die Frage "Wie halten wir's mit Hartz IV?

Laß mich auf einige Deiner Argumente eingehen.

Wir stimmen sehr überein, was den Rat und Hilfe für die Schwächsten betrifft. Torsten als Abgeordne-ter und sein WKB sind in NB und NZ Teil davon. Die Tatsache, dass mir dabei seit Jahren viele be-schissene Lebenssituationen bekannt wurden und unternommene Hilfs- und Rat-Aktionen mal erfolg-reich, mal erfolglos waren - das ist auch ein Grund mit, warum ich Fragen habe, auf die ich keine Ant-wort weiß, .... aber brauche!

Hinzu kommt, dass ich durch ein ziemlich genaues Verfolgen der Hartz-Gesetze seit langem ziemlich genau weiß (auch wenn das in Deinen Ohren vielleicht überheblich klingt, es ist einfach so, sorry ), was hier passieren wird. Mir macht das aus sozialpolitischen Erwägungen Angst und aus privaten Gründen Sorge.

Es geht mit Hartz IV nicht nur um ein weiteres Gesetz , das zu den vielen anderen beschissenenen dieser Regierung hinzu kommt ! (Nebensatz: In meinem WKB-PC habe ich ein Papier vom Januar 2003 zu Hartz , dass ich damals auch verschickte, ohne je auch nur eine Antwort zu erhalten. Ich werde es Dir morgen ohne weiteres Anschreiben einfach so zusenden.)

Nun zu den Nichtübereinstimmungen.

* Ich fordere keinen "demonstrativen Rücktritt" von Helmut.

Ich bin für PDS-Landräte, -Bürgermeister und -Minister ! Sie sind auch mit meiner Wählerstimme (und der meiner Verwandten, Kinder und vieler Freunde ) in ihrem Ämtern ! Ich bin aber auch für Antworten auf Fragen, die nicht nur mir auf der Seele brennen.

Und in der Politik gibt es immer eine Alternative, sonst gibt's bekanntlich keine Politik. Wir sollten nicht drauf reinfallen, wenn aus ganz bestimmten Gründen ganz bestimmte Leute immer aufs Neue die Leier von der Alternativlosigkeit herbeten.

PDS-Politik ist doch nicht ohne Prinzipien, ohne Werte, ohne Ziele, ohne Interessen einer ganz bestimmten Klientel denk- und machbar.

Und nun habe ich gefragt (nicht zuletzt, weil auch ich als Wahlkreismitarbeiter gefragt werde), wie und ob Hartz IV von uns (mit)verantwortet werden kann. Ich glaube , Helmut Holter hat sich auch diese Frage gestellt, denn er hat das Gesetz in seinem Entstehungsprozeß mehrfach deutlich kritisiert und er war wohl - wie ich gehört habe - im Kabinett auch nicht von Anfang an dazu bereit , in MV dafür da-für die Verantwortung zu übernehmen.

* Spaß hatte ich mit meinem Brief an Helmut und auch mit der mail nicht im Sinn. Insofern war (und ist) es mir mit meiner Frage Ernst, ob ein Statement, in etwa derart : diese sozialpolitische Schweine-rei ist mit mir nicht zu machen, verbunden mit der Aufforderung, dass Hartz IV entweder Chefsache des MP oder (weil ja auch Kommunen zuständig sind) des IM zu sein hat, nicht ein breites Echo bei all denen finden würde, die

- von der SPD schon enttäuscht sind;

- nicht mehr wählen gehen, weil sie bei keiner Partei (!) eine Politik in ihrem Interesse sehen;

- bei attac oder anderswo nach Alternativen zur neoliberalen Zerschlagung des Sozialstaates suchen;

- eine neue Bewegung/Partei (?) links von der SPD initiieren;

- in Gewerkschaften, unter Juristen und Datenschützern laut und öffentlich an der Rechtmäßigkeit von Hartz IV zweifeln;

- in zahlreichen Organisationen gegen das konkrete Unrecht kämpfen, dass so viele Ostdeutsche in ihrer Lebensführung belastet (ich denke an solche, wie deinen Vater im Arbeitslosenverband oder auch die GBM, ISOR u.ä.) ?

Wenn das mit der Kampagne der PDS "Von 331 € kann man nicht leben" verbunden würde und diese Kampagne vielleicht bundesweit geführt und noch erweitert würde zu einer thematischen "Aufklä-rungs" - Kampagne [ z.B. "Das Arbeitslosengeld für die Armen muss gesenkt werden, weil die Steuern für die Reichen gesenkt wurden" (oder so ähnlich!)] - dann halte ich das Gesetz für aushebelbar, auch angesichts der Demos im letzten Jahr.

Dass Du Das als Antwort auf Deine Fragen verstehst, wage ich zu hoffen. Gewiß bleibt auch noch manches offen, aber das liegt ja im Wesen des Problems. Es wäre schon ein Erfolg, wenn wir insge-samt so (oder so ähnlich wie wir) diskutieren würden, möglichst sachlich, d.h. auf die Sache (nicht auf die Person) bezogen, ohne Unterstellungen und Vor-Verurteilungen und möglichst nahe dran, an dem Satz / an dem Text, den der andere tatsächlich gesagt/geschrieben hat (und nicht, was ich hineinge-hört / hineingelesen habe)

Mit freundlichen Grüßen

Peter Kroh

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Auch der PDS-Bundesgeschäftsführer antwortete. Seine Meinung ( gesendet Monday, July 05, 2004 8:52 AM)  formulierte er wie folgt:

 

Lieber Genosse Kroh, durch die breite Verteilung Deines Schreibens an Helmut Holter habe ich es auch zur Kenntnis nehmen dürfen.

Die Antwort für Helmut kann und will ich nicht geben. Und eigentlich - so lese ich Dein Schreiben - ist auch nur eine zugelassen: Helmut Holter erklärt öffentlich, dass er diese Politik nicht verantworten kann und will und deshalb sein Amt niederlegt - oder? Gut - das ist sicher eine Lösung.

Nebenbei könnte man die leidige Regierungsbeteiligung "entsorgen". Mir kommt eine Frage in den Sinn: Was wird eigentlich mit den Landräten, mit den Bürgermeistern der PDS?

Wir sollten schon konsequent sein!

Rolf Kutzmutz       Bundesgeschäftsführer

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Das forderte natürlich geradezu heraus, einzelne Mißverständnisse aufzuklären. Deshalb mailte ich (Monday, July 05, 2004 8:38 PM) wie folgt:

 

Lieber Genosse Kutzmutz,

danke , dass Du so rasch auf meine mail geantwortet hast. So sind wir zwei schon ein Teil der von mir für wichtig und richtig gehaltenen Diskussion über die Frage "Wie halten wir's mit Hartz IV?

Laß mich auf einige Deiner Argumente eingehen.

* "Breite Verteilung" monierst Du ein wenig. Ich habe an Helmut Holter zuerst ganz individuell ge-schrieben, sozusagen vom Bürger zum Minister. Erst als nach einer Woche keine Antwort da war, suchte ich die (PDS-) Öffentlichkeit.

* "Amt niederlegen" ist durchaus nicht die von mir gewünschte oder gar "zugelassene" Lösung und ei-ne "Entsorgung" der Regierungsbeteiligung auch nicht. Da habe ich in meinem Brief an den Minister doch wohl differenzierter gefragt und keine Antwort vorformuliert, aber eben auch keine erhalten.

Ich bin für PDS-Landräte, -Bürgermeister und -Minister ! Sie sind auch mit meiner Wählerstimme (und der meiner Verwandten, Kinder und vieler Freunde ) in ihrem Ämtern ! Ich bin aber auch für Antworten auf Fragen, die nicht nur mir auf der Seele brennen.

Und in der Politik gibt es immer eine Alternative, sonst gibt's bekanntlich keine Politik. Wir sollten nicht drauf reinfallen, wenn aus ganz bestimmten Gründen ganz bestimmte Leute immer aufs Neue die Lei-er von der Alternativlosigkeit herbeten. PDS-Politik ist doch nicht ohne Prinzipien, ohne Werte, ohne Ziele, ohne Interessen einer ganz bestimmten Klientel denk- und machbar.

Und nun habe ich gefragt (nicht zuletzt, weil auch ich als Wahlkreismitarbeiter gefragt werde), wie und ob Hartz IV von uns (mit)verantwortet werden kann. Ich glaube , Helmut Holter hat sich auch diese Frage gestellt, denn er hat das Gesetz in seinem Entstehungsprozeß mehrfach deutlich kritisiert und er war wohl - wie ich gehört habe - im Kabinett auch nicht von Anfang an dazu bereit , in MV dafür da-für die Verantwortung zu übernehmen.

Ob man die von mir gestellten Fragen (und meine Beweggründe, sie zu stellen ! ) allerdings für wichtig nimmt, für brennend sieht, ob man sie ernsthaft zu beantworten sucht oder besser lieber die Ohren davor verschließt - das hängt sehr davon ab, ob man z.B. meint, Hartz IV ist leider ein weiteres unter den schon vielen und für abhängig Beschäftigte nachteiligen Gesetzen dieser Bundesregierung und wir sind halt nur eine 25%-Partei oder eine 5%-Partei ( ganz wie man gerade passend rechnen will) und können also sowieso nichts ändern oder ob man meint, dass Hartz IV eklatant gegen das Grund-gesetz verstößt, eine neue Qualität des Klassenkampfes von oben gegen die sowieso schon Benach-teiligten praktiziert und die vorhandene soziale Polarisierung weiter vertieft .

Wir sollten schon entscheiden und entschieden sein! Auf beiden Seiten des sozialen Risses durch die bundesdeutsche Gesellschaft zugleich kann man schlecht stehen.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Kroh

Wahlkreismitarbeiter

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Wahrscheinlich nicht so sehr meine mail als vielmehr eine neue Nachricht (oder viel-leicht von beidem etwas ?) veranlaßten Rolf Kutzmutz , mir ( Tuesday, July 06, 2004 12:09 PM / Subject: AW: Noch einmal zu Hartz IV und der PDS ) noch einmal zu schreiben:

 

Lieber Peter Kroh,

eben lese ich, dass Mecklenburg-Vorpommern nach dem Willen der PDS dem Hartz-Gesetz die Zu-stimmung verweigern soll. Im Bundesrat hieße das "Enthaltung".

Das Gesetz wird trotzdem in kraft treten - die aufgeworfenen Fragen bleiben bestehen, insbesondere auch die, wie sich Minister, Senatoren, aber auch Bürgermeister und Landräte - weil letztere in den meisten Bundesländern für die konkrete Umsetzung des Gesetzes verantwortlich sind, verhalten.

Nach einer Woche keine Antwort vom Minister, der vom Bürger angeschrieben wurde - zweifellos kri-tikwürdig- gestern sagte mir Wolfgang Methling das H.Holter im Urlaub sei. Sicher kein Argument.

Aber nun zur Sache selbst:

Einig sind wir in der Beurteilung des Gesetzes, seinen Wirkungen. Einig auch darin, dass Widerstand organisiert werden muss. Mit wem und wie - da gibt es eine Reihe von Problemen. Verbände, in de-nen Kreistage und Städte organisiert sind begrüßen das Gesetz, weil sie finanzielle Zusagen haben, Gewerkschaftsführer einigen sich mit der Regierung auf moderaten Ton im Umgang miteinander und werden sich - so war zu lesen, bis Oktober zurückhalten.

Betroffene haben die Sache entweder noch nicht durchschaut oder glauben noch nicht an die Wirkun-gen oder... Selbst Unterschriften gegen die Praxisgebühr

Wir organisieren in den Kreisverbänden, dass sie Unterstützung erhalten dabei, wenigstens das ein-fordern zu können, was ihnen zusteht ( in Berlin wurde vermeldet, dass 50% der Betroffenen die Un-terlagen nicht auszufüllen in der Lage sein werden). Und wir haben in Vorbereitung, dass Menschen, die sich wehren wollen enntsprechende Musterbriefe zur Verfügung gestellt werden.

Ich meine, dass, wenn das Gesetz nicht verhindert werden kann - was sicher nicht nur Anspruch an die PDS ist - dann wenigstens gesichert werden muss, dass bei der Durchsetzung zuallererst die Pro-bleme der betroffenen Menschen mit bedacht werden müssen. Und da bin ich der Überzeugung, dass dies von PDS Mitgliedern ganz sicher gemacht wird.

Es bleibt der Widerspruch, das man sich damit zum "Erfüllungsgehilfen" macht.

Ja, es gibt immer Alternativen - ist das vorher Beschriebene eine? - oder welche gibt es noch – darü-ber würde ich auch weiter diskutieren wollen, weil es notwendig ist.

Mit freundlichen Grüßen

Rolf Kutzmutz

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Sowohl wegen des „Tons“ als auch – und vor allem - wegen der Aufforderung am Schluß, schrieb ich an Rolf Kutzmutz am 7.7. 18.14 h:

 

Lieber Rolf, danke für die mail von gestern Mittag. Ja, es gibt vieles , wo wir uns einig sind in der Be-wertung des Gesetzes. Das ist gut zu wissen, das ist wichtig für die kommende Zeit und das ist auch menschlich angenehm.

Über das von Dir Angeregte (Widerstand / Hilfe beim Ausfüllen der Formulare /Musterbriefe usw.- was ich alles okay finde und was wir hier ja auch - zumindest z.T. - machen) möchte ich folgende Gedan-ken zu unserer - nun ja schon fast intensiv zu nennenden Diskussion - beisteuern.

Lothar Bisky sollte unbedingt daran festhalten in Karlsruhe klagen zu wollen (las ich heute). Spezialis-ten haben sich dazu schon sachkundig geäußert. Die kann man sicher kontaktieren.

Zudem wäre eine unmißverständliche Verurteilung der asozialen Wirkungen des Gesetzes ganz wich-tig, verbunden mit der (vielleicht erst einmal unadressierten) Aufforderung zum Widerstand, was ja mehr ist als Protest.

Und wenn man dann allle herausgehobenen PDS-Minister, -Senatoren, -Landeschefs, -Fraktionsvor-sitzende zu einem geballten Statement, in etwa derart : diese sozialpolitische Schweinerei ist mit uns nicht zu machen, verbunden mit der Aufforderung, dass Hartz IV entweder Chefsache der MP oder (weil ja auch Kommunen zuständig sind) der IM zu sein hat, zusammenführen könnte , dann denke ich , wir finden ein breites Echo bei all denen , die

- von der SPD schon enttäuscht sind;

- nicht mehr wählen gehen, weil sie bei keiner Partei (!) eine Politik in ihrem Interesse sehen;

- bei attac oder anderswo nach Alternativen zur neoliberalen Zerschlagung des Sozialstaates suchen;

- eine neue Bewegung/Partei (?) links von der SPD initiieren;

- in Gewerkschaften, unter Juristen und Datenschützern laut und öffentlich an der Rechtmäßigkeit von Hartz IV zweifeln;

- in zahlreichen Organisationen gegen das konkrete Unrecht kämpfen, dass so viele Ostdeutsche in ihrer Lebensführung belastet (ich denke an Arbeitslosenverband oder auch die GBM, ISOR usw.)

Wenn das mit der Kampagne der PDS "Von 331 € kann man nicht leben" verbunden würde und diese Kampagne vielleicht bundesweit geführt und noch erweitert würde zu einer thematischen "Aufklä-rungs"-Kampagne [ z.B. "Das Arbeitslosengeld für die Armen muss gesenkt werden, weil die Steuern für die Reichen gesenkt wurden" (oder so ähnlich!)] - dann halte ich das Gesetz für aushebelbar, auch angesichts der Demos im letzten Jahr.

Was meinst Du dazu ? Wenn es Dir hilft, zitier mich ruhig in "Deinen Kreisen", so kannst Du eine eige-ne Sicht erst mal zurückstellen und testen, was Deine Führungskollegen dazu meinen. Ich jedenfalls halte das nicht für aussichtslos. Immer vorausgesetzt, man sieht Hartz IV nicht als ein weiteres Gesetz unter den unsäglichen "Reformen" der von Gott, Bebel und Liebknecht verlassenen Sozialdemokraten , sondern eben als qualitativ neues Merkmal des Klassenkampfes von oben. War das kürzliche "Schulterklopfen" von BDI-Rogowski für den Sozialdemokraten (?) Schröder im Palast der Republik nicht geradezu entlarvend ??

Ich hänge drei Materialien an, die Du nach eigenem Gutdünken verwenden kannst ( bei den vom Januar 2003( ! ) , die damals kaum einer lesen wollte mit meinem Copyright bitte, bei dem Januar 2004 -Papier liegen die Rechte bei Utopie kreativ)[2]

Nebenbemerkung: Weil ich wußte, dass allgemeine Urlaubsphase ist, habe ich meinen Brief an Helmut Holter (nachdem ich mich den ganzen Samstag mit den Formulierungen herumgeschlagen habe) am Sonntag, den 27. vorab per email geschickt und die Post-Zusendung angekündigt. Ich wollte so Zeit/Vorlauf schaffen und Helmut rechtzeitig informieren.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Kroh

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Birgit Schwebs schrieb mir am 6.7.:

 

Lieber Peter,

meine erste, ganz spontane Reaktion auf den Brief war: Oh Mann, was hat denn den Peter geritten, so einen Brief zu schreiben. Aber ich schwöre, es war nur die erste!!!

Und jetzt weiß ich nicht so richtig weiter, denn meine Schere im Kopf hat schon gut gearbeitet: wenn Holter das machen sollte, dann ist die Koalition hinüber… das soll aber nicht sein, das wird den „füh-renden“ Genossen nicht gefallen… so funktioniert die Schere, ich soll nicht die Koalition infrage stel-len….

Peter, weißt Du, in der ersten Debatte in der Fraktion um dieses Thema haben Wolfgang und Marian-ne, sofort und wie aus einem Munde argumentiert: wenn Holter das nicht macht, kann er sein Minister-amt niederlegen, das ist schließlich seine Aufgabe als Arbeitsminister…

Ich denke, Du hast aber unbedingt recht. Mir wird jetzt sehr oft bewusst, wie „wir“ (also die mitregie-rende Partei) den Mantel aus der Abteilung Verwaltung nehmen und dann Entscheidungen anschie-ben oder weitertreiben, die eigentlich politisch abzulehnen sind, die wir dann auf der Straße und im Wahlkreisbüro in den bundespolitischen Kontext stellen, dagegen schimpfen und protestieren, und hilflos auf die klaren Worte der „Wahlalternative“ sehen und mit attac grollen, weil sie die PDS nicht mehr für eine linke Partei halten. Und ja nur nicht sagen, daß wir diese Koalition für nicht mehr sinnvoll halten, denn dann sitzen wir in der „Bedenkenträgerschublade“.

Deshalb war es richtig, diesen Brief an Helmut zu schicken, ihn intensiv aufzufordern, sich dazu zu positionieren (sonst macht er das ja sowieso nicht!!) und auch eine öffentliche Debatte anzufachen. Weil wir ja inzwischen die inhaltliche Auseinandersetzung miteinander scheuen, immer nur auf die Personen schauen, statt auf ihre Argumente zu hören!

Das zum Brief.

Peter, und Du hast noch mal recht, wenn Du mehr Aktivitäten gegen Hartz einforderst. Ich denk, ganz viele Menschen wissen immer noch nicht, was auf sie zukommt. Wir haben uns überlegt, daß wir ein-zelne Handblätter anfertigen wollen, auf denen wir darstellen wollen, was man alles mit 331 € anfan-gen kann. Z.B. AlG II nutzen für eine Übernachtung im Kempinski in Heiligendamm, oder 2 Flaschen Champagner kaufen und sich einen schönen Abend machen, oder last minute auf die Kanaren fliegen … und das wollen wir an die Betroffene vor dem Arbeitsamt verteilen.

Ich hoffe, daß ganz viele Menschen mitmachen und auch die Gewerkschaften nicht umfallen!

Einen lieben Gruß

Birgit

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Meine Antwort vom 7.7. an sie lautete:

 

Liebe Birgit, danke für deine ehrliche und offene mail. Danke auch für deine prinzipielle Zustimmung. Das tut gut.

Es ist schön, wenn man mit Menschen korrespondieren kann, die nicht verhärtet, also diskussions-unfähig (weil nicht zuhören / korrekt lesen könnend ) sind.

Die Schere im Kopf - das kenne ich. Ich hatte sie (aus heutiger Sicht : leider) zu DDR-Zeiten. In der sog. "Wende" nahm ich mir vor (als ich überhaupt nach den Abwicklungs- und anderen Nackenschlä-gen mal wieder zum ruhigen Nachdenken über mich kam), das passiert Dir nie wieder. Nicht immer, aber oft hats bisher geklappt. Und nun bin ich 60 und habe die nötige Gelassenheit. Zudem strebe ich kein Amt oder Mandat an, kann also "ungeniert" so formulieren, wie ich denke und fühle.

Die anderen Antworten (bisher gibt es mit Deiner 4!) sind auch sehr interessant. Ich werde das be-stimmt mal zusammenfassen.

Wichtig wäre, dass Du aus deinem /eurem geschilderten Zwiespalt (hier der Mantel der Verwaltung / dort das Protestieren auf der Straße ) ein paar prinzipielle Schlüsse ziehst. Mir scheint, wenn man lan-ge genug im Parlament sitzt, verliert man die außerparlamentarische Perspektive aus dem Auge. Wo aber nur noch nach "Koalitions-Arithmetik", nach Wahlprognosen (und noch schlimmer : nur noch nach Ämtern und Pöstchen) geguckt wird, da sieht man weder die gesellschaftspolitischen Konse-quenzen des eigenen (Mit-) Tuns noch sieht man Chancen für Alternativen.

Und in der Politik gibt es ja immer eine Alternative, sonst gibt's bekanntlich keine Politik. Wir sollten nicht drauf reinfallen, wenn aus ganz bestimmten Gründen ganz bestimmte Leute immer aufs Neue die Leier von der Alternativlosigkeit herbeten.

PDS-Politik ist doch nicht ohne Prinzipien, ohne Werte, ohne Ziele, ohne Interessen einer ganz be-stimmten Klientel denk- und machbar. Man muss sie wiederfinden, ob in Regierung oder Opposition. Natürlich jeweils anders, aber wiedererkennen muss man sie. Sonst wird irgendwann PDS und Hartz IV miteinander identifiziert.

Stattdessen wäre es z.B. eine grundsätzliche Diskussion wert (und deswegen auch meine Frage) ,ob ein Statement, in etwa derart : diese sozialpolitische Schweinerei ist mit mir nicht zu machen, verbun-den mit der Aufforderung, dass Hartz IV entweder Chefsache des MP oder (weil ja auch Kommunen zuständig sind) des IM zu sein hat, nicht ein breites Echo bei all denen finden würde, die

- von der SPD schon enttäuscht sind;

- nicht mehr wählen gehen, weil sie bei keiner Partei (!) eine Politik in ihrem Interesse sehen;

- bei attac oder anderswo nach Alternativen zur neoliberalen Zerschlagung des Sozialstaates suchen;

- eine neue Bewegung/Partei (?) links von der SPD initiieren;

- in Gewerkschaften, unter Juristen und Datenschützern laut und öffentlich an der Rechtmäßigkeit von Hartz IV zweifeln;

- in zahlreichen Organisationen gegen das konkrete Unrecht kämpfen, dass so viele Ostdeutsche in ihrer Lebensführung belastet (ich denke z.B. an den Arbeitslosenverband oder auch die GBM, ISOR u.ä.) ?

Wenn das mit der Kampagne der PDS "Von 331 € kann man nicht leben" verbunden würde und diese Kampagne vielleicht bundesweit geführt und noch erweitert würde zu einer thematischen "Aufklä-rungs"-Kampagne [ z.B. "Das Arbeitslosengeld für die Armen muss gesenkt werden, weil die Steuern für die Reichen gesenkt wurden" (oder so ähnlich!)] - dann halte ich das Gesetz für aushebelbar, auch angesichts der Demos im letzten Jahr.

So, liebe Birgit, nun noch was Praktisches: Ich hänge drei Materialien an, die Du für Eure Aktionen (die schon geplanten und vielleicht noch ein paar andere) gerne benutzen könnt. Die beiden vom Ja-nuar 2003 [ ! ] wollte damals niemand zur Kenntnis nehmen, das vom Januar 2004 habe ich kürzlich in der Zeitschrift Utopie kreativ gefunden. Ist natürlich keine Zeitschrift für Abgeordnete im "Hamster-rad", aber es ist ‘ne PDS-nahe.

Viel Erfolg !! HARTZ IV MUSS WEG

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Traudel Felfe mailte mir am 6.7. im telegrafisch kurzen Stil :

 

Gratulation zu Inhalt und Form, hätte ich nicht fertig gebracht. Nun muß es in die Presse , Offenes Blatt.

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Am 7.7. schrieb auch Wolfgang Dietrich. Sein Brief hatte folgenden Wortlaut:

 

Lieber Peter,

Deinen Brief bzw. Deine Argumente, Überlegungen etc. unterstütze und teile ich vollends. Als im ver-gangenen Monat ( 05.06.04 ? ) Wolfgang Methling als stellvertretender MP in der Fraktion das Vorha-ben des MP bekannt gab, den Arbeitsminister hauptverantwortlich für die Koordinierung zur Umset-zung von Hartz IV zu machen und das mit der Begründung gut hieß, Helmuts Haus sei dafür aus fach-licher (!) Sicht das geeignetste Ressort, verwies ich auf die politische Dimension: PDS-Minister setzt Hartz IV um! Ich bezeichnete das als politischen Super-GAU und meinte, dass dazu die Fraktion eine ablehnende Haltung einnehmen und das dem MP mitteilen müsste – mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben könnten. In der Diskussion gab es zumeist damit übereinstimmende Äußerungen, aber auch das Argument, dass Helmut als Regierungsmitglied die Anordnungen des MP befolgen müsse. Die Diskussion wurde unterbrochen und sollte eine Woche später fortgesetzt werden, zumal am Abend der Koalitionsausschuss tagen würde und dort das Problem angesprochen werden solle. Die Diskussion am folgenden Dienstag fand keine Fortsetzung; sie wurde auch von keinem MdL gefordert; in der Information über die Beratung des Koa-Ausschusses fand die Problematik keine Erwähnung.
Obwohl sich unter den TeilnehmerInnen der Basiskonferenz zur Wahlauswertung am 26.06.04 in Wa-ren einige befanden ( Landesvorstandsmitglieder –der LV hatte sich gegen die Veranwortungsüber-nahme durch eine/n PDS-Minister/in ausgesprochen, worüber Peter Ritter als Vorsitzender die Frak-tion informierte und Briefe an den SPD-Landesvorsitzenden und den MP schrieb -, MdL, Helmut selbst), die von der Situation wussten, war ich der einzige, der sie zur Sprache brachte (ich hielt das für unbedingt notwendig). Meine Forderung, die Anordnung des MP kategorisch zurück zu weisen, erfuhr zwar deutliche Zustimmung, aber damit hatte es sich auch. Barbara B. forderte, dass Helmut alles dafür tun müsse, damit alle Betroffenen pünktlich zum 01.01.05 tatsächlich ihr ALG II erhalten. Dass das geschehen muss, ist richtig, greift m. E. als zu verbleibende Forderung angesichts des
Unerhörten jedoch zu kurz. Es ist schizophren: Der Landesverband der PDS führt die Kampagne „Von 331 Euro kann man nicht leben“ durch – ein PDS-Minister zeichnet org.-technisch für die Realisierung von Hartz IV verantwortlich. Öffentliche Wahrnehmung: Hartz IV = PDS !

Denen, die Angst davor haben, die SPD könnte die Koalition zerbrechen lassen, wenn wir uns z.B. ge-gen die MP-Anweisung auflehnen würden, muss die Situation der SPD in Bund und Land vor Augen geführt werden: Sie würden sich einen solchen Schritt zigmal überlegen. Und wenn sie die Zusam-menarbeit aufkündigten, könnte die PDS nur an Ansehen gewinnen – jetzt, wo vielen Menschen all-

mählich klar wird, welche Grausamkeiten Wirklichkeit werden sollen.
Ich denke, den führenden Personen in der PDS M-V muss aus der Basis heraus ihre Verantwortung für die weiteren Entwicklungen in der Gesellschaft sehr, sehr deutlich gemacht werden – und auch für die Entwicklung der Linken im Land, in der BRD und in Europa. Seit fast einem Jahr thematisiere ich solche Überlegungen im Landesvorstand und in der Fraktion, fordere, außerparlamentarische Aktio-nen auf Landesebene zu organisieren, damit Medien und Öffentlichkeit unsere Alternativen wahrneh-men (müssen), hatte z.B. im Oktober auch gegenüber den Kreisvorständen Vorschläge unterbreitet. Das Echo: Schweigen oder Ablehnungen mit dem Verweis darauf, dass unsere Kräfte dafür nicht

ausreichten. Nur einzelne meinten unter vier Augen, dass das wohl notwendig sei …
Allein Briefe des Landesvorsitzenden an ALV, Sozialverbände etc., die zum gemeinsamen Protest auffordern, reichen nicht. Wenn wir von anderen abhängigmachen, wie, wann und ob wir in Erschei-nung treten, ist das an den Erfordernissen vorbei. Wir müssen zu konkreten Aktionen aufrufen, nicht nur Protest (Unterschriftensammlungen u.ä.), sondern Widerstand organisieren kraft unseres Bei-spiels. Wollen wir das nicht, scheuen wir diese Arbeit oder schaffen wir das nicht im Bunde mit an-

deren, haben wir versagt.
Spätestens auf unserem LPT am 25.09.04 muss die Entscheidung fallen : entweder linke Kraft oder „Appendix der SPD“ (Gesine Lötsch).

Mit bestem Gruß
Wolfgang

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Am 8.7. antwortete Klaus Gebauer folgendermaßen:

 

Lieber Peter, kurz zu Deinem Brief:

Auch ich sehe in der zugespitzten Situation bei Euch in MVP, aber auch in Berlin, erhebliche Gefahren für die PDS - noch dazu, wenn unsere Minister bzw. Senatoren die Dreckarbeit bei der Umsetzung von Hartz verrichten müssen. Ein plötzliches Aussteigen aus den Koalitionen bringt aber m.E. auch keine Lösung.

Es würde sich ein weiterer großer Teil von WählerInnen von uns abwenden. Und was kommt nach ei-nem Ausstieg der PDS aus den Koalitionen? Wie wollen wir uns in Brandenburg und Sachsen verhal-ten, wenn entsprechende Wahlergebnisse erreicht werden? Bis zur Bundestagswahl müssen wir diese Situation m.E. aushalten, so besch... diese Situation auch ist.

Notwendig ist aber sicher, dass wir in der Öffentlichkeit keine Möglichkeit auslassen, uns mit Hartz IV und der Agenda 2010 und der Bundesregierung auseinanderszusetzen, richtig hart und prinzipiell. Und dabei müssen unsere Spitzenleute, die Zugang zu den Medien haben, an der Spitze stehen und den Hauptpart übernehmen. Das klappt aus meiner Sicht bei Euch z. ZT. noch besser als in Berlin. Man muss aber dann auch soweit gehen, zu sagen: Hartz IV bringt die SPD-PDS-Koalition an den Rand des Scheiterns, weil diese Politik weder mit unserem PDS-Programm, noch den ehemals im Wahlkampf gemachten Aussagen übereinstimmt. Der Zustand ist bereits jetzt für die PDS unerträglich und führt in ihr zu erheblichen inneren Auseindersetzungen. Auch das muss man in der Öffentlichkeit sagen. Wenn wir unsere eigenen Sorgen und Bedenken, auch unseren eigenen inneren Zustand, nicht nach außen transportieren können, erreichen sie auch unsere WählerInnen nicht. Schließlich noch eine letzte Überlegung in Kürze: Da die Koalitionen mit der SPD ein Thema der gesamten Partei sind, kann es es nicht den Länderorganisationen allein überlassen sein, wie wir uns verhalten. Ich habe den Eindruck, dass diese Fragen bisher nicht intensiv genug in der Partei beraten wurden und auch nicht im Vorstand. Am 17.7. soll es dazu eine Debatte im PV geben.

Noch eine Bemerkung: an die bürgerliche Presse hätte ich den Brief nicht weitergeleitet. Ein Echo habe ich dazu noch nicht gehört bzw. gelesen.

Soweit in aller Kürze.

Mit solidarischen Grüßen

Klaus

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Am 12.7. antwortete Gesine Lötzsch wie folgt:

 

Lieber Peter,
vielen Dank für Deine lange Mail vom 4. Juli zu den Hartz IV-Gesetzen. Ich schließe mich Deinen Argumenten weitestgehend an.

Im Bundestag haben Petra Pau und ich selbstverständlich gegen diese sogenannten Reformen ge-stimmt und wir unterstützen alles, was der Aufklärung der Betroffenen dient.

Ich wünsche Dir persönlich alles Gute.

Dr. Gesine Lötzsch, PDS

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Die zeitlich letzte Reaktion erhielt ich von Fritz Klinger am 13.7.:

 

Lieber Herr Dr. Kroh,

Die Information über den Brief an Minister Holter ist angekommen. Vielen Dank! Ich kann dem Brief nur zustimmen. Ein PDS-Minister sollte sich nicht an der Durchsetzung der unsozialen Agenda 2010 beteiligen, sondern die Interessen der Benachteiligten vertreten. Es könnte sich auch ungünstig auf die Landtags- und Bundestagswahl 2006 auswirken.

Mit freundlichen Grüßen

Fritz Klinger

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Am 27.7., einen Monat nach meinem Brief an Minister Helmut Holter fragte ich nach :

 

Dr. phil. habil. Peter Kroh

Rotbuchenring 23

Tel/Fax ( 0395 ) 368 55 64

e-mail: kroh.peter@freenet.de

17033 Neubrandenburg                                                        27.07.2004

 

Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung

Herrn Helmut Holter

Schlossstraße 6-8

19053 Schwerin

 

Sehr geehrter Herr Minister Holter,

genau heute vor einem Monat, am 27.6.2004, schrieb ich Ihnen in einem Brief von meinen Sorgen und Bedenken, wenn ein Minister der PDS für die Umsetzung von Hartz IV zuständig ist. Ich schickte den Brief am gleichen Tag  per e-mail ( an poststelle@am.mv-regierung.de und mit Cc an helfried.liebsch@am.mv-regierung.de ) , um sicher zusein, dass Sie ihn am Montag lesen und rechtzeitig reagieren können.

 

Im Kern ging es mir darum, Ihre Antwort auf  ein paar Fragen zu erhalten, die nicht nur mich

(aber mich eben auch sehr) beschäftigen.

 

Hartz IV – das wird immer offensichtlicher –  ist keine Arbeitsmarkt-Reform, sondern ein nachhaltiger Impuls für eine qualitative Veränderung der Bundesrepublik , wahrscheinlich sogar unter Verletzung von Grundrechten, wie sie im Grundgesetz fixiert sind . (Zu  verweisen wäre insbesondere auf die Art.1(3); 2 (1); 3 (3); 6 (4); 12 (2); 13 (3); 19 (2); 20 (1 und 3)

 

Bis heute habe ich noch keine Antwort auf meinen Brief vom 27.6. erhalten. Ich bitte Sie deshalb herzlich, mir zumindest den Grund dafür zur Kenntnis zu geben. Besser noch wäre es allerdings, Sie könnten auf meine damals gestellten Fragen reagieren.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Peter Kroh

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Mit einer e-mail vom 2.8. erhielt ich eine Antwort auf den Brief vom 27.6.  /*3/

1.


 

Schwerin, den

30. Juli 2004

 

Lieber Peter,

 

vielen Dank für Deinen Brief vom 27.06.2004. Wie Du aus dem Ministerium schon erfahren hast, hatte ich in den letzten Wochen Urlaub. So kann ich erst heute auf Deinen Brief unmittelbar antworten.

 

Das nunmehr endgültig verabschiedete Sozialgesetzbuch II stellt in seiner Wirkung den tiefsten sozialen Einschnitt in der Geschichte der Bundesrepublik dar. Dieser Einschnitt war politisch gewollt – gewollt von einer großen informellen Koalition. In der Hartz-Kommission saß auch eine Gewerkschaftsvertreterin, im Bundestag hat eine demokratisch legitimierte Mehrheit die Hartz-Gesetze beschlossen und im Bundesrat haben die Westländer diese Gesetze passieren lassen.

 

Es war einzig die PDS, die einheitlich und geschlossen gegen Hartz IV aufgetreten ist. Darüber war ich froh. Zumal dieses Engagement – auch der Ministerin und der Minister – öffentlich wahrgenommen und anerkannt wurde. Gleichwohl muss sich die PDS eingestehen, dass sie als Fünf-Prozent-Partei in der Bundesrepublik und an zwei Landeregierungen beteiligt, nicht zu verhindern vermochte, dass dieser soziale Rückschritt Gesetzeskraft erlangte.

 

Es ist also beschlossene Sache, ohne Aussicht auf existenzsichernde Arbeit der großen Mehrheit der zukünftigen Empfängerinnen und Empfänger des Arbeitslosengeldes II kräftig in die Tasche zu greifen. Mehr noch, diese Menschen in ihrer Würde zu verletzen.

 

Nun stellst Du zu Recht die Frage, ob die kritische und ablehnende Haltung der PDS vereinbar ist mit dem Auftrag des Ministerpräsidenten an einen PDS-Minister, als Koordinator der Landesregierung bei Hartz IV zu wirken. Eines Gesetzes also, dessen Umsetzung Sache des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit, der Bundesagentur für Arbeit und der Kommunen ist.

 

Ich denke, dass auch und gerade die PDS, wenn sie mitregiert im Lande, eine Verantwortung dafür hat, dass die Empfängerinnen und Empfänger das so genannte Arbeitslosengeld II zu Beginn des Jahres 2005 erhalten.

 

Jede Verzögerung würde in erster Linie diesen Personenkreis selbst treffen. Es würde einen Personenkreis treffen, der buchstäblich auf jeden Euro angewiesen ist. Für mich ist es erstens mit demokratisch-sozialistischer Politik unvereinbar, diejenigen, die am meisten auf Hilfe angewiesen sind, im Stich zu lassen. Deshalb kann ich Deinem Vorschlag, mich zu verweigern – was immer damit gemeint sein mag – nicht folgen. Dies wird im Übrigen auch von Berliner Genossen so gesehen. Das hat kürzlich der Partei- und Fraktionsvorsitzende Stefan Liebich unterstrichen als er erklärte: „Trotz ihrer kritischen Haltung wird die PDS-Fraktion in Berlin alles dafür tun, dass bei Inkrafttreten des Gesetzes die notwendigen Vorbereitungen getroffen sind, damit allen Arbeitslosengeld-II-Empfängern zumindest die entsprechende Hilfe zukommen kann.“

 

Zweitens lässt sich Hartz IV nicht auf die unmittelbaren Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, gegebenenfalls auch Kosten der Unterkunft und Heizung etc. reduzieren. Besonders wichtig ist für mich auch, die Vermittlungsanstrengungen zu verstärken. Es geht um mehr und bessere Beratung, Beschäftigungsförderung und berufliche Qualifizierung der Langzeitarbeitslosen.

 

Drittens warne ich davor, die Frage auf das Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung zu fokussieren. Wie soll sich Bärbel Syrbe als PDS-Landrätin verhalten, wenn der Kreistag entscheidet, in Ostvorpommern die Experimentierklausel anzuwenden? Dann gibt es in diesem Kreis wie auch auf Rügen keine zwischen Agentur für Arbeit und Landkreis geteilte Verantwortung mehr.

 

Ich bitte Dich also, Deinen Vorschlag noch einmal zu überdenken. Er ist auch kaum vereinbar mit dem, was die PDS bisher zu Hartz IV versprochen hat – siehe die Erklärung Peter Ritters zu der Bundesratsentscheidung am 9. Juli.

 

Am 17. Juli 2004 schließlich hat zudem der Parteivorstand der PDS mit den Regierungsmitgliedern auch zu der von Dir angesprochenen Frage beraten. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Beratung sind zu der Erkenntnis gekommen, dass wir in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern Protest und Ablehnung der Hartz-IV-Reformen mit der fachlichen Zuständigkeit in den beiden Landesregierungen verbinden können.

 

Ich habe Angelika Gramkow vorgeschlagen, auf der Sommerklausur in einem eigenständigen Tagesordnungspunkt über Hartz IV, die Folgen und die Umsetzung in Mecklenburg-Vorpommern zu sprechen. Ich hoffe, dass wir uns auf der Klausur sehen, um die Diskussion weiterführen zu können.

 

Bis dahin verbleibe ich

 

mit freundlichen Grüßen

 

Helmut Holter

/*3 / der wortgleiche Text (!) stand am 6.8.2004 im ND als Leserbrief  des PDS-Landesvorsitzen-den (!!) Peter Ritter, womit er auf einen anderen Leserbrief Tage zuvor reagierte.

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Ich antworte dem Minister am nächsten Tag wie folgt:

 

Dr. phil. habil. Peter Kroh

Rotbuchenring 23

Tel/Fax ( 0395 ) 368 55 64

e-mail: kroh.peter@freenet.de

17033 Neubrandenburg                                                        03.08.2004

 

Ministerium für Arbeit, Bau und Landesentwicklung

Herrn Helmut Holter

Schlossstraße 6-8

19053 Schwerin

 

Lieber Helmut,

 

zuerst einmal möchte ich mich für Deinen Brief vom 30.Juli bedanken. Aus dem Ministerium habe ich - entgegen Deiner Annahme-  nichts erfahren. Vom „Hörensagen“ war mir bekannt, dass Du ab Donnerstag, den 1.7. im Urlaub bist. Um Dich rechtzeitig vor dem Urlaub noch zu erreichen, habe ich ja meinen Brief auch vorab per e-mail am Sonntag den 27.6.abgeschickt.

Soweit zum Zurückliegenden.

Nun stellst Du eine Weiterführung der Diskussion auf der Klausur in Aussicht . Ich finde das richtig und notwendig, weiß aber im Moment nicht , ob ich aus gesundheitlichen Gründen an der Klausur teilnehmen werde. Deshalb möchte ich zwei Kernpunkte brieflich mitteilen.

 

Du schreibst, die Hartz-Gesetze sind von einer demokratisch legitimierten Mehrheit beschlos-sen . Ich denke, ein formal demokratischer Mehrheitsbeschluß entbindet uns nicht von inhalt-licher Kritik und konsequenter Bewertung.

Eine etwas weit hergeholte Erinnerung : Hitler ist auch durch einen formal korrekten demo-kratischen Mehrheitsbeschluß gewählt worden !

Eine etwas näher liegende Erinnerung: Am 15.8. 2002 legt die Hartz-Kommission einen Be-richt vor. Er umfaßt 343 Seiten. Am 17.8. stimmt diesen Vorschlägen eine SPD-Parteikonfe-renz zu. Am 18.8. stimmt der Vorstand von Bündnis 90/ Die Grünen zu. Am 20.8.wird das Ganze in einer Sitzung des Bundeskabinetts zum offiziellen Beschluss der Regierung.

 

Wer von den Teilnehmern, lieber Helmut, hatte in diesem Zeitrahmen die 343 Seiten wirklich gelesen und auch noch verstanden ? Wie demokratisch war also das Procedere wirklich ?

Noch dazu, wenn man sich zugleich erinnert, wie seit August 2002 jede Kritik an den Hartz-Vorschlägen mit folgendem Argumentationsmuster verhindert wurden: Bevor die Vorschläge veröffentlicht wurden, kann es keine sinnvolle Kritik geben. Die könnte ja nur in Unkenntnis der Gesamtheit des Programms geschehen. Nach der Veröffentlichung der Vorschläge kann es keine vernünftige Kritik geben, denn jetzt kommt es darauf an, zuzupacken und nicht zu lamentieren.

 

Nun zu meinem so genannten „Verweigerungsvorschlag“ . Zunächst einmal: Völlig Recht hast Du mit all den Gedanken, die von Hartz IV Betroffenen nicht im Stich zu lassen, sondern sie vielmehr nach besten Kräften zu unterstützen. Das ist ja erfreulicherweise auch schon Pra-xis.  Allerdings sollten wir dabei nicht vergessen, dass wir als demokratisch und sozialistisch Denkende und Fühlende letztlich mithelfen, dass zigtausend ohnehin schon sozial Benachtei-ligte  Menschen in MV noch weiter gedemütigt, noch mehr beschämt und noch stärker drang-saliert werden und so zugleich die gigantischen Profite der sowie so schon reichlich Vermö-genden weiterhin gesichert werden .

Du kannst nun meinem sogenannten Verweigerungsvorschlag – „was immer damit gemeint sein mag“ – wie Du schreibst, nicht folgen ? Was habe ich gemeint , was meine ich bis heute?

 

Wenn ein PDS-Minister eine solche Haltung (Diese sozialpolitische Schweinerei ist mit mir nicht zu machen! Bei diesem radikalen Verelendungsprogramm für Millionen Menschen in der ganzen Bundesrepublik ist für mich das ‘Ende der Fahnenstange‘ erreicht. Aus Gewis-sensgründen verweigere ich mich dieser politischen Entscheidung ) bekundet, dann führt das nicht – wie mancher befürchtet und auch ich nicht will – zu einem Rücktritt des Ministers, sondern zu einer Stärkung und Formierung all jener, die seit Jahren unzufrieden mit der gesellschaftlichen und sozialen Entwicklung der Bundesrepublik sind und sich für Veränderungen engagieren. Ich zähle dazu u.a. Menschen, die von der SPD schon endgültig enttäuscht sind ; die nicht wählen gehen, weil sie bei keiner Partei (!) eine Politik in ihrem Interesse sehen ; die bei attac oder anderswo nach Alternativen zum Klassenkampf von oben (nichts anderes ist Hartz IV) suchen; die eine neue Bewegung/Partei (?) links von der SPD initiieren; die in Gewerkschaften, unter Juristen und Datenschützern laut und öffentlich an der Rechtmäßigkeit und an der Übereinstimmung von Hartz IV mit dem Grundgesetz (ungeachtet demokratischer Mehrheitsbeschlüsse) zweifeln; die in zahlreichen Organisationen (ISOR, GBM, Arbeitslosenverband u.ä.) gegen konkretes Unrecht aus den letzten 15 Jahren kämpfen. Begleitet von einer bundesweiten Kampagne der PDS „Von 331 € kann man nicht leben“ und die u.U. noch erweitert zur Thematik „ Das Arbeitslosengeld für die Armen muß auf 331/345 € gesenkt werden, weil die Steuern für die Reichen gesenkt wurden“ wäre das Gesetz zu kippen.

 

Im Kern ist das die Erwartung , neben der parlamentarisch-politischen Ebene und der korrek-ten Erfüllung dienstlicher Obliegenheiten auch die gesellschaftspolitischen Dimensionen von Hartz IV zu sehen, nicht zuletzt im Kontext sowohl mit den Forderungen der Herren Hundt und Rogowski nach weiteren Verschlechterungen für die (noch ) Arbeit Habenden als auch mit der Raffgier und den Freisprüchen für die Herren Ackermann und Esser. Dabei – und das wissen wir beide, lieber Helmut, genau – stehen hier Namen von Personen als verkürzte Sym-bole für Strukturen, Eigentums- und Machtverhältnisse.

Ich meine ernsthaft, dass der mit Hartz IV zu vollziehende Sozialraub sowohl die Zukunftsfä-higkeit großer Teile der Bevölkerung beschädigt als auch den sozialen Frieden – immerhin lange Jahrzehnte ein so genannter Standortfaktor – gefährdet. Und ich sehe – nicht nur bei Minister Clement, aber bei ihm am deutlichsten – eine Wirklichkeitsblindheit und Realitäts-abstinenz, die mich erschreckend an die Regierenden in der Endphase der DDR erinnert.

 

Nun entnehme ich Deinem Brief , der PDS-Parteivorstand ist in einer Beratung am 17.Juli 2004 zu der Erkenntnis gekommen, „Protest und Ablehnung der Hartz-IV-Reformen mit der fachlichen Zuständigkeit in den beiden Landesregierungen verbinden (zu) können“. Dass ich da schon Bauchschmerzen beim Terminus „Hartz-IV-Reformen“ bekomme, wird Dich nach all dem nicht verwundern. Wie ich etwas bezeichne, das hat sehr viel damit zu tun, wie ich damit umgehe. Wollen wir gemeinsam hoffen, dass die PDS im Alltagsbewußtsein vieler Wähler nie mit Hartz IV identifiziert wird.

Noch stärker hoffe allerdings ich darauf, dass dieses Gesetz nicht in Kraft tritt. Aus diesem Hoffen heraus habe ich auch den Briefwechsel mit Dir initiiert. Die Zukunft wird zeigen, wel-che Hoffnungen sich erfüllen und welche eher enttäuscht werden.

Mit freundlichen Grüßen

 

Peter Kroh

 

 

Zu einem Interview mit Helmut Holter im ND vom 7./8.8.2004 schrieb ich einen Leserbrief, den das ND am 10.8. auszugsweise veröffentlichte. Der Wortlaut:

Der Minister meint, Hartz IV sei verfassungsrechtlich bedenklich, wirtschaftspolitisch kontraproduktiv und sozial zutiefst ungerecht. Dazu möchte er insofern beitragen, als dass die Leute wenigstens pünktlich ihr Geld bekommen . Er will (oder muß?) also letztlich mithelfen, dass zigtausend ohnehin schon sozial Benachteiligte Menschen in MV noch weiter gedemütigt, noch mehr beschämt und noch stärker drangsaliert werden und so zugleich die gigantischen Profite der sowie so schon reichlich Vermögenden weiterhin gesichert werden . Welch gigantischer Spagat! Vor allem aber gehe es ihm darum, dass Langzeitarbeitslose in sozialversicherungspflichtig existenzsichendernde Beschäftigung kommen. Das ist natürlich ein ehrenswertes Ziel, aber Helmut Holter hat an anderer Stelle auch im ND schon energisch bestritten, dass Hartz IV etwas mit besserer Vermittlung zu tun hat. Ja , was denn nun ? Hüh oder hott ? Im übrigen ist Hartz IV keine Arbeitsmarktreform, wie der Untertitel des Inter-views behauptet, sondern aktueller Ausdruck des beharrlichen und erfolgreichen Klassenkampfes von oben. Hoffen wir ,dass die Wähler in MV Hartz IV nie mit der PDS identifizieren. Warum eigentlich ist Hartz IV nicht Chefsache des Ministerpräsidenten oder Aufgabe des Innenministers ?

 

Darauf mailte mir Renate Klopsch : 

Lieber Peter,

Helmut Holter hilft nicht mit, mich zu demütigen und zu drangsalieren. Im Gegenteil. Siehe Zusam-menkunft der PDS-M/V-Spitze mit Vereinen und Verbänden am 9.8.2004 in Schwerin. Und so wie ich sehen es viele künftige ALG II-Bezieher hier im Land.

Wir sind zwar arbeitslos - aber nicht hirnlos.

Und wir sind durchaus in der Lage zu unterscheiden, wer oder was uns gut tut und wer oder was nicht.

Freundliche Grüße

Renate Klopsch

53 Jahre Dipl.-Wirtschaftsingenieur

alleinstehende Mutter u.a. einer volljährigen Gymnasiastin

Arbeitslosenhilfebezieher unterhalb des BSHG-Niveaus

ehrenamtliche Beraterin in Neubrandenburg zu den ALG II-Anträgen

Mitglied der Landesarbeitsgemeinschaft "Soziales" der PDS M/V

 

 

Ich antwortete ihr am 12.8. 12:48 h:

 

Liebe Renate, danke für Dein Statement. (Ich schicke Dir mit anderer mail per "Weiterleiten" meinen Leserbrief im Original. Da kannst Du sehen, wie man durch Weglassen und Ändern informiert.)

Nun aber zu Deinem Anliegen. Ich weiß aus dem Nordkurier und auch persönlichen Gesprächen, um Deine Sachkunde und Dein Engagement in Sachen Beratung zu Hartz IV. Von daher (war ich schon im jüngsten Wahlkampf und) bin ich mir auch jetzt völlig sicher, dass Du und viele andere, die Du in Deiner mail erwähnst, nicht hirnlos sind.

Ich gehe davon aus, dass Du mir einen in etwa gleichen Zustand attestierst.

 

Wenn ja, dann können wir - so wie schon oft in der jüngsten Vergangenheit - sachlich diskutieren.

Was ist Hartz IV ?

* keine Arbeitsmarkt-Reform (weder nur den Arbeitsmarkt betreffend , noch eine "Reform"), sondern ein Verarmungs- und Armutsprogramm

* ein radikales Verelendungsprogramm für Millionen Menschen in der ganzen Bundesrepublik

* ein nachhaltiger Impuls für eine qualitative Veränderung der Bundesrepublik , wahrscheinlich sogar unter Verletzung von Grundrechten, wie sie im Grundgesetz fixiert sind . (Zu verweisen wäre insbesondere auf die Art.1(3); 2 (1); 3 (3); 6 (4); 12 (2); 13 (3); 19 (2); 20 (1 und 3)

Wer an der Umsetzung dieses Sozialraub-Programms mittut, trägt (meines Erachtens!) objektiv dazu bei, dass zigtausend ohnehin schon sozial Benachteiligte Menschen in MV noch weiter gedemütigt, noch mehr beschämt und noch stärker drangsaliert werden und so zugleich die gigantischen Profite der sowie so schon reichlich Vermögenden weiterhin gesichert werden .

Ohne Zweifel hat Helmut dabei ein völlig andere Motivation als zum Beispiel der unsägliche Minister Clement. Völlig Recht hat Helmut mit all den Gedanken und Zielen, die von Hartz IV Betroffenen nicht im Stich zu lassen, sondern sie vielmehr nach besten Kräften zu unterstützen. Das ist ja erfreulicher-weise, nicht zuletzt auch durch Dich, schon Praxis.

Aber : die subjektive innere Einstellung ändert am objektiven Ergebnis (nämlich dass man von 331 € nicht leben kann, wie es die PDS-Kampagne zugespitzt, aber völlig richtig benennt) gar nichts. Hier tut sich ein Widerspruch auf, vielleicht ein gigantischer Spagat ?

Mir macht Sorge, dass die PDS von einem Teil der an Veränderungen Interessierten nicht mehr als linke Kraft wahrgenommen wird. Ich zähle dazu u.a. Menschen, die von der SPD schon endgültig ent-täuscht sind ; die nicht wählen gehen, weil sie bei keiner Partei (!) eine Politik in ihrem Interesse sehen ; die bei attac oder anderswo nach Alternativen zum Klassenkampf von oben (nichts anderes ist Hartz IV) suchen; die eine neue Bewegung/Partei (?) links von der SPD initiieren; die in Gewerkschaften, unter Juristen und Datenschützern laut und öffentlich an der Rechtmäßigkeit und an der Übereinstim-mung von Hartz IV mit dem Grundgesetz (ungeachtet demokratischer Mehrheitsbeschlüsse) zweifeln; die in zahlreichen Organisationen (ISOR, GBM, Arbeitslosenverband u.ä.) gegen konkretes Unrecht aus den letzten 15 Jahren kämpfen.

Und ich hätte mir ein Aufbruchsignal gewünscht, mit dem ein PDS-Minister oder -Senator deutlich ge-macht hätte, dieser Sozialraub ist mit mir nicht zu machen.

Warum ist die Umsetzung von Hartz IV nicht Chefsache des MP z.B. oder des Innenministers ? Wo Hartz doch im Bund Chefsache ist und die Kommunen (also der IM ) ebenfalls involviert sind ? Zufall ? Absicht ? Wenn ja, welche?

Mich bewegen noch mehr Fragen. Viele davon würde ich gern mit Dir diskutieren. Aber ich will die Antwortmail auch nicht über Gebühr ausdehnen.

Ich erlaube mir, Dir zwei Papiere zuzusenden, die das Thema umfangreicher behandeln.

In der Hoffnung auf weitere fruchtbringende, anregende Diskussionen

Peter Kroh

60 Jahre

gelernter Flugzeugbauer

seit 32 Jahren verheiratet, Vater zweier Töchter (30 und 22 Jahre)

promoviert über sozialistische Arbeitsdisziplin

habilitiert über protestantische Arbeitsethik

abgewickelt und 23 Monate hintereinander arbeitslos

Arbeit in Wahlkreisbüros von Cati Muth, Dietmar Bartsch, Torsten Koplin

Mitarbeit im Marxistischen Forum der PDS

 

 
ANHANG 1 :

 

Argumente für die Hartz-Diskussion                                      27.1.2003

 

* Der Mathematiker und Philosoph Thales , er lebte von 625 bis 546 vor Christus, meinte : Gerechtig-keit herrscht dann in einem Volk, wenn es weder übermäßig Reiche noch übermäßig Arme gibt.

Wenn ein Großteil der Menschen vom Arbeitsleben ausgeschlossen (4 Millionen !!) ist oder mit seiner Tätigkeit kein existenzsicherndes Einkommen erzielt (Niedriglohnsektor vergrößert sich gewollt mit Hartz) und zugleich ein anderer Teil – wie man so sagt – „im Geld schwimmt“ , dann ist  ein gesellschaftliches Gerechtigkeitsdefizit offensichtlich und wir müssen nicht nur in einem engen Sinn über „die Arbeit“ nachdenken, sondern über die Gesellschaft, in der wir, unsere Kinder und Enkel leben und sich wohl fühlen sollen.

 

* Den ersten Ärger mit den Hartz-Papieren machte eigentlich schon die Art und Weise des Zu-standekommens. Zur Erinnerung: Am 15.August 2002 legte die so genannte Hartz-Kommission einen Bericht vor. Er hat 343 Seiten und die Überschrift „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.“ Am 17.August 2002 stimmte diesen Vorschlägen eine SPD-Parteikonferenz zu. Am 18.August 2002 stimmte der Vorstand von Bündnis 90/ Die Grünen zu. Am 20.August 2002 wurden sie in einer Sit-zung des Bundeskabinetts zum offiziellen Beschluss der Regierung.

Zu fragen ist: Wer von den Teilnehmern hatte bis zur Beratung und Entscheidung die 343 Seiten gelesen und auch noch verstanden ?

 

* Seit August 2002 wurde dann versucht, jede Kritik an den Hartz-Vorschlägen zu verhindern, und zwar mit folgendem Argument : Bevor die Vorschläge veröffentlicht wurden, kann es keine sinnvolle Kritik geben, denn die könnte ja nur in Unkenntnis der Gesamtheit des Programms geschehen. Nach der Veröffentlichung der Vorschläge kann es keine vernünftige Kritik geben, denn jetzt kommt es darauf an, zuzupacken und nicht zu lamentieren.

Zu fragen ist:  Ist das demokratisch oder ähnelt es eher der Devise: Friß, Vogel oder stirb! ?

 

Die Gründe, HARTZ abzulehnen sind sehr umfangreich. Sechs der wichtigsten seien genannt:

 

1.Bereits im Mai 1999  konnte man im Spiegel  nachlesen, existenzsichernde, sozial- und tarifrecht-lich abgesicherte Löhne seien »Luxus« . Autoren  waren die sozialdemokratischen Experten Wolfgang Streeck und Rolf G. Heinze. Dieses Denken wird im Hartz-Papier konsequent fortgesetzt.

2.Arbeitsmarktprobleme werden bei Hartz überwiegend als Vermittlungsprobleme behandelt. Man be-hauptet, Arbeitsplatznachfrage und Arbeitsplatzangebot kommen nicht zusammen, weil 1. die Arbeits-kräfte nicht ausreichend qualifiziert seien, 2. eine Arbeitskraft in einem Teil des Landes gesucht wer-de, aber nicht hier, sondern nur in einem anderen Teil zur Verfügung stehe und 3.Arbeitskräfte einfa-che Jobs nicht aufnähmen, weil die Sozialleistungen zu hoch seien.

Andere, z. B. strukturelle Gründe der Massenarbeitslosigkeit wie fehlendes Wirtschaftswachstum, De-industrialisierung in Ostdeutschland und insgesamt zu niedriges Arbeitsplatzangebot bleiben ausge-blendet. Folgerichtig wird die Lösung vor allem in konsequenter Vermittlung gesehen. Wenn man aber von falschen Prämissen ausgeht, kommt man auch zu falschen Konsequenzen!

3. Mit Hartz sollen Arbeitslose lernen, dass sie eigentlich keine Arbeitslosen, sondern KundInnen sind, die wiederum von anderen KundInnen, früher Arbeitgeber genannt, »ausgeliehen « werden können. Organisiert wird der Handel von der PSA, deren zentrales Anliegen »Kundenzufriedenheit « ist. Damit das gelingt, arbeitet dieses »Herzstück des Abbaus der Arbeitslosigkeit« (Hartz) nicht nur mit modern-sten, datenschutzrechtlich bedenklichen Erfassungstechniken, sondern kann auch auf Anreizsysteme zurückgreifen: Wenn der Kunde Arbeitsloser nach drei bis sechs Monaten immer noch kein Zeit- und Leiharbeiter werden will, werden die ohnehin schon gekürzten Gelder nochmals gekürzt. Das gleiche gilt, wenn insbesondere junge, ledige, kinderlose PSA-Kunden sich weigern sollten, ihre sozialen Bin-dungen für irgendeinen Job aufzugeben und z.B.von Neubrandenburg nach Baden-Baden oder Ham-burg umzuziehen.

4. Musste früher das Arbeitsamt den Arbeitslosen nachweisen, dass ein Job zumutbar ist, soll nun die Beweislast, dass ein Job unzumutbar ist, bei den Arbeitslosen resp. Kunden liegen. Falls das alles noch nicht hilft, existieren bereits in vielen Kommunen Stabsstellen oder Beschäftigungsgesellschaften, in denen „Kunde“ Arbeitsloser für zusätzliche anderthalb Euro pro Tag, die zur – seit Jahren nicht mehr existenzsichernden – Sozialhilfe hinzugeschlagen werden, endlich sein gesuchtes Gut erhält: Arbeit bzw. in der Fachterminologie »Hilfe zur Arbeit«.

5. Mit und durch Hartz existieren faktisch Kündigungsschutzregeln nicht mehr, da je nach Bedarf die Ware Arbeitskraft wieder an die PSA zurückgegeben werden kann. Kündigungen sollen außerdem da-durch seltener werden, dass Arbeitnehmer entweder kostenlos auf Probe, gegen geringes Entgelt oder im Rahmen von Trainingsmaßnahmen eingestellt werden können. Für den Kunden Arbeitgeber heißt das u. a., dass die Kosten für das eigene Personal sinken könnten. Doch den Arbeitgebern soll es auch nicht zu leicht gemacht werden, denn künftig müssen sie Arbeitsplatzbilanzen erstellen. Wer nieman-den freisetzt, d. h. entlässt, oder gar jemanden einstellt – wenn die Bilanz also neutral oder gar positiv ist –, der erhält eine Belohnung in Form von Nachlässen bei den Beiträgen zur Arbeitslosenversiche-rung. Wie wird sich da der „Kunde“ Arbeitgeber freuen!

6. Ähnlich wie die PSA-Aktivitäten liefert auch das Modell Ich-AG politisch höchst komfortable Ne-benwirkungen: Zwar entstehen nicht wirklich neue Arbeitsplätze, aber weder Leih- bzw. Zeitarbeiter noch Ich-AG-Kleinunternehmerinnen belasten die Arbeitslosigkeitsstatistiken.

 

Man sieht es sofort:

MIT HARTZ ist es ENDLICH vollbracht ! Es gibt keine Arbeitgeber und keine Arbeitnehmer mehr ! Nur noch zwei gleichberechtigte Kunden ! Es gibt deshalb auch keinen  Kapitalismus und  keine Ausbeutung mehr ! Und die Statistik über die Arbeitslosigkeit wird auch immer freundli-cher und schöner!

 

Man möge die Ironie verzeihen , aber  manchmal könnte man schon lachen, wenn der gesellschaftliche Skandal der Massenarbeitslosigkeit nicht vielmehr Anlass zum Heulen und Schreien ist !

 

Die Kritik zusammenfassend meine ich :

 

Konservative und neoliberale Politiker haben es mit HARTZ vor allem auf die Zerstörung der Schutz-funktionen des alten Sozial- und Arbeitsrechts abgesehen . Das  „Persönlichkeitsideal“, das in den HARTZ-Gesetzen zum Ausdruck kommt , ist ein Mensch, der den „Markt“ als Schicksal , als Lebens-inhalt, als Identitätsgrundlage verinnerlicht hat und der alle seine Verhältnisse und Beziehungen an der Meßlatte von Angebot und Nachfrage prüft und regelt. Aus schöpferischen,  rational und emotional geleiteten Menschen sollen universelle, zynisch-opportunistische Kalkulierende werden, die Solidar-strukturen werden zerstört und die soziale Polarisierung zwischen „Oben“ und „unten“ wird befördert.

 

HARTZ ist weit mehr als einfache Reform auf dem Arbeitsmarkt. HARTZ ist ein Gesamtkonzept zur Veränderung der Gesellschaft. HARTZ propagiert das Leitbild von der völligen Ökonomisierung des menschlichen Lebens.

Leitbilder sind dazu da, Probleme aus einer vorgegebenen ( ! ) Perspektive zu betrachten .

 

HARTZ will den Wert der „Ware Arbeitskraft“  korrigieren, sozusagen neu „eichen“. HARTZ macht Schluss mit dem Rechtssubjekt „Arbeitender Mensch“. HARTZ setzt an seine Stelle das Wirtschafts-objekt „Arbeitskraft“. HARTZ macht Schluss mit gewerkschaftlicher Mitbestimmung. HARTZ setzt an seine Stelle das alles umfassende Management des Unternehmers. HARTZ tut so, als mache er Schluss mit der Existenz von „Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“, indem er beide zu Kunden des Arbeits-amtes, der PSA macht.

 

Welcher Ausweg ist möglich , welche Lösungen kann man angehen ? Dazu drei Gedankengänge :

 

1. Für den Arbeitsmarkt braucht Deutschland einen Politikwechsel . Das erfordert zuerst ein Brechen mit der herkömmlicher Logik , mit den nicht mehr hinterfragten , scheinbar „ewigen“ Grundvoraus-setzungen der Arbeitsmarktpolitik. Dazu zählen die „konzertierte Aktion“ und das seit Jahren prak-tizierte „Bündnis für Arbeit“ , dessen Neuauflage ja anscheinend bevorsteht.

Ein Bündnis für Arbeit ist jedoch ein hilfloser Versuch , ein Irrweg. Und zwar objektiv ! Das sehen selbst Fachleute für Unternehmensführung so. Der ehemalige Europa-Chef von Mc Kinsey und Mit-glied der Corporate-Governance-Kommission der Bundesregierung, sagte der Frankfurter Allgemei-nen vom 1.3.2002 : Die geplante Umstrukturierung der Bundesanstalt „ist ein reines Placebo“, das Zu-sammenwirken von „Gewerkschaften, Arbeitgeber und Vertreter der öffentlichen Hand“ ermögliche keine „effektive Kontrolle der Bundesanstalt“, denn „Jede dieser Gruppen hat ganz andere Probleme oben auf ihrer Agenda.“  .

In der Tat ! Ob „konzertierte Aktion“ oder „Bündnis für Arbeit“ - das alles ist Schaulaufen ohne Punk-tewertung. Man tut etwas, viele Reiche freuen sich, aber ein menschenwürdiges Ergebnis kommt nicht zustande. Das Bemühen um eine kapitalistische Ökonomie ohne Arbeitslosigkeit, das ist identisch mit dem Bemühen um ein rundes Viereck. Neoliberaler Kapitalismus ohne Arbeitslosigkeit ? Das hieße , dem Regen die Nässe nehmen !

Wenn wir demnächst wieder aufgefordert werden , im „“Bündnis für Arbeit“ weiterhin eine sachge-rechte Lösung für Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu sehen, dann möchte man die Vertreter solcher Auffassung bitten : Seid ganz konsequent und benennt z.B. einen industriell arbeitenden Schlachthof um in „Bündnis für Steaks.“  Die Rindviecher wissen ja nichts davon.

2. Die PDS will den politischen Streit um die Zukunft unseres Landes voll und ganz auf dem Boden des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland führen. Deshalb z.B. wird sie Verfassungstext und Verfassungswirklichkeit ständig kritisch prüfen und sich gegebenenfalls politisch dafür einsetzen, den Text an die Wirklichkeit oder die Wirklichkeit an den Text anzupassen.

Natürlich soll man einerseits die neuen Chancen würdigen, die wir alle durch das Hinzugewinnen der klassischen Freiheitsrechte erhalten haben. Das darf  aber andererseits nicht dazu führen darf, die mo-dernen sozialen Grundrechte gering zu schätzen. Deshalb müssen wir uns z.B. über die Menschen-rechte im Klaren sein. Sie sind im Artikel 1 des Grundgesetzes als Grundlage unserer Gesellschaft hervorgehoben.

Von allen westlichen Industriestaaten sind die Menschenrechte so anerkannt, wie sie die UNO im De-zember 1948 beschlossen hat. Darin heißt es z.B. in Artikel 23  :

„Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Ar-beitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit. Alle Menschen haben ohne jede unter-schiedliche Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und ... durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist.“ 

Auch die christlichen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland unterscheiden „drei Arten von Men-schenrechten“. Neben individuellen Freiheits- und politischen Mitwirkungsrechten sind das die „wirt-schaftlich - soziale(n) und kulturelle(n) Grundrechte, die den Anspruch auf Teilhabe an den Lebens-möglichkeiten der Gesellschaft begründen und Chancen menschlicher Entfaltung sichern: Recht auf Bildung und Teilnahme am kulturellen Leben, Recht auf Arbeit und faire Arbeitsbedingungen, Recht auf Eigentum, Recht auf soziale Sicherung und Gesundheitsversorgung auf Wohnung, Erholung, Frei-zeit.“    / Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Hannover und  Bonn 1997, S.26 /

3. Wir werden in der Bundesrepublik dann die Arbeitslosigkeit eindämmen und beseitigen, wenn wir  uns lebenswerte Prämissen setzen. Wir werden es lernen müssen, den Standpunkt abzulehnen, der Mensch sei für die Wirtschaft da. Wir werden es lernen müssen, klar und eindeutig eine Politik zu ma-chen, die statt dessen davon ausgeht: die Wirtschaft ist für den Menschen da.

Nur diese Art, ökonomisch zu denken , kann (und wird meiner Überzeugung nach ) zu einem politisch wirksamen Faktor bei der Bewältigung der Arbeitslosigkeit werden.

Solange jedoch z.B. Löhne, Gehälter und Steuern nur betriebswirtschaftlich als gewinnschmälernde Kosten gesehen werden, ist keine Änderung möglich. Erst wenn Löhne, Gehälter und Steuern volks-wirtschaftlich als Ankurbelung konsumtiver Nachfrage und öffentlicher Ausgaben fürs Gemeinwohl bewertet und begriffen werden, werden Änderungen möglich. Auch der immer mal wieder von den „Arbeitgebern“ ins Spiel gebrachte Lohnverzicht der abhängig Beschäftigten wäre allenfalls denkbar, wenn die Unternehmen auf den Profit verzichten und nur noch Kostendeckung fordern, wenn die Großaktionäre sich mit ihrem Wertbesitz begnügen und auf Dividende verzichten, wenn die Banken nicht leichtsinnig, aber großzügig Kredite geben und auf Zinsen über 1,5 %  verzichten. Ist das nicht realisierbar, dann wird Lohnzurückhaltung ebenso wie die Ausdehnung eines Niedriglohnsektors – wie bisher - nur dazu führen, die „da oben“ reicher zu machen, das Gemeinwohl zu schwächen und die Krise in der Bundesrepublik zu vertiefen.

Wirtschaftspolitik darf deshalb nicht mehr so verstanden und betrieben werden , dass für bestimmte Interessen der Wirtschaft Politik gemacht wird. Vielmehr muss Politik stärker sichern , dass wirt-schaftliches Handeln sich an politisch definierten Zielstellungen ausrichtet. Dafür könnte die im Grundgesetz festgeschriebene Sozialpflicht des Eigentums für das Gemeinwohl durchaus eine wesent-liche rechtliche Grundlage sein . 

Ganz klar : Ja - Marktwirtschaft brauchen wir, Politik muss sie erst wieder sozial machen ! Der Weg in die Marktgesellschaft , in der nur zählt, was sich rechnet und absolut alles andere eliminiert wird (egal ob z.B. Jugendklub, Oper , Lehrer oder Obdachloser) muss abgebrochen werden.

Noch einmal sollen die beiden großen christlichen Kirchen der Bundesrepublik zitiert werden: „Die Besinnung auf das Menschenbild und die Grundwerte, auf denen die Soziale Marktwirtschaft gründet, ist die unerläßliche Voraussetzung für eine nachhaltige Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage.“       / Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Hannover und  Bonn 1997, S.39 /

 

AUSKÜNFTE

Blättchen aus dem Wahlkreisbüro von T. Koplin – kostenlos, aber gewiss nicht umsonst

SONDERAUSGABE                                                                                                        JANUAR 2003

 

Die HARTZ - Reise? Wohin geht sie?

 

Mit den Hartz-Gesetzen der Bundesregierung  wird nicht nur der Arbeitsmarkt, nein unsere Gesell-schaft  wird grundlegend verändert! DESHALB : Die HARTZ - Reise  geht jede und jeden an. Die Rentnerin wie den Schüler , die Verkäuferin wie den Hausmeister, den Arbeitssuchenden wie die Angestellte im Öffentlichen Dienst, den Busfahrer wie den Handwerksmeister….

 

Liebe Leserin, lieber Leser, bitte lesen Sie das Blättchen, geben Sie es weiter und sprechen Sie mit Bekannten darüber!

 

Warum bitte ich Sie darum ?

 

Erstens, wegen der Art und Weise, wie die Hartz-Reise zustande kam :

 

Am 15.August 2002 legte die so genannte Hartz-Kommission einen Bericht vor. Er hat 343 Seiten und die Überschrift „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt.“ Am 17.August 2002 stimmte diesen Vorschlägen eine SPD-Parteikonferenz zu. Am 18.August 2002 stimmte der Vorstand von Bündnis 90/ Die Grünen zu. Am 20.August 2002 wurden sie in einer Sitzung des Bundeskabinetts die  zum offiziellen Beschluss der Regierung.

Preisfrage: Wer von den Teilnehmern hatte bis zur Beratung und Entscheidung die 343 Seiten gelesen und verstanden?

Seit August 2002 wird versucht, jede Kritik an den Hartz-Vorschlägen zu verhindern, und zwar mit folgendem Argument :

Bevor die Vorschläge veröffentlicht wurden, kann es keine sinnvolle Kritik geben, denn die könnte ja nur in Unkenntnis der Gesamtheit des Programms geschehen. Nach der Veröffentlichung der Vor-schläge kann es keine vernünftige Kritik geben, denn jetzt kommt es darauf an, zuzupacken und nicht zu lamentieren.

Preisfrage: Ist das demokratisch oder ähnelt es eher der Devise: Friß, Vogel oder stirb! ?

Bevor die Hartz-Reise losging, gab es – Sie erinnern sich? – den Vorwurf der Faulheit von Kanzler Schröder an die Arbeitssuchenden, dann gab es das Job-Aqtiv-Gesetz und dann den Skandal der Bun-desanstalt für Arbeit wegen der geschönten (oder kann man sagen gefälschten?) Zahlen. Das alles half nichts gegen die Tatsache, dass sich die Bundesrepublik Deutschland seit den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts und bis heute in einer Krise befindet, die durch dauerhafte Massenarbeitslosigkeit, fehlen-de existenzsichernde Arbeitsplätze, schnelle Zunahme von niedrig bezahlter Arbeit, Zunahme von Ar-mut und kontinuierlichen  Abbau sozialer Leistungen für Arbeitssuchende gekennzeichnet ist.

 

Gegen diese Krise sind mutige und kreative Reformen dringend erforderlich.

 

Die HARTZ-Vorschläge und die darauf basierenden Gesetze der Bundesregierung sind jedoch das ge-naue Gegenteil! Sie setzen die krisenhaften Entwicklungen fort! Und zwar zu Ungunsten der jetzt noch Arbeit Habenden, der Arbeitssuchenden, der Ausbildung Wollenden, letztlich auch zu Ungunsten derer, die ihr Arbeitsleben hinter sich haben.

 

Kann man das beweisen ?  JA ! Ich möchte nur drei, allerdings einschneidende Dinge benennen und damit zum zweiten Teil meiner eingangs geäußerten Bitte:

 

Zweitens, wegen der sofort bzw. kurzfristig eintretenden Wirkungen, wegen der einen Seite des was.

 

1. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe bedeutet eine Kürzung der Leistungen für Erwerbslose. Das Arbeitslosengeld soll künftig nicht mehr wie bisher gemäß der Lohnentwicklung dy-namisiert werden. Es soll auch nur noch der Lohn im letzten Jahr als Berechnungsgrundlage genommen werden. Das heißt im Klartext : Arbeitslose erhalten keinen Ausgleich für den Preisanstieg und bei

Lohnverzicht oder –reduzierung im letzten Jahr der Beschäftigung verringert sich das Arbeitslosengeld rapide.

 

Das schon geschriebene Gesetz verlangt die verstärkte Berücksichtigung des Einkommens des Partners und die Heranziehung des Vermögens. Experten haben errechnet, dass das einen Verlust von bis zu 110 Euro bedeuten kann und dass eine Reihe von Erwerbslosen aus dem Leistungsbezug herausfallen, weil sie erst das Vermögen oberhalb des von 520 auf 200 Euro herabgesetzten Freibetrages aufbrauchen müssen. Das heißt im Klartext : Vielen wird es (erst finanziell und dann bald allgemein) schlechter ge-hen.

2. Mit den sogenannten Personal-Service-Agenturen (PSA) wird jeder Arbeitssuchende gezwungen, ein Leiharbeiter zu werden, wenn es das Arbeitsamt für richtig hält. Er ist dann besonders ungeschützt, weil er befristet beschäftigt ist, weil er von der  Mitbestimmung ausgeschlossen ist, weil sein Lohn unter dem der regulär im Betrieb Beschäftigten liegt (z.Z.ca.30 ! %) Künftig soll ihm in den ersten 6 Monaten Lohn in Höhe des Arbeitslosengeldes gezahlt werden.

Das heißt im Klartext: Die Ware Arbeitskraft wird nicht nur billiger (für den sog. Arbeitgeber ein gro-ßer Vorteil), sondern ihr Besitzer unterliegt erheblichen Zwängen (für den sog. Arbeitnehmer ein großer Nachteil)

3. Ab dem 7. Monat der Arbeitslosigkeit ist jedem jede Arbeit , die in Höhe des Arbeitslosengeldes ent-lohnt wird, zumutbar; jungen Singles ab dem 3.Monat. Will man das nicht, muss es der Arbeitssuchen-de beweisen. Anerkennt das Arbeitsamt diesen Beweis nicht, hat das Leistungskürzungen bzw. vollstän-dige Streichung der Leistung zur Folge. Es gibt allerdings ein schönes Prinzip der „Freiwilligkeit“. „Niemand ist gezwungen, eine angebotene Stelle anzunehmen, in die PSA einzutreten oder an einer Maßnahme zur Integrationsförderung teilzunehmen“ heißt es auf Seite 97 der 343 HARTZ-Seiten. Nur hat das dann leider zur Folge, dass er ohne Leistungen des Arbeitsamtes leben darf..

Das heißt im Klartext:  Sowohl das Arbeitsamt als auch der Arbeitssuchende haben neue Freiheiten. Jeder seine!

 

Auf weitere Details muß ich verzichten , um meine anfangs geäußerte Bitte mit Hinweisen auf die all-gemeinen Folgen zu belegen.

 

Drittens also bitte ich Sie, das Blättchen, zu lesen, es weiterzugeben und mit Bekannten darüber zu sprechen , wegen der langfristigen Wirkungen, der anderen Seite des was.

 

HARTZ ist weit mehr als einfache Reform auf dem Arbeitsmarkt. HARTZ ist ein Gesamtkonzept zur Veränderung der Gesellschaft. HARTZ überträgt das Leitbild der sächsisch-bayerischen CDU-Zu-kunftskommision in SPD-Politik. HARTZ propagiert das Leitbild von der völligen Ökonomisierung des menschlichen Lebens aus unternehmerischer Sicht.

Leitbilder sind dazu da, Probleme aus einer vorgegebenen Perspektive zu betrachten .

 

HARTZ will den Wert der „Ware Arbeitskraft“  korrigieren, sozusagen neu „eichen“. HARTZ macht Schluß mit dem Rechtssubjekt „Arbeitender Mensch“. HARTZ setzt an seine Stelle das Wirtschafts-objekt „Arbeitskraft“. HARTZ macht Schluß mit gewerkschaftlicher Mitbestimmung. HARTZ setzt an seine Stelle das alles umfassende Management des Unternehmers. HARTZ tut so, als mache er Schluß mit der Existenz von „Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“, indem er beide zu Kunden des Arbeitsam-tes, der PSA macht.

 

Wie sieht das konkret aus?

 

Der (ehemalige?) Arbeitgeber als Kunde bei PSA :

* erhält umfassenden Einblick in das zur Verfügung stehende Angebot an Humankapital

* kann die Ware Arbeitskraft kostenlos auf Probe oder gegen geringes Entgelt einstellen

* erhält dafür einen Nachlass bei seinem Anteil an der Arbeitslosenversicherung

* kann die Ware Arbeitskraft jederzeit an PSA zurückgeben

Der (ehemalige?) Arbeitnehmer als Kunde bei PSA  :  

* darf sich zu von ihm unbeeinflussbaren Bedingungen ausleihen lassen

* will er das nicht, bekommt er gekürzte Gelder

* kann dann beim Sozialamt für 1,5 Euro proTag um Arbeit nachsuchen.

 

Man erkennt sofort :

Zwei gleichberechtigte Kunden ! Kein Kapitalismus mehr ! Keine Ausbeutung mehr !

 

Mit HARTZ – vorwärts zu den lichten Höhen der modernen Dienstleistungsgesellschaft !

 

Sind  Sie eventuell anderer Meinung?

Dann sagen Sie sie der/dem Abgeordneten Ihrer Wahl Oder Ihrer Gewerkschaft Oder Ihrer Regierung Oder Ihrer Zeitung

 

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ANHANG 2

 

Etwas zum Nachdenken[und vielleicht zum Nach-Denken?]

 

Zitiert aus UTOPIE kreativ, H. 159 (Januar 2004), S. 64-67

Es sollte kein Armer unter Euch sein. /1/

Anfragen zur Agenda 2010 der Bundesregierung – und eine Antwort

1 Der Titel lautet in Gänze: »Es sollte kein Armer unter Euch sein (5. Moses 15,4) oder: technischen Fortschritt in sozialen Fortschritt übersetzen. Anfragen an die Agenda 2010 der Bundesregierung.

Im Auftrag der Synode des Kirchenkreises Herne beschlossen und herausgegeben vom Sozialausschuß des Kirchenkreises

Herne, Juli 2003.«

 

Im Juli 2003 veröffentlichte der Sozialausschuß des Kirchenkreises Herne im Auftrag seiner Synode das im folgenden abgedruckte Papier. Mitglieder des Ausschusses sandten es an Ab-geordnete des Deutschen Bundestages weiter.

Wir sind Teil der evangelischen Kirche im Herzen des Ruhrgebiets. Also in einer Region, in der die Menschen und die unterschiedlichen Institutionen und Organisationen seit mehreren Jahrzehnten daran arbeiten, den Umbruch von der alten Schwerindustrie zur Dienstleistungs-gesellschaft zu bewältigen. Die offizielle Arbeitslosigkeit beträgt in Herne zur Zeit 15,2% und in Castrop-Rauxel 11,6% (Stand: Mai 2003). Rund 40% der arbeitslosen Mitbürgerinnen und Mitbürger sind so genannte Langzeitarbeitslose: also länger als ein Jahr, nicht selten seit vie-len Jahren arbeitslos. Seit Jahren leisten die hier lebenden Menschen Verzicht in Form von Arbeitsplatzverlusten und Leistungskürzungen, um den Strukturwandel zu bewältigen. Gezeigt hat sich, daß Leistungskürzungen für Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen in unserer Region zu spürbaren Kaufkraftverlusten führen. Statt daß es zu einer Verbesserung der allgemeinen Lage in Form neuer auskömmlicher Arbeitsplätze kommt, verschärft sich die öffentliche Armut, die dann zu neuen Leistungskürzungen treibt – mit der Folge einer weite-ren Zunahme privater Armut.

 

Vor diesem sozialen Hintergrund bestreitet wohl kaum jemand, daß Reformen nötig bzw. überfällig sind. Doch gerade vor diesem Hintergrund sind die Reformen, die gegenwärtig auf den Weg gebracht werden, nur schwer nachvollziehbar. Die Reformen sprechen von Fördern und Fordern. Unterstellt wird damit vor allem, daß Arbeitslose in der Vergangenheit zu wenig gefordert seien. Wer die Realität im Ruhrgebiet kennt, weiß aber, dass allein in den neunziger Jahren Hunderttausende von Industriearbeitsplätzen und Arbeitsplätzen in den klassischen Dienstleistungsbereichen abgebaut worden sind ( Vergleichbares gilt für weite Teile Ost-deutschlands). Im Ergebnis fehlen heute rund 6 bis 7 Millionen Arbeitsplätze in der gesamten Republik.

 

Daraus resultiert eine erste Frage:

Was bewegt Politiker angesichts dieser Realität zu der Annahme, Arbeitslosigkeit könne da-durch abgebaut werden, daß Arbeitslose mehr gefordert, stärker unter Druck gesetzt werden? Der größte Teil von ihnen leidet doch schon jetzt unter der Situation der Ausgrenzung durch Arbeitslosigkeit.

 

Eine weitere Frage schließt sich direkt an.

Die gegenwärtigen Reformvorschläge unterstellen als eine zweite wesentliche Ursache von Arbeitslosigkeit Organisationsprobleme der Arbeitsverwaltung. Auch wir sehen, daß es Re-formbedarf in der Arbeitsverwaltung gibt. Dennoch stellt sich die Frage, wie durch eine Reor-ganisation der Arbeitsverwaltung das strukturelle Arbeitsplatzdefizit in unserer Gesellschaft überwunden werden soll.

Zum Beginn des Jahres 2003 ist das Gesetzespaket »Moderne Dienstleistungen am Arbeits-markt« in Kraft getreten. Die bisherigen Erfahrungen damit stimmen die Betroffenen wenig optimistisch. Die Beraterinnen und Berater aus Arbeitslosenzentren berichten von großer Ver-unsicherung unter den Arbeitslosen, aber auch unter den Beschäftigten der Arbeitsämter. Die Rede ist von Informationsdefiziten, gelegentlich auch von Informationschaos in den Arbeits-ämtern. Mitarbeiter aus den Arbeitsämtern beklagen, daß der Umbau »Arbeitsamt 2000« durch die neuen Gesetze abrupt abgebrochen wurde. Die meisten Arbeitslosenzentren und Ar-beitslosenberatungsstellen, die seit vielen Jahren eine wichtige und gute Arbeit leisten, wer-den in unserer Region nur noch bis Ende 2003 gefördert. Dann müssen sie geschlossen wer-den, weil die Förderprogramme eingestellt werden.

Beschäftigungs- und Qualifizierungsinitiativen und Beschäftigungs-und Qualifizierungsge-sellschaften, die in vielen Jahren ein großes know-how aufgebaut haben, die überprüfbar er-folgreich arbeiten, die bei der Bewältigung des Strukturwandels eine wichtige soziale Rolle spielen und wichtige psychologische Funktionen wahrnehmen, sind durch die genannten Ge-setze ebenso in ihrer Existenz bedroht wie die Arbeitslosenzentren und Arbeitslosenbera-tungsstellen.

 

Für alle Betroffenen sind diese Entwicklungen nicht mehr nachvollziehbar. Was hat die skiz-zierte Zerschlagung sozialer Infrastrukturen mit Reformen zu tun, fragen viele Betroffene, wie sollen so Arbeitsplätze geschaffen werden – werden doch hier erst einmal vorhandene Ar-beitsplätze im Rahmen dieser sozialen Infrastruktur abgeschafft. Gerade in dieser skizzierten sozialen Infrastruktur liegen Entwicklungspotentiale für ein sogenanntes Drittes System (Drit-ter Sektor), das gesellschaftlich nötige Arbeit – wie zum Beispiel personale Dienstleistungen, die eben nicht immer marktgängig sind – organisieren kann. Nicht die Abschaffung, sondern die sinnvolle Weiterentwicklung von Förderinstrumenten hin zu einer Grundstruktur eines Dritten Systems wäre politisch angesagt.

 

Was hindert Politiker, was hindert unsere Gesellschaft daran, diesen Impuls aufzunehmen, der ja doch mittlerweile von gar nicht so wenigen Fachleuten immer wieder in die Diskussion ein-gebracht wird? Es gibt genügend Beispiele, die hoffnungsvoll sind, die nun aber in ihrer Exi-stenz bedroht sind.

 

Abschließend wollen wir noch ein paar grundsätzlichere Fragen stellen.

Im fünften Buch Moses im 15. Kapitel im Vers 4 heißt es: »Es sollte überhaupt kein Armer unter euch sein; denn Gott wird dich segnen in dem Lande, das er dir zum Erbe geben wird.« Dies ist einer der elementarsten sozialethischen Maßstäbe, an denen eine Gesellschaft sich messen lassen muß – nicht nur aus christlicher Sicht.

 

Von dieser Ausgangsposition herkommend, können wir die Diskussion um Niedriglohn-Jobs, die vorwiegend für Arbeitslose vorgesehen sind, nicht nachvollziehen.

Wovon sollen Menschen im sogenannten Niedriglohnsektor leben? Mit welchem Recht soll wer in unserer Gesellschaft entscheiden, wer sein Dasein im Niedriglohnsektor fristen muß und wer nicht? Auf welcher ethischen Grundlage beruht die Forderung nach einem Niedrig-lohnsektor für einen Teil der Männer und Frauen in unserer Gesellschaft?

 

Nach den USA und Japan stellt die BRD die stärkste und leistungsfähigste Volkswirtschaft weltweit dar. Wieso soll es in diesem Land nicht möglich sein, jeder Bürgerin und jedem Bür-ger im arbeitsfähigen Alter eine sinnvolle und menschenwürdige Arbeit und ein auskömmli-ches Einkommen anzubieten und zur Verfügung zu stellen?

 

Die gegenwärtig am häufigsten diskutierte Frage heißt: Wie können die Kosten der Arbeit ge-senkt werden?

Muß die Frage aber nicht heißen: Wie können wir alle Männer und Frauen in unserer Gesell-schaft so an Arbeit und Einkommen beteiligen, daß sie ein auskömmliches Einkommen be-kommen und ein gutes und sinnerfülltes Leben leben können? Oder etwas anders formuliert: Wie läßt sich der enorme technische Fortschritt, der in den vergangenen Jahrzehnten zum Abbau hunderttausender Arbeitsplätze und zu einer immensen Steigerung der Produktivität geführt hat, endlich in sozialen Fortschritt übersetzen? Und zwar derart, daß junge Menschen eine gute und zukunftsfähige Ausbildung in Schule und Beruf erhalten; daß die arbeitslosen Mitbürgerinnen und Mitbürger wieder in unsere Gesellschaft integriert werden; daß kranken Menschen die nötige Hilfe zuteil wird – auch wenn sie alt sind; und daß alten Menschen ein Lebensabend in Würde ermöglicht wird – auch wenn sie krank sind.

 

Anfang September ging beim Sozialausschuß des Kirchenkreises Herne folgende Antwort von einem SPD-Abgeordneten des Deutschen Bundestages ein, der laut Website des Bundestages auch langjähriger Gewerkschaftssekretär ist /2/

 

/2/ Der Name des SPD-Abgeordneten ist der Redaktion bekannt. Eine schriftliche Anfrage vom 13. November 2003 an den Abgeordneten mit der Bitte um die Erlaubnis, seinen Namen drucken zu dürfen, blieb unbeantwortet.

 

Sehr geehrte Frau S.,

ungeachtet der Tatsache, daß es sich nicht um einen Text Ihres Kirchenkreises handelt, rege ich an, jetzt nur noch den Wunsch nach Freibier für alle anzufügen. Damit wäre dann die For-derungsliste komplett.

Zum Thema kann ich Ihnen mitteilen, daß ich gerade von Besuchen in Kinderwaisenhäusern in Weißrußland und aus verschiedenen Flüchtlingslagern in Aserbaidshan zurückgekehrt bin. Ich bin gerne bereit, Ihnen ausführlicher über meine Erfahrungen zu berichten. Die Menschen dort sehnen sich geradezu – wie übrigens auch ein Großteil der Menschen in vergleichbaren Industrienationen – nach unserem »Sozialabbau«. Sollte ich bei Ihnen jetzt wenigstens etwas Nachdenklichkeit bewirkt haben, würde ich mich sehr freuen. Ich vertrete aber dessen unge-achtet gerne die Interessen der Menschen, die in der Lage sind, über ihren Tellerrand hinaus-zublicken und auch gegenüber anderen und nachfolgenden Generationen einen Hauch von Verantwortung zu übernehmen bereit sind. Gerade deshalb unterstütze ich die Agenda 2010 auch weiterhin mit Nachdruck.

Mit freundlichen Grüßen.

 

 

Auf dieses Schreiben antwortete Jürgen Klute, Sozialpfarrer des Kirchenkreises Herne, wie folgt: /3/

/3/ Jürgen Klute, evangelischer Sozialethiker, Industrie-und Sozialpfarrer,Leiter des Sozial-pfarramtes des Kirchenkreises Herne. Jürgen Klute hat der Redaktion die Erlaubnis erteilt, seinen Namen in diesem Briefwechsel anzugeben.

 

Als Sozialpfarrer des Kirchenkreises Herne habe ich die Stellungnahme in Abstimmung mit dem Sozialausschuß, der Kreissynode und dem Kreissynodalvorstand erarbeitet und formu-liert. Die Synode hat den Auftrag zu diesem Papier gegeben. Sozialausschuß und Kreissyno-dalausschuß haben es verabschiedet per Beschluß.

Daß ein sozialdemokratischer Bundestagsabgeordneter, der zudem auch noch Gewerkschafts-sekretär ist, sich auf ein solches Niveau herunterläßt, wie Ihr Brief an Frau S. es repräsentiert, erschreckt und irritiert mich.

Im übrigen habe ich die Agenda 2010 bisher als ein innergesellschaftliches Umverteilungs-papier gelesen. Daß es um eine Wohlstandsabsenkung innerhalb der Bundesrepublik mit ei-nem entwicklungspolitischen Ziel gehen soll – also einer Wohlstandsmehrung in Ländern wie Aserbaidshan – ist mir in der bisherigen Diskussion um die Agenda 2010 schlicht entgangen.

Darüber hinaus habe ich die Politik der SPD und vor allem der Gewerkschaften bisher so ver-standen, daß es um die Überwindung von Not und Elend durch eine gerechte Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands geht. Daß die Not von Menschen in anderen Teilen der Welt dazu herhalten muß, um den kleinen Leuten bei uns den bescheidenen Wohlstand, in dem sie zugegebenermaßen leben, streitig zu machen, um den privaten Reichtum in unserer Gesell-schaft weiter zu mehren, ist mir als Element gewerkschaftlicher Politik (und eigentlich auch sozialdemokratischer Politik – zumindest historisch betrachtet) neu.

Ich bin gespannt auf die nächsten Wahlen.

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Klute

 

 

 

 

Rand- und Zusatzbemerkung:

 

Nach dem Erscheinen des Artikels / und das ist zuerst natürlich ein zeitlicher Zusammenhang, aber mit Blick auf die vom Kirchenkreis Herne angesprochenen Inhalte wahrscheinlich auch ein ursächlicher Zusammenhang / gab es bekanntlich im Jahre 2004 mehrere Wahlen.

 

Die SPD erreichte

bei den Landtagswahlen Hamburg                               30,5 %            [-6,0 % ]

bei den Kommunalwahlen MV                        19,1 %            [-4,9 % ]

bei den Kommunalwahlen Sachs/Anh.             19,8 %            [-8,0 % ]        

bei den Kommunalwahlen Rheinl./Pf.               28,9 %            [-7,2 % ]

bei den Kommunalwahlen Bad./Württ.             22,5 %            [-1,5 % ]

bei den Kommunalwahlen Saarl.                                  36,1 %            [-7,1 % ]

bei den Landtagswahlen Thür.                         14,5 %            [- 4,0 % ]

bei den bundesweiten Europawahlen                           21,35               [- 9,2 % ]

bei den Kommunalwahlen Thür.                                  15,3 %            [- 8,8 % ]                   

bei den Landtagswahl in Saarl.                         30,8 %            [-13,5 %]

bei den Landtagswahlen in Bra.                                   31,9 %            [ - 7,4 %]

bei den Landtagswahlen in Sachs.                                9,8 %              [ -0,9 % ]

bei den Kommunalwahlen in NRW                              31,1 %            [ -2,7 % ]       

 
 
Sollte eine PDS, die für einen „Richtungswechsel in der Politik hin zu mehr sozialer Ge-rechtigkeit, Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung und ziviler Konfliktlösung“ eintritt  und dieses Ziel „nur realisieren (kann), wenn sie das strategische Dreieck von Wider-stand und Protest, Mit- und Umgestaltung, über den Kapitalismus hinausgehende Alternativen auszufüllen vermag“ (Thesen zur Strategie der PDS ; Geleitwort von Lothar Bisky, 22.06.2004) mit dieser gebeutelten SPD nicht anders umgehen, als ihr bei HartzIV verbal zuzusetzen und realpolitisch zu folgen?
 
Wird Hartz IV am 1.1.2005 in Kraft treten ? Wenn ja, gewiß nicht wegen der Stärke der
SPD. Weswegen aber dann ?

 

 

 

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ANHANG 3

 

Schwerin, 15. September 2004. Bei der ersten Lesung des "Entwurfs eines Gesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch" der Fraktionen SPD und PDS im Landtag nimmt heute Helmut Holter, Minister für Arbeit, Bau und Landesentwicklung, das Wort.

Hier Auszüge aus dem Redemanuskript.

 

Ein Landesausführungsgesetz kann im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung nach Ar-tikel 74 Nr. 7 Grundgesetz nur organisatorische und verfahrensrechtliche Bestimmungen ent-halten. Für landesrechtliche Vorschriften materiell-rechtlicher Art besteht keine Grundlage. Daraus folgt, dass Mitwirkung am Ausführungsgesetz nicht heißt, den Inhalten von Hartz IV zuzustimmen! Es ist daher weder politisch noch rechtlich ein Widerspruch, die Regelungen des Bundesgesetzgebers für fachlich falsch und ungeeignet zu halten - gleichwohl zügig die Voraussetzungen für einen reibungslosen Gesetzesvollzug zu schaffen.

 

Während also verwaltungsmäßig viel auf gutem Wege ist, offenbaren sich immer mehr die Schwächen und Fehlkonstruktionen des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen auf dem Arbeitsmarkt. Ich werde auch künftig nicht mit an der Legende stricken, nach der Hartz IV ein richtiges Gesetz ist, das nur falsch verstanden wird. Es ist ein zumindest für den Osten falsches Gesetz, und das verstehen die Menschen auf der Straße richtig! Lassen Sie mich da-für drei Beispiele nennen, die ich auch in der von der Bundesregierung einberufenen Monito-ringgruppe Ost angebracht habe.

 

Erstens. Es ist nicht nachvollziehbar, dass 14 Jahre nach der Vereinigung die Grundsicherung für den Osten auf 331 Euro und für den Westen auf 345 Euro festgelegt wird. Dies, obwohl die Warenkörbe in Ost und West gleich sind und sich auch die Preise beispielsweise für Grundnahrungsmittel nicht unterscheiden. Bezeichnenderweise teilt der große Lebensmittel-discounter ALDI für seine Produktpalette und Geschäftsbereiche die Bundesrepublik in ALDI Nord und ALDI Süd auf, nicht jedoch in Ost und West. Im Übrigen bin ich der Auffassung, dass die genannten Beträge weder in Ost noch in West ausreichen, um den Lebensunterhalt zu sichern.

 

Höhere Beträge im Vergleich zur bisherigen Sozialhilfe täuschen darüber hinweg, dass durch den Wegfall von Einmalleistungen, wie Bekleidungsgeld oder der Ersatz von Haushaltsgerä-ten diese Erhöhungen mehrfach kompensiert werden. Von was sollen eine Waschmaschine, ein Herd, ein Kühlschrank repariert werden? Wer glaubt, dass von den 331 Euro etwas für solche Sonderbelastungen zurückgelegt und gespart werden kann, ist lebensfremd. Ich halte einen Betrag von 400 Euro in Ost und West als Grundsicherung für angemessen und eine An-hebung für dringend geboten

.

Zweitens. Bei der Schaffung von Arbeitsgelegenheiten werden die Mehraufwandsentschädi-gungen von ein bis zwei Euro zu recht nicht auf die Grundsicherung angerechnet. Aber bei ei-ner Annahme eines Jobs, bei dem bis zu 400 Euro hinzu verdient werden kann, erfolgt grund-sätzlich eine 85prozentige Anrechnung auf das Arbeitslosengeld II.


Das passt doch nicht zusammen! Eine solche Konstruktion ist nicht geeignet, Anreize für die Aufnahme einer Beschäftigung zu geben. Sie fördert faktisch Schwarzarbeit. Hinzu kommt, dass die Arbeitsgelegenheiten den Menschen keine Perspektive auf eine Integration in den all-gemeinen Arbeitsmarkt eröffnen. Es ist eher zu befürchten, dass sie im Gegenteil dazu beitra-gen, Dauerarbeitslosigkeit zu verfestigen. Es kann in der Arbeitsmarktpolitik doch nicht dar-um gehen, die Statistik zu schönen.


Drittens. Ein Skandal ist es, dass die Bundesregierung sich weigert, den Personen, die unter die so genannte 58er Regelung fallen, Vertrauensschutz zu gewähren. Mit der Regelung des Paragraphen 428 im Sozialgesetzbuch III sollte Arbeitnehmern, die das 58. Lebensjahr vollen-det haben, der Bezug von Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen ermöglicht werden, wenn sie sich verpflichten, zum frühest möglichen Zeitpunkt Altersrente zu beantra-gen. Vielen älteren Arbeitslosen wurde von den Arbeitsagenturen dieser Weg in die Rente sehr, sehr nahe gelegt. Viele haben auf die Zusage vertraut, dass es bis zum Eintritt in die Rente bei den Leistungen bleibt. Nun ist alles nicht mehr wahr - sie sehen sich faktisch in die Sozialhilfe gedrängt.


Die Bundesagentur wird nach eigenen Angaben nur in der Lage sein, für jeden vierten Lang-zeitarbeitslosen über 25 Jahre eine Arbeitsgelegenheit anzubieten. Bei jungen Menschen unter 25 Jahren soll nur für jeden zweiten eine Arbeitsgelegenheit geschaffen werden, obwohl das Gesetz eine Aktivierung aller unter 25-jährigen verspricht. Was wird mit den anderen? Welche Angebote werden Arbeitslosen gemacht, wenn die Arbeitsgelegenheit nach sechs bis neun Monaten ausgelaufen ist? Welche Perspektive gibt es dann? Vorhang zu und alle Fragen offen!

"Fördern und Fordern" ist die Hartz-Philosophie. Vor dem Hintergrund eines rückläu-figen Anteils des Ostens an den Eingliederungsleistungen verliert das Fördern seine fi-nanzielle Basis. Es bleibt bei den Forderungen und Zumutungen für Arbeitslose. Die Vielzahl von konzeptionellen Ungereimtheiten und Fehlern und die demonstrative Igno-ranz, mit der in Berlin mit berechtigten Sorgen und Nöten der Bürger umgegangen wird, erbost die Menschen. Die Empörung ist berechtigt und der Protest legitim.

Trotzdem müssen die Institutionen, die Parlamente und Verwaltungen in den Ländern, unab-hängig von ihrer politischen Orientierung und Bewertung der Politik der Bundesregierung dafür sorgen, dass die Landkreise und kreisfreien Städte handlungsfähig werden. Die Lei-stungsempfänger müssen pünktlich und zuverlässig das erhalten, was ihnen zusteht. Ich bitte Sie daher um eine konstruktive und zügige Beratung des Gesetzentwurfs.

 

 

Dazu fallen mir nur drei Sätze ein :

1.Den Leistungsempfängern steht mehr zu, als sie durch Hartz IV erhalten; sowohl mehr Geld als auch und vor allem ein existenzsichernder Arbeitsplatz !

2. ALLES WIRD GUT ( für die da oben ),

ABER NICHTS WIRD BESSER ( für die da unten ).

3. Auch mit Hilfe der PDS.

 

Saftiger, zynischer, aber sachlich korrekt sagt es ein Leserbrief in der jungen Welt vom 20.09.2004

 

Rainer Steinberg Unverschämt

Michael Rogowski hat gefordert, die Wirtschaft aus der Sozialpartnerschaft zu entlassen – weil die Unternehmen seiner Meinung nach mit der Schaffung von Arbeitsplätzen bereits genug für die Ge-sellschaft tun.

Damit wollte er wohl in erster Linie klarstellen, wer das Sagen im Land hat. Die »Reformen« werden ihm nicht konsequent genug umgesetzt. Wäre auch noch schöner, wenn eine Regierung angesichts von Massenprotesten weiche Knie bekommt und der Wirtschaft aus Feigheit die »unbedingte Solidarität« verweigert. Die Botschaft scheint angekommen zu sein. Protest gegen diese Unverschämtheit kommt bestenfalls aus der dritten bis fünften Reihe der Politik.
Der allzeit bereite Kanzler hat postwendend als Verursacher des Rogowskischen Unmuts die »Mitneh-mermentalität bis weit in die Mittelschicht hinein« abgekanzelt. (Nun weiß ich endlich, warum sich der offizielle Regierungschef »Kanzler« nennt).
Das bißchen verbliebene Staatsknete wird doch dringend benötigt, um den verehrungswürdigen Ar-beitsplatzschöpfern z.B. von Vodafone den durch die reifen Managerleistungen von Ackermann, Esser & Co. und den damit verdienten Prämien an die Schadensverursacher, entstandenen Verluste zu er-setzen.

Da verbietet es geradezu der Anstand, daß eine Familie mit ausreichendem Arbeitseinkommen (wie viel das genau ist, hat der Kanzler nicht definiert; bei dem ihm eigenen Gerechtigkeitssinn dürfte es wohl nicht wesentlich niedriger als ALG II sein) auch noch das Kindergeld mitnimmt. Das kann sich natürlich kein Sozialstaat auf Dauer leisten, der es sich zum Ziel gestellt hat, Spitzeneinkommen von allen Abgaben zu befreien.

ANHANG 4

Wissenschaftszentrum Berlin

S t u d i e    z u  A n t i -  H a r t z – I V – D e m  o n s t r a n t e n

(vgl. auch ND vom 22..9.2004, S.5)

 

Wer sind die Demonstrierenden gegen Hartz IV?

 

Die Untersuchung

Am Montag des 13. September fanden Proteste gegen Hartz IV in ca. 150 deutschen Städten –

von Aachen bis Zwickau - statt. An diesem Tag wurden Protestierende in Dortmund, Leipzig,

Magdeburg und Berlin in einer weitgehend standardisierten Erhebung befragt. Während der De-monstrationen in den vier Städten wurden insgesamt über 1600 Fragebögen verteilt und zudem in Berlin und Magdeburg 363 direkte Interviews durchgeführt. Von allen Demonstrierenden wurden die Befragten nach einem zufälligen Schema ausgewählt.

Insgesamt war die Bereitschaft der Demonstrierenden, an der Befragung teilzunehmen, über-durchschnittlich hoch. So betrug die Rücklaufquote für die Fragebögen, die per Post eingesen-det wurden, ca. 40%.

 

Auch die Quote der Befragten in Relation zur Zahl der Demonstrierenden ist mit insgesamt 10 % relativ hoch. Eine hohe Bereitschaft Demonstrierender, an der Befragung teilzunehmen, konnte auch schon bei der Befragung von Teilnehmern der Anti-Kriegsdemonstration am 15.Februar 2003 festgestellt werden.

Wir haben bei den nachfolgend vorgestellten Ergebnissen keine Gewichtung entsprechend der unterschiedlichen Zahl der Demonstrierenden in den vier Städten vorgenommen. Vielmehr legen wir jeweils die tatsächliche Zahl der Befragten zugrunde. Das bedeutet, dass bei summarischen Angaben über alle vier Städte hinweg oder auch bei Vergleichen zwischen den überwiegend im Westen oder im Osten aufgewachsenen Befragten die Demonstranten in Dortmund wegen der günstigen Relation Demonstrierende versus Befragte überrepräsentiert sind, während die Demonstrierende in Berlin und Leipzig unterrepräsentiert sind.

Hinzuweisen ist auch darauf, dass die Teilnehmer des schwarz-roten Blocks der Linksradikalen in Berlin und des rechtsradikalen Blocks in Magdeburg der Befragung nicht zugänglich waren. In beiden Fällen handelte es sich jedoch um eine deutliche Minderheit der Demonstrierenden. Insgesamt zeichnen wir mit unseren Daten ein relativ genaues Bild der am 13. September in den vier Städten Demonstrierenden – ein Bild, das vermutlich auch auf die Gesamtheit der Demonstrierenden zumindest im Groben zutrifft.

 

Ausgewählte Ergebnisse

1. Grundlegende Merkmale der Protestierenden

 

Mit ca. 64 % der Befragten waren deutlich mehr Männer als Frauen bei den untersuchten Protesten vertreten. Bemerkenswert ist, dass in Leipzig und Magdeburg (jeweils 42 %) der Anteil der Frauen deutlich höher war als in Berlin und Dortmund (33 % bzw. 31 %).

Insgesamt waren die Demonstrierenden deutlich älter als die übrige Bevölkerung Deutschlands. Üblicherweise sind bei politischen Demonstrationen die 15-25Jährigen stärker und die über 45Jährigen schwächer in Relation zur Gesamtbevölkerung vertreten. Eine genauere Betrachtung der Demonstrierenden in den vier Städten zeigt, dass die Altersgruppe 45 bis 64Jährigen mit ca. 52 % vertreten war. Es protestierte somit diejenige Altersgruppe, deren Integration in den Arbeitsmarkt am schwierigsten erscheint. Die nicht zu den Betroffenen von Hartz IV zählende Gruppe im Alter von mindestens 65 Jahren war unter den Demonstrierenden mit einem Anteil von etwa 10 % vertreten.

Insgesamt war der Bildungsstand der Demonstrierenden deutlich höher als im Bundesdurch-schnitt. Unter den Befragten waren mehr als doppelt so viele Bürger mit (Fach-) Hochschulreife (ca. 47 Prozent) als im Bundesdurchschnitt (21 Prozent). Dieser Befund verstärkt die durch die Untersuchung der Anti-Kriegsdemonstration am 15. Februar 2003 gewonnene Erkenntnis, dass Demonstrierende im Durchschnitt gebildeter sind als die übrige Bevölkerung. Demonstriert haben vorwiegend Angestellte und Arbeiter. Insgesamt gab ein großer Anteil der Befragten an, in hochqualifizierten Berufen tätig zu sein oder tätig gewesen zu sein. In Hinsicht auf ihre berufliche Stellung, die sie ausüben oder ausübten, bilden die Demonstrierenden in etwa die Bevölkerung ab. Eine besondere Ausnahme stellen die Beamten dar, die deutlich unterrepräsentiert sind.

 

2. Betroffenheit von und Informationsstand zu Hartz IV

 

Bislang ungeklärt war die Frage, ob die Hartz IV-Proteste überwiegend von den unmittelbar Betroffenen getragen sind. Tatsächlich bieten die Protestteilnehmer in den vier untersuchten Städ-en ein sehr gemischtes Bild. Zusammengenommen waren insgesamt 40 Prozent der Befragten arbeitslos. Überraschend hoch war die Beteiligung von Rentnern und Pensionären mit einem Anteil von 18 %. Immerhin 28 % der Demonstrierenden ist jedoch berufstätig. Lediglich in Leipzig waren die Arbeitslosen mit 53 % knapp in der Mehrheit der Protestierenden. Am niedrigsten lag ihr Anteil in Berlin mit ca. 35 %. Bezieher von Arbeitslosenhilfe waren in allen vier Städten deutlich stärker vertreten als Sozialhilfe- Empfänger und Bezieher von Arbeitslosengeld.

 

 

Die Auswirkungen der Hartz IV Reform sind im Umfeld der Demonstrierenden unmittelbar spürbar. Insgesamt 87 % der Befragten gab an, dass jemand in Familie oder Bekanntenkreis von Hartz IV betroffen sei.

 

In der Öffentlichkeit wurde vielfach diskutiert, inwieweit eine mangelhafte Informationspolitik über Hartz IV zu den Protesten führte. Um ein Bild über den Kenntnisstand der Protestierenden zu ermitteln, wurden zwei Wissensfragen gestellt. Die Frage, welche Parteien Hartz IV im Bundestag verabschiedet hatten, konnten nur 53 % der Demonstrierenden für alle Bundestagsparteien richtig beantworten. Zu dieser hohen Quote hat hauptsächlich die Fehlwahrnehmung des Abstimmungsverhaltens der FDP-Fraktion beigetragen. Immerhin knapp 39 % der Befragten gaben an, dass die FDP der Hartz IV Reform im Bundestag nicht zustimmte. Zudem nahmen 17 % der Befragten an, die CDU/CSU-Fraktion hätte der Hartz IV-Reform nicht zugestimmt.

Bessere Kenntnisse hatten die Demonstrierenden über die konkrete Ausgestaltung der HartzIV-Reform für die Betroffenen. Die Frage, ob im Rahmen von Hartz IV auch die Kosten für eine "angemessene" Unterkunft und Heizung übernommen werden, beantworteten knapp 72 Prozent der Befragten mit „ja“ und damit korrekt. Aber dieses Ergebnis lässt sich auch negativ interpretieren: Immerhin ein Viertel der Befragten war nicht oder falsch darüber informiert, dass ihnen eine wesentliche Leistung im Rahmen des Arbeitslosengelds II zusteht.

 

3. Einstellungen zu Agenda 2010, Hartz IV und den politischen Positionen der Parteien

zu Hartz IV

 

Es ist nicht überraschend, dass die Mehrheit der Demonstrierenden eine fundamentale Kritik am Reformkurs der Agenda 2010 im Allgemeinen und an Hartz IV im Besonderen äußert. Keiner politischen Partei - außer der PDS – wird eine befriedigende oder ausreichende politische Position zu Hartz IV bescheinigt. Über drei Viertel der Befragten widersprachen der Aussage, dass der generelle Reformkurs der Agenda 2010 richtig sei. Hingegen stimmten nur knapp 8 % derselben Aussage explizit zu.

Sehr ähnlich verhält es sich mit der Ablehnung speziell von Hartz IV. Selbst kräftige Nachbesserungen wären ca. 28 % der Befragten nicht ausreichend, um die Reform zu akzeptieren. Diese Bewertung der Demonstrierenden steht im deutlichen Kontrast zur Meinung der Gesamtbevölkerung. Dem Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen zufolge hielten Ende August immerhin 46 Prozent der Befragten die Hartz IV-Reform für „eher richtig“.1

[1 URL: http://www.forschungsgruppe.de/Aktuelles/PB_Meldung/]

 

Vor dem Hintergrund der fundamentalen Kritik an Hartz IV fällt auch die Bewertung der unterschiedlichen Positionen der politischen Parteien zu Hartz IV durchweg negativ aus. Einziger Gewinner ist hierbei die PDS. Die Befragten in den vier Städten waren mit der Position der PDS zu Hartz IV deutlich zufriedener als mit den Positionen anderer Parteien.

Werden die Befragten nicht nach Städten, sondern nach ihrer Herkunft aus den alten oder neuen Bundesländern unterschieden, zeigt sich ein deutlicher Unterschied in der Zustimmung zur PDS. Rund 43 Prozent der ostdeutschen Befragten bewerteten die Hartz IV-Position der PDS mit „gut“ oder „sehr gut“. Eine gleiche Bewertung nahm hingegen nur ein Viertel der westdeutschen Befragten vor. Hierbei ist zu erwähnen, dass in Leipzig und Magdeburg fast ausschließlich Ostdeutsche, in Dortmund ebenso fast ausschließlich Westdeutsche an dem Protest teilnahmen. Die Ausnahme bildet Berlin, wo 44 Prozent der Befragten im Westen aufwuchsen.

Für ihre Positionen zu Hartz IV wurden die etablierten Parteien in Ost und West von den Befragten ähnlich eingestuft wie die rechtsradikalen Parteien NPD und DVU. Bemerkenswert ist, dass die Oppositionsparteien CDU/CSU und FDP hierbei geringfügig schlechter abschnitten als die auf Bundesebene regierenden Parteien SPD und Grünen.

 

 

4. Allgemeine politische Einstellungen und Wahlverhalten

 

In einem abschließenden kurzen Analyseteil sollen allgemeine politische Einstellungen und Verhaltensweisen der Protestierenden beleuchtet werden. Aus der Fülle möglicher Befunde werden lediglich einige wenige herausgegriffen.

Die Befragten wurden mit einer Reihe von Aussagen konfrontiert, zu denen sie jeweils ihre Zustimmung oder Ablehnung auf einer 5-Punkte-Skala äußern konnten.

Der Aussage, „Die Demokratie ist die beste Staatsform“, stimmten - bei einer Zusammenfassung der Werte für Zustimmung und volle Zustimmung - besonders viele Demonstranten in Dortmund (78 %) zu, während die Zustimmung an den drei übrigen Orten auf vergleichbarem geringeren Niveau blieb (zwischen 57 und 61 %). Werden die Befragten danach aufgesplittet, ob sie überwiegend in den alten oder den neuen Bundesländern aufgewachsen sind (Berlin stellt wie erwähnt einen Mischfall dar), so fällt die Zustimmung in den alten Bundesländern mit rund 68 % höher aus als in den neuen Ländern mit 58 %.

Entsprechend ist auch die Ablehnung dieser Aussage im Osten höher als im Westen. Bei der Aussage, „Sozialismus ist eine gute Idee, die schlecht ausgeführt wurde“, liegt die Zustimmung am höchsten in Magdeburg (rund 72 %) und am niedrigsten in Dortmund (58%). Bei der Aufsplittung nach West und Ost zeigt sich ein markanter Unterschied zwischen der Zustimmung im Westen (rund 59 %) und im Osten (rund 75 %).

Die Aussage, „Letztlich entscheidet die Wirtschaft in unserem Lande und nicht die Politik“ findet in allen vier Städten und etwa gleicher Höhe in West und Ost eine hohe Zustimmung in der Größenordnung von 81 % (Magdeburg) bis 87 % (Leipzig).

In den Diskussion um Hartz IV waren auch die Transferzahlungen von West nach Ost ein wichtiges Thema, zumal von den „undankbaren Ossis“ und dem Osten als einem „Fass ohne Boden“ die Rede war. Die Aussage, „Der Westen engagiert sich im Osten ausreichend“ bejahte (mit Zustimmung oder voller Zustimmung) ein kleinerer Anteil der Demonstranten in Leipzig und Mag-eburg (16 % bzw. 14 %), ein etwas höherer Anteil in Berlin (21 %) und ein weitaus höherer Anteil in Dortmund mit 31 %. Bei den im Westen aufgewachsenen Demonstrierenden liegt die Zustimmung bei 29 %, bei denen im Osten bei einem nur halb so hoch (15 %). Diese Differenz spiegelt sich entsprechend bei denen, die die Aussage eines ausreichenden Engagements des Westens völlig ablehnen. Dies ist bei den Ostdeutschen mit rund 36 Prozent ein fast doppelt so hoher Anteil wie bei den Westdeutschen (17 %).

In der Forschung zu politischen Einstellungen und Werten wird häufig nach der Priorität unterschiedlicher Politikziele gefragt. In Entsprechung zu repräsentativen Umfragen wurden die Befragten gebeten, vier Ziele – Ruhe und Ordnung, mehr Einfluss der Bürger auf politische Entscheidungen, Kampf gegen steigende Preise sowie Schutz des Rechts auf freie Meinung in eine Rangordnung zu bringen. Den klaren Vorrang der Ziele Einfluss und freie Meinung haben wir als Partizipationsorientierung gekennzeichnet. Davon gibt es je nach Prioritätensetzung stufenförmige Abweichungen. Die eindeutig partizipationsorientierten Befragten haben im Westen einen deutlich höheren Anteil (68 %) als im Osten (52 %). Ein detailliertes Bild ergibt zeigt die Tabelle für alle vier Typen und die vier Städte:

 

 

Die Befragten wurden zudem gebeten, sich anhand einer 5-Punkte-Skala auf der Links-Rechts-Achse zu verorten. Dabei zeigte sich eindeutig eine Linkslastigkeit. Ganz links ordnete sich mit rund 48 % ein sehr hoher Anteil der Berliner Demonstranten ein, während die Anteile für Leipzig und Magdeburg mit 24 % bzw. 23 % und Dortmund mit 26 % deutlich niedriger ausfielen. Fasst man die ganz linken und linken Positionen zusammen, so liegt der Anteil der Linken in Berlin mit über 82 % an der Spitze, gefolgt von Dortmund (69 %), Leipzig (65 %) und Magdeburg (57 %). Sich ganz rechts platzierende Demonstranten fallen lediglich in Leipzig mit 3,3 % ins Gewicht und fehlen in Berlin fast völlig. Zu bedenken ist allerdings, dass die Polizei in Dortmund eine kleinere Gruppe von Rechten schon im Vorfeld abgedrängt hatte und in Magdeburg die Rechten nicht befragt werden konnten. Werden die Kategorien „eher rechts“ und „ganz rechts“ zusammengefasst, so ist der Anteil der Rechten in Leipzig und Dortmund am höchsten (8,3 % bzw. 8,2 %), gefolgt von Magdeburg (6,2 %) und Berlin (3,9%).

 

Dramatisch sind teilweise die Verschiebungen im Wählerverhalten, wenn die letzte Bundestagswahl mit der Sonntagsfrage verglichen wird („Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, welche Partei würden Sie wählen?“). Die SPD, die von rund 27 % der Protestierenden aus den alten Bundesländern gewählt wurde, stürzte auf einen Wert von 2,1 % ab. In den neuen Bundesländern erfolgt ein fast analoger Absturz von rund 21 % auf 0,6 %.

Sehr ausgeprägt ist auch die Abkehr von den Grünen bei Befragten aus den alten Bundesländern. Sie fallen im Westen von 21 % auf 3,8 % (Sonntagsfrage) zurück Die PDS würde mit Blick auf die Sonntagsfrage in Westen Zugewinne von 22 % auf 34 %, im Osten von 44 % auf 49 Prozent verbuchen. Der absolute Zugewinn der PDS läge also im Westen höher als im Osten. Die NPD würde von geringen Ausgangswerten unter den Demonstranten (West 0,3 %, Ost 0,2 %) auf 2,6 % im Westen bzw. 2,4 % im Osten anwachsen.

Rechtsradikale Parteien könnten somit bei einer anstehenden Bundestagswahl unter den Demonstrierenden nur relativ bescheidene Zugewinne verbuchen, die deutlich unter den Zugewinnen bei den jüngsten Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen liegen. Insgesamt werden also die Demonstrierenden keineswegs von rechten Parteien in großem Umfang angezogen. Damit wird ein verbreitetes Vorurteil widerlegt.

 

Fazit

 

Versucht man abschließend und grob vereinfachend den typischen Hartz IV-Demonstranten zu charakterisieren, so gilt Folgendes: Er kommt er aus dem Osten, ist männlich, hat ein Alter von 50 bis 55 Jahren, ist in einem unsicheren Arbeitsverhältnis oder arbeitslos, ist deutlich links orientiert, betrachtet den Sozialismus als eine gute, aber schlecht ausgeführte Idee und tendiert am ehesten zur PDS. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung gibt es unter den Demonstrierenden gegen Hartz IV keine markannte Hinwendung zum rechtsradikalen Lager.

Mit diesem Typus werden lediglich Tendenzen bzw. Schwerpunkte bezeichnet. Es wäre also

falsch zu behaupten, alle Demonstrierenden entsprächen diesem Bild.

 

 

Und diese Demonstranten werden die „LOGIK“ :„Es ist ein sehr schlechtes Gesetz, aber auch wir werden es gut umsetzen!“ voll akzeptieren ( ? ) Und deshalb bald von den (überflüssigen, weil nicht ernst gemeinten) Demos wegbleiben ( ! )

Oder doch nicht ?

 

 
Abgesang zum Lehrstück
A] Die Strategie der mitregierenden PDS in Berlin und Schwerin, Anerkennung und Akzep-tanz in der Gesellschaft im Kampf um einen Richtungswechsel der Politik dadurch zu vergrö-ßern, dass alle Betroffenen  „pünktlich und zuverlässig das erhalten, was ihnen zusteht“ (Hol-ter) wird nicht aufgehen.Aufgehen wird Schröders Kalkül, durch Schweigen, Beschwichtigen und Beschimpfen dem Protest gegen Hartz IV die Spitze zu nehmen und so seinen – im Auf-trag von BDI und BDA – geführten Krieg gegen das unterste Drittel der Gesellschaft, welches für die Kapital-verwertung nicht mehr gebraucht wird, erfolgreich zu Ende führen.
Erfolgreich zu Ende, das heißt: weitere Spaltung zwischen oben und unten verbunden mit bes-seren Chancen für die Braunen innerhalb und außerhalb der Schwarzen.
B] Das Großkapital ist mit Schröder zufrieden : die Steuern gehen runter, die Profite boomen ebenso wie die Arbeitslosigkeit, kriminelle Mitnahme-Aktivitäten wie bei Esser und Acker-mann erhalten Freisprüche , die Wahlversprechen der SPD sind Makulatur, die Gewerkschaf-ten gelähmt, die PDS in dieses System eingebunden. “Die da oben“ –  korporative Netzwerke organisierter Interessen – haben es derzeit erreicht, dass ihre Ziele und Meinungen die Ziele,  und Meinungen „der da unten“ dominieren. Nicht zuletzt, weil es da ein erhebliches Defizit an Kooperation, Organisation, Integration gibt und Netzwerke (noch!) zu schwach sind.

„Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind. Die herrschen-den Gedanken sind weiter Nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefaßten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft.“ Karl Marx /Friedrich Engels : Die deutsche Ideologie; In : .MEW, Berlin 1962; Bd.3,S.46

 
C] Der erfolgreiche Schröder hat etwas gemeinsam mit dem erfolgreichen Bismarck und mit dem erfolgreichen Marx. B. engagierte sich bekanntlich auch dafür, dass die Sozialdemokratie weniger Wähler bekommt und M. verriet ebenfalls die Klasse, aus der er stammte.

D] Bei den Anti-Hartz-Demonstranten entstehen – aus vielerlei Gründen, aber auch unter Mit-verantwortung der den Protest nicht ausreichend inhaltlich mit klaren Alternativen anreichern-den PDS – neue Ohnmachtsgefühle. Sie werden frustrierter auseinandergehen, weil die jetzige und die Folgeregierung an der Politik sozialer Spaltung, Enteignung , Ausgrenzung und Um-verteilung festhält. Gestützt von der PDS in Koalitionen, die die Chance verpaßt hat, als Min-derheit das Gewissen der Nation  (Martin Luther King) zu werden.

E] Wer das Ausmaß der allgemeinen Desillusionierung übersieht, täuscht sich über die Dra-matik der Ein-, Um- und Ausbrüche, die uns bevorstehen.

Die mit dem Beitritt der DDR durch die Treuhand begonnene und seit dem konsequent fort-gesetzte Ungleichwertigkeit der Lebensverhältnisse wird mit Hartz IV nun endlich auch juris-tisch-politisch allumfassend festgeschrieben. Insofern stützt der CDU-Bundespräsident mit ei-ner seiner jüngsten Äußerungen im Stile des ehemaligen IWF-Direktors die Politik der letzten 15 Jahre unter Kohl und Schröder.

Das angestrebte Ziel  ist weniger die Zementierung des Ost-West-Gegensatzes, sondern die des Oben-Unten-Gegensatzes.

Der Osten ist dabei insofern besonders beteiligt, als er das Versuchslabor für die radikale Zurück-Veränderung der Gesellschaft in eine Oberklasse und eine Unterklasse und für die stabile Verschiebung des Kräfteverhältnisses zu Ungunsten der abhängig Beschäftigten ist.










ANHANG 5




 




 









 



Zwei Sprüche an der Berliner Mauer :

Alles wird besser, aber nichts wird gut.

 

Die Freiheit hab ich nicht gefunden, vor oder hinter diesem Stein.

Vielleicht ist die davon geflogen,

kommt wieder rein

kann sein

 

 

 

 



Eine gutgemeinte, aber auch schon ein wenig hilflose Losung.

Es sei denn, es ist gemeint: mit anderen Ausgegrenzten und Ausgebeuteten

Hartz IV ist keine Arbeitsmarkt-Reform,

sondern ein Gesellschaftsveränderungs- und

Kräfteverhältnisverschiebungs-Programm

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 



 

 

 

 

 

 

 

 


ANHANG 5 a

Im August konnte ich einen Artikel und einen Leserbrief veröffentlichen. Sie lagen inhaltlich etwas quer und sind deshalb auch so zu lesen.


 

 


Am 30.9.gab es eine Landtagssondersitzung zu Hartz IV (Ausführunsgesetz) in MV .

Zwei Tage vorher mailte ich an alle PDS-Landtagsabgeordneten:

 

Liebe Abgeordnete,

am Donnerstag stimmt ihr noch einmal über Hartz IV und den Anteil der PDS in MV daran ab.

Ich bitte Euch nach reiflicher Überlegung und mit großem Ernst und der mir per e-mail möglichen Nachdrücklichkeit:

Verweigert Euch diesem Gesetz. Es schadet der PDS kurz-, mittel- und langfristig.

Kurzfristig, weil nur ganz wenige den Spagat verstehen : Es ist ein schlechtes Gesetz, aber wir wer-den es gut umsetzen.

(Es ist ein Stück Demagogie, wenn uns suggeriert wird, wenn die PDS nicht das Nötige tut, bekämen die Betroffenen kein Geld)

Mittelfristig , weil das Verhalten der mitregierenden PDS die (momentan noch!) ungerichtete Unzu-friedenheit, das Unbehagen, die Wut, die diffuse Stimmung der Ängste und Besorgnisse großer Men-schengruppen auf die Mühlen und die Stimmzettel der Rechten, sowohl der ganz Braunen als auch der Schwarzen unter den Braunen leiten kann und wird.

Langfristig, weil die PDS mit ihrer Mitwirkung bei HartzIV alles andere tut, als „einen eigenständigen Beitrag für einen Richtungswechsel in der Politik hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, Demokratie, Freiheit, Selbstbestimmung und ziviler Konfliktlösung“ zu leisten . Denn: „Dieses Ziel kann die PDS nur realisieren, wenn sie das strategische Dreieck von Widerstand und Protest, Mit- und Umgestal-tung, über den Kapitalismus hinausgehende Alternativen auszufüllen vermag.“ (Thesen zur Strategie der PDS ; Geleitwort von Lothar Bisky, 22.06.2004)

Liebe Abgeordnete, bitte prüft , welche Seite dieses Dreiecks hier bedient wird und welche nicht.

 

Ich bin mir nach ausführlicher Beschäftigung mit den Hartz-Gesetzen seit August 2002 völlig sicher, wenn ich feststelle:

HARTZ IV ist nackter, brutaler "Klassenkampf von oben" gegen die über 4 Millionen Arbeitslosen.

HARTZ IV ist nackter, brutaler "Klassenkampf von oben" gegen die noch Arbeit-Habenden (die mit diesem Gesetz gefügig gemacht werden sollen gegenüber den neuen Forderungen von BDI und BDA>>unbezahlte Überstunden / weniger Kündigungsschutz/ verlängerte Arbeitszeit usw.),

HARTZ IV ist nur für eine Seite nützlich: die "da oben", die Reichen und Einflußreichen und ihre Parteigänger in Parlamenten, Medien usw.

 

Bitte prüft Euer Gewissen.

Nur ihm seid ihr laut Verfassung rechenschaftspflichtig.

 

Peter Kroh

Wahlkreismitarbeiter

60 Jahre alt

ohne Ambitionen auf Ämter/Funktionen/Mandate

 

 

Als Ergänzung schickte ich der mail zwei Artikel aus der „jungen Welt“ hinterher:

In der Ausgabe vom 27.9.2004 hieß es :

 

Der gläserne Mensch im Schnüffelstaat »Hartz IV«:

Sozialamt, Arbeitsagentur, Finanzamt: Alle schnüffeln ab 2004 in den persönlichen Verhältnissen der Bürgerinnen und Bürger. Ausgenommen sind Vermögende *

Gleichzeitig mit dem »Hartz IV«-Gesetz tritt ein engmaschiges Überwachungssystem in Ak-tion. Durchleuchtet werden aber nicht nur Arbeitslosengeld-II-Bezieher, ihre Kinder, Ehe- und Lebenspartner. Auch alle Rentner und alle Inhaber von Bankkonten werden von neu ge-schaffenen Zentralstellen erfaßt.

Bereits seit 1999 konnten Arbeits- und Sozialämter erfahren, ob die Bezieher von Arbeitslo-sengeld und Arbeitslosen- sowie Sozialhilfe ihren Banken Freistellungsaufträge erteilt haben. Die Ämter können das beim Bundesamt für Finanzen in Bonn abfragen. Dieser nachgeordne-ten Behörde des Bundesfinanzministeriums müssen seit 1999 alle 2 900 Geldinstitute in Deut-schland die Freistellungsaufträge ihrer Kunden melden (Einkommensteuergesetz, Paragraph 45 d). Solche Aufträge kann man der Bank dann erteilen, wenn man Geld anlegt und sich bis zur Freigrenze von 1 421 Euro vom automatischen Abzug der Quellensteuer befreien will.
Bisher erfahren die Sozial-, Arbeits- und Finanzämter allerdings nur die Tatsache, daß jemand einen solchen Auftrag oder auch bei verschiedenen Banken mehrere Aufträge erteilt hat. Über die Menge des angelegten Geldes und die Höhe der Gewinne erfuhren die Ämter bisher nichts, aber sie hatten einen Anhaltspunkt, um weiter nachzuforschen.

 

Vom »Antiterrorkampf« ...


Diese Regelung wurde 2002 erweitert. Nach der Terroraktion vom 11. September 2001 in New York richtete die Bundesregierung auf einen Wink des großen Bruders von jenseits des großen Teichs eine neue zentrale Erfassungsstelle ein: die »Konten-Evidenz-Zentrale« (KEZ). Sie ist ebenfalls im Bundesamt für Finanzen untergebracht, und zwar in der zugehörigen Bun-desanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Bonn. Die Geldflüsse von Terroristen sollen überwacht, Gelder sollen eingefroren und eingezogen werden können. Deshalb müssen alle Geldinstitute seitdem der KEZ über eine Computer-Schnittstelle online jederzeit alle In-formationen über alle Konten und Depots von aller Bankkunden bereithalten (Kreditwesen-gesetz – KWG – Paragraph 24 c).

Die Abfragen durch die Behörden bei der KEZ gehen so vor sich, daß nicht nur die Kontenin-haber, sondern auch die Banken nichts davon bemerken. Die zugänglichen Daten bestanden zunächst nur aus den »Stammdaten«: Name und Adresse des Konteninhabers, sein Geburtsda-tum und die Art seiner Konten. Einzelne Geldbewegungen und der Kontostand gehörten nicht dazu. Die BaFin gibt an, daß sie in den ersten neun Monaten über ihre KEZ bei den Banken 16 700 Abfragen getätigt hat, die überwiegend durch die Polizei angestoßen wurden.

 

… zur Kontrolle der Arbeitslosen


Das für die Bekämpfung des Terrorismus eingerichtete Instrumentarium wurde zwanglos auf weitere Bereiche ausgeweitet. Man könnte durchaus vermuten, daß der »Terrorismus« ohne-hin nur ein Vorwand war. Jedenfalls beschloß die Bundesregierung Ende 2003 verschärfte Kontrollen, um die Kapitaleinkünfte aller Steuerpflichtigen zu erfassen und genauer zu be- steuern als bisher.

Anlaß war das »Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit«: Mit Hilfe einer Steueramnestie wollte die Bundesregierung mehrere hundert Milliarden Euro Fluchtgelder nach Deutschland zurückholen, die im Laufe des letzten Jahrzehnts durch vermögende Geldanleger in Finanzoa-sen wie Luxemburg, Liechtenstein und der Schweiz gebunkert wurden. Dafür wurde das ans-onsten so geheiligte »Bankgeheimnis« ausgehebelt, freilich über einen scheinbar eleganten Umweg. Die 2 900 Geldinstitute sind nämlich seit 2004 verpflichtet, allen Inhabern der etwa 500 Millionen Konten jährlich eine Aufstellung über alle Kapitaleinkünfte (Zinsen aus Spar-büchern und Bundesschatzbriefen, Dividenden und Spekulationsgewinne aus Aktiengeschäf-ten u.ä.) auszustellen. Diese »Erträgnisaufstellung« wird allen Kunden automatisch einmal im Jahr zugeschickt (Abgabenordnung – AO – Paragraph 93).

Der scheinbar elegante Umweg beim Bruch des Bankgeheimnisses besteht darin: Die Banken melden die Kapitaleinkünfte nicht dem Finanzamt, sondern mit Hilfe der »Erträgnisaufstel-lung« dem Kunden. Die Finanzämter sind aber berechtigt, die »Erträgnisaufstellung« von je-dem Steuerpflichtigen einzufordern. So wird dem Scheine nach das Bankgeheimnis gewahrt, das ja noch Gesetzeskraft hat (Abgabenordnung, Paragraph 30a).

Jetzt sind wir schließlich bei »Hartz IV«: Die Daten über Konten und Erträge, so beschloß die Bundesregierung termingerecht, stehen ab 2005 nicht nur den Finanzämtern, sondern nun auch den Sozialämtern und der Arbeitsagentur zur Verfügung, »wenn eigene Ermittlungen keinen Erfolg versprechen« (Abgabenordnung, Paragraph 93, Absatz 8). So können die Zahl-stellen für das Arbeitslosengeld II nicht nur alles über die Konten und Erträge der Leistungs-empfänger erfahren, sondern auch über die Konten der Kinder, Ehepartner, Lebensgefährten und Mitbewohner.

Diese Menschen gehören zu der »Bedarfsgemeinschaft«, deren Einkommen und Vermögen zum Nachweis der Leistungsberechtigung mit herangezogen werden und über die der Arbeits-lose bzw. der Sozialgeldempfänger nun im 16seitigen Fragebogen Auskunft geben muß. Dazu muß er oder sie im »Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem zweiten Sozialgesetzbuch – Arbeitslosengeld II/Sozialgeld« das Zusatzblatt 3 »Zur Feststel-lung des zu berücksichtigen Vermögens« ausfüllen: Neben den eigenen Konten, Sparbüchern, Gemälden und Antiquitäten usw. eben auch die Konten, Sparbücher usw. der Kinder, des Ehepartners, des Lebensgefährten usw. Zur Ergänzung und Kontrolle können Sozialamt und Arbeitsagentur auf die Daten der KEZ zugreifen, und zwar ohne daß ein »Anfangsverdacht« gegeben sein muß: Der Bedürftige steht gänzlich nackt und durchsichtig vor seinem Wohltä-ter und merkt zudem gar nicht, daß er rundum ausgespäht wird.


Neue Identifikationsnummer

Die Konten-Evidenz-Zentrale erhält durch ein weiteres Großprojekt erst ihre durchschlagende Wirkung: Die neue einheitliche Identifikationsnummer. Zum schnelleren Datenabgleich ver-paßt das Bundesamt für Finanzen zentral jedem Steuerzahler in Deutschland eine solche Nummer. Sie gilt ab 1. April 2005. Daß es sich um einen Generalangriff mit neuer Dimension handelt, ist auch daraus ersichtlich, daß die Bundesregierung, die beteiligten Länderregierun-gen und die »staatstragenden« Parteien öffentlich über das Großprojekt nicht diskutieren. Gleichzeitig wird unter Hochdruck daran gearbeitet.

Die einheitliche Steuernummer gab es bisher nicht. Jeder Bürger, jedes Unternehmen be-kommt nun eine solche Nummer, lebenslang. Sie erlischt erst mit dem Tod. Damit werden al-le erfaßt, die direkte Steuern zahlen oder zahlen müßten: Einkommens-, Umsatz-, Gewerbe- und Körperschaftssteuer. Es handelt sich freilich nicht nur um eine Steuernummer. Der Staat verfügt damit über ein Überwachungsinstrument, das dem Innenministerium jahrzehntelang verweigert wurde, weil dem ja »eigentlich« der Datenschutz entgegensteht.

Die einheitliche bundesweite Steueridentifikationsnummer wird in der Praxis zur allgemeinen Bürger-Kenn-Nummer. Denn auf die Daten der KEZ haben eben nicht nur die Finanzämter Zugriff, sondern auch die Zahlstellen des Arbeitslosengeldes II, also die Sozialämter und die Arbeitsagenturen, die Wohnungsämter usw. Die Daten müssen von den Banken und Ämtern täglich aktualisiert und zum automatisierten Zugriff bereitgehalten werden. Und das alles, ohne daß der Ausgespähte und selbst die jeweilige Bank etwas davon erfahren. Die Betroffenen müssen über die Datenerhebung und die Weiterleitung nicht unterrichtet werden, weil das einen »unverhältnismäßigen Aufwand« bedeuten würde.


Auch Rentenmeldezentrale erfaßt

Doch auch damit nicht genug. In der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) wird eine weitere Erfassungs- und Meldestelle eingerichtet. Sie hat noch keinen richtigen Namen, sondern heißt in den verschiedenen Gesetzen, als hätte man beim literarischen Meister der to-talitären Bürokratenherrschaft, Franz Kafka, nachgeschaut, immer nur »die zentrale Stelle«.
Auch sie hat eine Vorgeschichte. Zum 1. Januar 2002 wurde für die neue privatfinanzierte Al-tersrente (»Riester-Rente« nach dem Altersvermögensgesetz) in der BfA zunächst die »Zen-trale Stelle für Altersvermögen« (ZfA) eingerichtet (Finanzverwaltungsgesetz, Paragraph 5, Absatz 1, Nr. 18). Diese Zentrale ist seitdem in der BfA-Außenstelle in Brandenburg an der Havel untergebracht.

2004 beschloß der Bundestag dann die »nachgelagerte Besteuerung« der Renten (Altersein-künftegesetz). Damit der Staat alle Renten erfaßt, um sie zu besteuern, wurde ein »umfassen-des Mitteilungsverfahren« eingeführt (Einkommensteuergesetz, Paragraphen 22 a und 81). Deshalb müssen seit 2004 alle gesetzlichen Rentenversicherungsträger, landwirtschaftlichen Alterskassen, berufsständischen und betrieblichen Versorgungseinrichtungen, Lebensversi-cherungsunternehmen und Pensionskassen und -fonds der ZfA jährlich von jedem Rentner und jeder Rentnerin Familienname, Vorname, Geburtsdatum, Adresse sowie Beginn, Ende und Höhe des Rentenbezugs melden (»Rentenbezugsmitteilung«).

Verbunden ist diese Datenübermittlung ebenfalls mit der Identifikationsnummer (Abgaben-ordnung, Paragraph 139 b). Wenn das betreffende Individuum als Steuerpflichtiger erfaßt ist, steht seine Nummer schon fest. Das Finanzministerium hat über das zugehörige Bundesamt für Finanzen die Fachaufsicht über die ZfA, und zwar, wie es im Bürokratendeutsch so schön heißt, »im Wege der Organleihe« (Finanzverwaltungsgesetz, Paragraph 5, Absatz 1, Nr. 18). Die bei der ZfA gesammelten Daten dieses Organhandels werden zunächst dem Bundesamt für Finanzen, somit der KEZ weitergeleitet. Von dort gehen sie an die Landesrechenzentren, die mit den Finanzämtern der jeweiligen Bundesländer verbunden sind.


»Kumulative Grundrechtseingriffe«

Das staatliche Schnüffel- und Meldesystem richtet sich ersichtlich zum allerwenigsten gegen diejenigen, gegen die es in den Vorphasen eingerichtet wurde: gegen Terroristen und betuchte Kapitalflüchtlinge. Es betrifft auch nicht nur die Empfänger des Arbeitslosengeldes II. Viel-mehr wird ein wesentlich größerer Personenkreis erfaßt: erstens alle Empfänger staatlicher Sozialleistungen, zweitens alle Rentner – auch solche, die Renten aus nichtstaatlichen Ein-richtungen erhalten, drittens alle Steuerpflichtigen. Durch Zentralisierung, einheitliche Iden-tifikationsnummer und gegenseitige Amtshilfeverpflichtung entsteht ein tiefgestaffeltes Schnüffel- und Meldesystem, das den »gläsernen Bürger« Wirklichkeit werden läßt, wie es ihn in Deutschland bisher zu keiner Zeit gab, auch nicht im Nationalsozialismus./1/

Dennoch ist dieses System nur scheinbar einheitlich. Das wird etwa deutlich anhand der EU-Zinsrichtlinie: Ab 1. Juli 2005 tauschen 22 EU-Staaten Informationen über Zinserträge von Ausländern aus. Damit wird angeblich die Steuerhinterziehung bekämpft. Doch die Informationen sind hier wesentlich geringer als in der »Erträgnisaufstellung« deutscher Banken über deutsche Konteninhaber, und die traditionellen Steuerfluchtstaaten Schweiz, Luxemburg, Liechtenstein, Österreich nehmen an dem Informationsaustausch überhaupt nicht teil. Außerdem werden nur Zinsen, also die altertümlichste Form des Kapitalgewinns, erfaßt, nicht jedoch Aktiengewinne, kumulierende Fonds, Gewinne aus Hedgefonds und Derivaten und andere moderne Gewinnformen. Zudem werden nur individuelle Privatkonten erfaßt. Wenn dagegen eine Luxemburger Bank, was seit Jahren schon üblich ist, für die zwei Millionen Euro eines vermögenden deutschen Geldanlegers eine Briefkastenfirma gründet, z.B. einen Trust in der britischen Finanzoase Guernsey, dann werden deren Gewinne nicht erfaßt, selbst wenn es sich um Zinsen handeln sollte. Somit wird nur die absolute Unterklasse der Geldanleger von der neuen EU-Steuer erfaßt.

Gleichzeitig stimmt die Bundesregierung viel weitergehenden Steuerfluchten Vermögender zu. So verlagert der Rennfahrer Michael Schumacher seinen Steuersitz in die Schweiz, dort wird nur ein ausgehandelter Betrag von 250 000 Schweizer Franken besteuert. Gleichzeitig verzichtet das deutsche Finanzamt auf die Besteuerung der Einkommen Schumachers von jährlich schätzungsweise 100 Millionen Euro, obwohl Schumacher deutscher Staatsbürger bleibt. Entsprechendes gilt für eine wachsende Zahl weiterer Deutscher. Diese Regelung ist zugleich nur für Bürger möglich, die in der Schweiz ein Einkommen von mehreren Millionen nachweisen können.

Die Verletzung des Datenschutzes für die Mehrheit – Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und in die informationelle Selbstbestimmung, Eingriff in das »Sozialgeheimnis« nach Sozialge-setzbuch – und der steuerliche Zugriff sind somit geprägt von sozialer Ungleichbehandlung. Weiter noch: Auf Einkommen und Vermögen der staatlichen Leistungsempfänger und »Nor-malverdiener« greift der Staat verschärft zu, weil er auf die Einkommen und Vermögen der besonders Vermögenden immer weniger oder gar nicht mehr zugreift.

Damit wird neben dem Persönlichkeitsrecht ein weiteres Grundrecht verletzt: die Eigentums-garantie. Mit dem Hinweis auf zu geringe Steuereinnahmen greift der Staat in durch Eigen-leistung rechtmäßig erworbenes Eigentum ein: Nach »Hartz IV« steht das Arbeitslosengeld II erst dann zu, wenn vorher notfalls Eigentum – Eigenheim, Lebensversicherung, Sparbuch, Bargeld, Schmuck usw. – aufgezehrt wird. Der Bezugszeitraum des Arbeitslosengeldes wird auf ein Jahr verkürzt, selbst wenn durch jahrzehntelange Einzahlung viel weitergehende An-sprüche erworben wurden. Die ganze Dimension wird zudem erst deutlich, wenn alle gleich-zeitigen Einschränkungen (Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung) zusammen ge-sehen werden.

Eine Verfassungsklage wegen dieser kumulativen (gehäuften, mehrfachen) Grundrechtsver-letzung steht an. Dabei käme es nicht nur auf die rechtliche Prozedur an, sondern vor allem auf die öffentliche Diskussion und darauf, daß ein wachsender Teil der Bevölkerung seine Rechte und seine Würde einfordert.


1 Die gleichzeitig eingeführten Überwachungssysteme wie die »Telekommunikations-Überwachungs-Verordnung (TKÜV, Erweiterung der Überwachung der Festnetztelefone auf die Handys mit Erfassung aller PIN- und PUK-Nummern) und die Krankenkassen-Chipkarte sollen hier nur erwähnt werden.

 

Am 28.9. wurde der Aufschrei einer Frau veröffentlicht:

 

»Von der Besatzungsmacht aussortiert«

jW dokumentiert Auszüge aus einer Montagsdemo-Rede in Seelow (Brandenburg) *

Aus der Rede von Martina Dost auf der Montagsdemonstration vom 6. September in Seelow (Brandenburg).

 

Sie hatte dort eine Woche zuvor u. a. ein Existenzminimum von 1600 Euro gefordert. Ihr wurde entgegnet, das sei zuviel.


Wer bestimmt, was zuviel ist? Wer sind wir denn? Wir sind nicht freiwillig arbeitslos. Wer hat nicht schon unzählige Bewerbungen abgeschickt? Ich weiß nicht mehr, wo ich mich noch bewerben soll. Wir haben – sofern wir in DDR-Zeiten lernten – eine gute Ausbildung erhal-ten, sind gestandene Fachleute, die von der Regierung/ Besatzungsmacht aussortiert wurden, weil wir keinen Profit bringen.

Ich mußte mir in DDR-Zeiten als alleinerziehende Mutter auch meine Geldausgaben gut über-legen, aber ich hatte mein Theateranrecht, jährlich Erholungsurlaub mit Tochter, Bücher, Mal-zirkel, konnte Freunde besuchen, weil Fahrgeld kaum ins Gewicht fiel, brauchte mir um mei-ne Existenz keine Sorgen zu machen. Jetzt weiß ich nicht, wovon ich eine neue Brille bezah-len soll. Ich würde gern was an meinen Zähnen machen lassen, suche seit Jahren einen schö-nen, bezahlbaren Wintermantel, muß mir die meisten Bücher verkneifen, ich überlege, gehe ich in diesem Quartal zum Arzt, lasse ich mir lieber kein Medikament verschreiben, werden sie mich aus der Wohnung werfen, weil ich mir mit 50 Jahren erstmals einen Arbeitsraum (Atelier zum Malen) leistete, die Gaspreise steigen schon wieder, im Januar sind die Fahr-preiserhöhungen fällig, ... von Kultur und Besuchen bei Freunden kann schon keine Rede mehr sein!

Ich habe diese Ausgrenzung bis obenhin satt, dieses eingeengte Leben – und daneben gibt es ja noch die Hauptausgrenzung, die aus dem Arbeitsprozeß. Jeder, der schon mal mit einer westdeutschen Hausfrau zu tun hatte, kennt den Grad der Verblödung dieser Spezies, selbst wenn sie vor der Ehe mal studiert hatte – diesen Grad werde ich aus Altersgründen nicht mehr erreichen, aber ich will menschlich und intellektuell weiterkommen.(...)

Und dazu kommt, daß ich auch noch von meiner privaten und ehrenamtlichen Kommunika-tion und Betätigung in hohem Maße ausgegrenzt werde, weil alles Geld kostet, das ich nicht habe: Druckerpatrone – 40 Euro –, Telefon, Tageszeitung habe ich nicht mehr, Rundfunk konnte ich abmelden – aber nur, weil ich mir kein funktionierendes Radio leisten kann! Ich als Rundfunk-Journalistin, die begierig auf Nachrichtensendungen ist. Ich habe es satt. Ich möchte auch leben wie ein Mensch. Und was das allerschlimmste ist – ich sehe keinen Aus-weg, keine Perspektive. Am Wochenende bekam ich wieder zwei Ablehnungen, mein Leben ist in den letzten 13 Jahren von Grund auf zerstört worden. Vielen geht es ebenso, die lassen die Gedanken vorsichtshalber nicht so tief zu, weil es so schwer erträglich ist.
Es gibt eine wissenschaftliche Begründung von Karl Marx für die angemessene Höhe des Lohnes: Vom Arbeitseinkommen muß die Reproduktion der Arbeitskraft unter den üblichen gesellschaftlichen Bedingungen gesichert werden. (...)

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Auf meine mails antworteten 2 Abgeordnete, B.Schwebs und K.Neumann. Birgit schrieb:

 

Ach Peter, Du nun wieder...
Du hast ja recht, aber warst Du nicht auf dem Parteitag in Pasewalk ? Hat nicht der Landesverband gesagt, wir machen, ja wir wollen sogar diesen Spagat...Ist es nicht so, daß ich mich an Beschlüsse des LPT zu halten habe?
Das ist es, was mich quält - der Widerspruch zwischen dem, was ich sehe und denke und fühle und dem, was mir meine Partei zumutet zu tun.


Nicht die Führung - der spreche ich eine objektive Entscheidung über die Problematik Begleitgesetz zu Hartz ab... aber all die anderen, die auf dem Parteitag waren und die Anträge abgelehnt haben, die der Meinung sind, Sozialabbau soll es auch mit der PDS geben, macht nur weiter in der Fraktion...

Ratlose Grüße
Birgit

Karsten schrieb:

Lieber Peter,

was sollen denn diese Beleidigungen? Kannst Du nicht einfach akzeptieren, wenn andere in politi-scher Verantwortung anders denken als Du? Und das auch "ohne Ambitionen auf Mandaten" und im völligen Einklang mit meinem Gewissen? Ich bin niemandem verpflichtet, warum unterstellst Du das denen, die die Situation anders einschätzen? Bist Du auch so weit wie Gerhardt Bartels, dass alle diejenigen keine PDS-Politik machen, die Deiner Meinung nicht folgen? Und dass diejenigen undemo-kratisch sind, die Mehrheitsentscheidungen respektieren? Und entspricht dies alles Deiner Verantwor-tung als Wahlkreismitarbeiter dieser PDS-Fraktion?

Mit freundlichen Grüßen
MdL Karsten Neumann rechts- und europapolitischer Sprecher / PDS-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern / stellv. Vorsitzender des Rechts- und Europaausschusses /  stellv. Mitglied des Ausschuss der Regionen
Lennéstr. 1, 19053 Schwerin /Tel.: 0385-525 2500 Fax.: 0385-525 4 2529 / mail.: k.neumann@pds.landtag-mv.de

 

Soviele Mißverständnisse machten eine Antwort unumgänglich. Ich mailte

 

Lieber Karsten,

gerne möchte ich auf Deine Fragen antworten.

Völlig fern liegt es mir jemanden zu beleidigen. Ich habe nicht schlecht oder falsch über Personen ge-sprochen und auch nicht hinterm Rücken falsch Zeugnis abgelegt und intrigiert. Da müßte man ja Be-leidigungen zuordnen. Vielmehr habe ich "aus meinem Herzen keine Mördergrube gemacht" und of-fen, direkt, ehrlich meine Gedanken über die Verantwortung für eine schlechte Sache dargelegt.

 

Der Nachsatz zu meiner "Unterschrift" (Ambitionen...) sollte nur bekräftigen, dass es mir nicht um ir-gendeinen persönlichen Anspruch oder um eine Zuordnung zu einem der berühmt-berüchtigten Rich-

tungs-Schubkästen geht, sondern allein um eine Entscheidung, die ich - nach gründlicher Überlegung und dem Hin- und Herwenden der Pro- und Kontra-Argumente - für einen Fehler in der Politik der PDS halte.

(Privat-intime Ergänzung: Ich mache mir seit Jahren den Vorwurf, zu falschen Entscheidungen meiner Partei in der DDR geschwiegen zu haben und habe mir fest vorgenommen, diesen Fehler möglichst wenig, wenn möglich gar nicht, zu wiederholen.)

 

Natürlich akzeptiere ich, dass andere anders denken als ich. Gerade deshalb suche ich ja nach Argu-menten. Nur sie können doch (wenn überhaupt) helfen, Meinungsverschiedenheiten zu mindern, evtl. zu beseitigen.

 

Nein, ich bin nicht so weit, wie nach Deiner Meinung G.B. ist. Natürlich macht ihr PDS-Politik, auch wenn ihr Euch von meiner Meinung Nullkommanull beeinflussen lasst. Aber diese Frage Deinerseits umgeht elegant meinen Hinweis auf das stategische Dreieck. Dort ist doch ein, wenn nicht der Maß-stab, oder ?

 

Mehrheitsentscheidungen sind zu respektieren, aber sie dürfen auch hinterfragt und gegebenfalls ge-ändert werden.

Eine etwas sehr weit hergeholte Erinnerung : Auch Hitler wurde durch einen formal korrekten demo-kratischen Mehrheitsbeschluß gewählt.

Eine etwas näher liegende Erinnerung: Am 15.8.2002 legte die Hartz-Kommission ihren 343-Seiten-Bericht vor Am 17.8.stimmte eine SPD-Parteikonferenz zu, am 18.8. der Vorstand von Bü90/Grüne. Am 20.8. das Bundeskabinett. Wer von diesen Teilnehmern hatte wohl die 343 Seiten in diesem Zeit-raum gelesen und verstanden. Im Bundestag wurden dann nur noch Eckpunkte diskutiert. Wie demo-kratisch war also das ganze Procedere in Wirklichkeit ?

 

Hinzu kommt die Frage : Müssen wir Demokratie nicht auch an Inhalten messen, oder gar zuerst da-ran? Übersetzt heißt Demokratie, wie wir beide wissen, Volksherrschaft.

 

Zu Deiner letzten, etwas drohend klingenden Frage zu meiner Person (nicht zur Sache, um die es mir geht!) möchte ich um der Korrektheit willen festhalten, ich bin nicht Mitarbeiter der Fraktion.

Mit freundlichen Grüßen

WKM Peter Kroh

 

 

Am 30.9. stimmte der Landtag dem Ausführungsgesetz mit den Stimmen von SPD und PDS zu. Eine Landtagsabgeordnete der PDS und ein fraktionsloser Abgeordneter enthielten sich der Stimme. (ND, 1.10.04) .

Damit gab die PDS-MV „grünes Licht“ für ein Gesetz, dass sie für „verfassungsrechtlich be-denklich, wirtschaftspolitisch kontraproduktiv und sozial ungerecht“ hält, weil es „Armut per Gesetz „ ist. Nun ist sie explizit an der Verwaltung der Armut beteiligt.

 

Fast könnte mir zum Lachen sein, wenn mir nicht zum Heulen ist.



[1] Siehe Anhang 1 : * Anti-Hartz Material 27.1.2003 NB

  * AUSKÜNFTE Sonderausgabe Jan.2003

[2] siehe Anhang  2  Material des Kirchenkreises Herne