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Im Raubtierkäfig gibt es keine Verteilungsgerechtigkeit

von Peter Kroh

 

Angesichts der „Reformen“ der Schröder-Regierung haben Millionen Menschen Sorgen und Ängste wie seit langem nicht. Trotz sehr unterschiedlicher Bedingungen fragen sich - nicht nur, aber vor allem im Osten – Ausbildungswillige und Azubis ; vergeblich Arbeit Suchende und in Unternehmen, Verwaltungen, Universitäten Arbeit Habende ; Studenten, Gymnasiasten und Senioren derzeit: Was wird mit mir, aus mir? In was für einer Ordnung leben wir eigentlich? In welche gesellschaftlichen Zustände treiben wir? Es wächst das diffuse Gefühl, in einer kalten Welt, ohne Glück und Freiheit zu leben.[1]

Viele suchen nach Antworten , die nicht nur von „Zwölf bis Mittags“ reichen. Ihnen geht es um Grundsätzliches, Prinzipielles.

 

Um in der Vielfalt der normal-alltäglichen Erscheinungen das Wesentliche zu verdeutlichen, möchte ich behaupten :

In der Bundesrepublik Deutschland findet derzeit ein Klassenkampf „von oben“ statt, dem „von unten“ inadäquat begegnet wird.

 

Einen ersten Zugang,um in der Fülle des politischen Alltags das Allgemeine zu finden,gewinnt man, wenn man untersucht, ob - und wenn ja– wie und für welche Interessen verschiedene politische Akteure eintreten. Dabei zeigt sich z.B.: Ende April 2002, d.h. knapp fünf Monate vor der letzten Bundestagswahl  forderte der Chef des BDI, Herr Rogowski, „mutige Schritte“ beim Umbau der Ge-sellschaft. Für notwendig hielt er Reduzierungen der Gesetzlichen Krankenversicherung, Heraufset-zung des Rentenalters, Absenkung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Abkehr von Flächentarifver-trägen, vom Kündigungsschutz, von der Mitbestimmung. Er forderte die umfassende Einführung von Niedriglöhnen ebenso wie die Einschränkung der Versicherungspflicht für geringfügig Beschäftigte und die spürbare Entlastung der Unternehmen von Steuern. Bei alldem vergaß er nicht, das Ganze als alternativlos darzustellen.

Exakt dieses Konzept arbeitet Schröder Punkt für Punkt seit der gewonnenen Wahl ab !

Er hat sich entschieden : für die Intensivierung des neoliberalen Kurses und damit noch schärfer gegen die Interessen der „kleinen Leute“ ; weg von der Erhaltung des Sozialstaates in der reichen Bundesrepublik des 21.Jahr-hunderts und damit noch klarer für die Interessen der Banken und Großkonzerne. In Neujahrs- und Parteitagsreden gibt es ein paar verbale „Streicheleinheiten“. Konkret und praktisch jedoch orientiert er darauf, dass die einfachen Menschen ihre Verantwortung für die Wohlhabenden wahrnehmen. Solidarität mit „oben“, Ungerechtigkeit für „unten“ - das wird zum Markenzeichen der „Standort Deutschland AG“. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein sozialde-mokratischer Bundeskanzler dazu aufrief, mehr Demokratie zu wagen. Schröder hat sein soziales Gewissen verloren . Er führt eine Art „Klassenkampf von oben“.

 

Um die These, wir hätten es am Beginn des 21.Jahrhunderts wieder (oder immer noch) mit Klassen und  Klassenkampf zu tun, gibt es Streit. Drei Momente kann man dabei unterscheiden. Die einen tun das als marxistische Nostalgie ab, was für sie ein Synonym zu Unfug, Blödsinn ist. Andere, z.B. moderne Soziologen, bauschen nicht zu leugnende Unterschiede innerhalb der Lohnabhängigen auf und übersehen oder bestreiten die Gemeinsamkeiten des Ausbeutungsverhältnisses. „In England“, so schrieb Marx über seine Zeit, „ist unstreitig die moderne Gesellschaft, in ihrer ökonomischen Gliederung, am weitesten, klassischsten entwickelt. Dennoch tritt diese Klassengliederung selbst hier nicht rein hervor. Mittel- und Übergangsstufen vertuschen auch hier(...)überall die Grenz-bestimmungen. Indes ist dies für unsere Betrachtung gleichgültig. Man hat gesehn, daß es die beständige Tendenz und das Entwicklungsgesetz der kapitalistischen Produktionsweise ist, die Produktionsmittel mehr und mehr von der Arbeit zu scheiden und die zersplitterten Produktionsmittel mehr und mehr in große Gruppen zu konzentrieren, also die Arbeit in Lohnarbeit und die Produktionsmittel in Kapital zu verwandeln.“[2] Ist damit nicht unsere Wirklichkeit im Kern exakt bestimmt? Die dritten schließlich reißen den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, zwischen Zerstörungstrieb und Kulturbewahrung, zwischen unmenschlichen Defekten dieser Ordnung und menschenfreundlichen Errungenschaften auseinander und meinen, das seien zwei voneinander losgelöste Aspekte. Den einen müsse man be- oder verhindern, den andern jedoch stützen, unter-stützen, ausbauen. Marx kritisierte einen ähnlichen Umgang mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit als  Grobianismus des gesunden Menschenverstandes, der „da, wo es ihm gelingt, den Unterschied zu sehen, die Einheit nicht sieht“ und der „da, wo er die Einheit sieht, den Unterschied nicht sieht“. Statt dessen forderte Marx, „diese Begriffsklötze so zusammenzuschlagen, dass sie ins Brennen geraten.“[3]

 

Im folgenden sollen deshalb die beiden Seiten des Widerspruchs nacheinander dargestellt werden, um in den Erscheinungen das Wesen zu erkennen und so die anfängliche Behauptung zu beweisen.

Dabei möchte ich methodisch der Marx‘schen Aufforderung nachkommen,„den Klassenkampf in der Tagesgeschichte zu verfolgen und an dem vorhandnen und täglich neu geschaffnen geschichtlichen Stoff empirisch nachzuweisen...“[4]

 

1.    Neun wesentliche ökonomisch-politische Erscheinungen

 

1.        Die Arbeitslosigkeit bleibt –entgegen allen, immer mal wieder vor Wahlen herausposaunten Halbierungsankündigungen von Kohl oder Schröder- konstant skandalös hoch. Trotz veränderter Zählweise (ABM-Beschäftigte, Teilnehmer an Eignungsfeststellungs- und Trainingsmaßnahmen werden ebenso nicht mehr als Arbeitslose erfasst wie die, die die Suche längst aufgegeben haben)steigt im Januar 2004 die Arbeitslosigkeit gegenüber Dezember 2003. Derzeit sind 4 Millionen 641Tausend Menschen ohne Arbeit. Hinzu kommt :die Erwerbstätigkeit ist weiter rückläufig (Nov.2003= 38,61 Millionen Menschen in einem Erwerbsjob; das sind 236.000 weniger als im Nov.2002) . Und die weniger Beschäftigten sollen nun länger arbeiten.

2.        Vom Schröder-Kabinett verteilte Steuergeschenke bringen Milliarden in die Kassen großer Un-ternehmen, Banken und Versicherungen (Wegfall der Steuer auf Gewinne aus Beteiligungs-verkäufen = 40 Mrd. € pro  Jahr; Ausfälle aus der Körperschaftssteuer = 25 bis 30 Mrd. € pro Jahr; Versicherungen können Verluste steuerlich geltend machen = 5 bis 10 Mrd. € einmalig).

3.        Siemens, das zweitgrößte deutsche Industrieunternehmen, meldet auf der Hauptversammlung am 22.1.2004 einen Gewinnsprung im letzten Quartal von 39 %, stellt zugleich weitere Entlassungen und Arbeitsplatzverlagerungen nach Osteuropa und Asien in Aussicht.

4.        Siemens entlässt Angestellte in die Leiharbeitsfirma Komptime. Siemens mietet Leiharbeiter von der Firma Komptime, natürlich nicht zum Tariflohn, sondern darunter. Der ausbeuterische Clou : Besitzer von Komptime ist – na raten Sie mal ?... SIEMENS !

5.        Daimler Chrysler meldet für 2003 einen Profit von 5,7 Mrd. € .Der VW–Konzern macht 2003 „nur“ 1,12 Mrd. € Reingewinn (nach Steuern!), das ist ein Minus von 57% im Vergleich zum Vorjahr.

6.        Siemens, Daimler und VW stehen stellvertretend für die Deutschland AG: Bei extrem hohen Gewinnen werden Stellen abgebaut, wird der Leistungsdruck erhöht und Surplus-Profit erzielt.

7.        Die Produktivität pro Arbeitsstunde stieg in der BRD seit 1960 im Schnitt auf das Vierfache. 1960 lag die Bruttowertschöpfung bei (umgerechnet) 491 € und das Bruttoeinkommen abhängig Beschäftigter umgerechnet) bei 260 €. 41 Jahre später, 2001 betrug die Bruttowertschöpfung 4442 € und das Bruttoeinkommen abhängig Beschäftigter bei 2166 €. Das bedeutet: 1960 erhielten die abhängig Beschäftigten 45 % ihrer Wertschöpfung ausgezahlt, 2001 sind es nur noch 31%. 1980 lag die Bruttolohnquote des Volkseinkommens bei 75,2 %; 2002 lag sie noch bei 71,9 %.

8.        Deutschland - das Land der Rekorde: Rekordarbeitslosigkeit (über 4 Mio ), Rekordreichtum (775 000 Millionäre; eine für die deutsche Geschichte einmalige Reichtumsexplosion), Rekord-verschuldung (Staatsdefizit 2004 zum drittenmal hintereinander mehr als 3% des BIP), Re-kordexport ( 2003 Deutschland Exportweltmeister vor USA und Japan); aber auch Rekordvor-sicht bei Linken in der SPD, in den Gewerkschaften, in den Kirchen, in der PDS, schwarz eben schwarz und nicht dunkelgrau zu nennen, also zum Kapitalismus Kapitalismus und zum Klas-senkampf Klassenkampf zu sagen. [Nebenbemerkung in Klammern:Um die Rekorde zu verschleiern, lügen Regierung, Unternehmervereinigungen und Medien uns die Hucke voll, über Deutschland sei die Naturkatastrophe der Löcher hereingebrochen. Es gäbe ein Loch in den Rentenkassen, Löcher in den Haushalten von Kommunen, Ländern und Bund, Löcher in den Finanztöpfen für Kita, Schulen, Ausbildungseinrichtungen, Universitäten. Und wegen all dieser Löcher gäbe es nichts mehr zu verteilen. ]

9.        Die Deutsche Bank gibt allein für das 3.Quartal 2003 einen Gewinn nach Steuern von 576 Mio € an.

 

Eine erste, vorläufige Zwischenwertung dieser Fakten und Daten kann man in drei Punkten zusammenfassen:

 

1.      Wenn die politisch Verantwortlichen sagen: „Die Kassen sind leer!“, kleben sie an der Erschei-nung und lügen, indem sie diesen Zustand als eine Art Naturereignis deuten. Wer sagt: „Sie sind leer gemacht worden“, erfasst das Wesen und sagt die Wahrheit, weil er den Sachlage als politisch herbeigeführtes Resultat kennzeichnet.

2.      Wer meint, es gibt mehr als 4 Millionen Arbeitslose und  775 000 Millionäre, bleibt an der Oberfläche, am Schein haften. Wer jedoch erkennt, es gibt die einen, weil es die anderen gibt, der erfasst die Ursache, den Kern. Es gibt nicht steigende Aktienkurse dort und soziale Ein-schnitte hier, sondern es gibt das eine, weil es das andere gibt.[5] Das ist das Ergebnis extremer Marktwirtschaft und des Verzichts auf jedwede gesellschaftspolitische Verteilungsgerechtigkeit. Dieser Trend ist unter Kohl begonnen, aber von Schröder nicht nur nicht angehalten oder been-det, sondern vielmehr beschleunigt worden.

3.      Exportweltmeister wurde die Bundesrepublik nicht zuletzt durch die Sozialpartnerschaft, jene spezielle deutsche Form des relativ entspannten Interessenausgleichs zwischen Kapital und Arbeit. Sie ermöglichte dem Kapital, die Produktivität und ergo die Profite ständig zu steigern und gleichzeitig die Lohnstückkosten relativ zu senken. Jetzt – mehr als ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der faschistischen Daseinsweise des Kapitalismus und anderthalb Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der einstigen sozialpolitischen Herausforderung durch den Osten - ist diese Form der Konfliktlösung zwischen Kapital und Arbeit für das Kapital politisch überflüs-sig und finanziell zu teuer. Man kann und will wieder zu solchen Formen übergehen, die noch mehr Profit abwerfen. Billige und qualifizierte Arbeitskräfte gibt es in Ost- und Südeuropa eben-so wie in Asien ,Zugeständnisse an die Gewerkschaften sind deshalb unnötig. Sinkende Binnen-nachfrage ist „nur“ für Sozialisten und Demokraten ein Problem, nicht für Kapitalisten . Ihr Markt ist die Welt und was ist schon der Binnenmarkt Deutschlands gegen den in den USA, China, Indien und Afrika? Peanuts !! Und das Kapital hat einen Horror vor der Abwesenheit von Profit![6]

Eine Zusatzbemerkung als Ex-DDR- und Neu-BRD-Bürger, also als einer, der zwei Systeme verglei-chen kann , will ich mir nicht verkneifen: Der so genannte reale Sozialismus hat den Einzelnen letzt-lich der Gemeinschaft untergeordnet. Der Neoliberalismus zerstört das Gemeinwohl zugunsten eines radikalen Individualismus. In der DDR machte die Politik die Ökonomie kaputt. Partei und Staat bestimmten, wo‘s lang ging. Das war für viele Menschen oft schmerzhaft und für’s System letztlich tödlich. In der BRD macht die Ökonomie die Politik kaputt. Die Wirtschaft und ihre Verbände be-stimmen,  wo’s lang geht. Das ist für viele Menschen lebensgefährlich und für’s System letztlich todbringend.

 

Ist das alles nicht doch eine zweckbezogene polemische Übertreibung ? Prüfen wir das, indem wir kurz der Frage nachgehen:

 

2.             Was geschah eigentlich in der jüngsten Metall- Tarifauseinandersetzung zu Beginn des Jahres 2004?

 

Die Ergebnisse sind bekannt: 2,2 % zum 1.3. 2004 und noch einmal 2,7 % zum 1.3. 2005. Mit 26 Monaten ist die Laufzeit deutlich länger als von den Gewerkschaften eingangs der Auseinanderset-zung gefordert. Schon das ist ein Nachteil für die abhängig Beschäftigten. Jeweils 0,7 % werden für die so genannten ERA-Strukturkomponente zur Angleichung der Entgelte von Arbeitern und Ange-stellten einbehalten. Es gibt also eine reale Steigerung um 1,5 bzw.2 %. Diesen Zuwachs fressen Inflationsrate und (z.B.!)erhöhte Zuzahlungen im Gesundheitswesen mehr als auf!

Das entscheidende Ergebnis dieses Tarifstreits jedoch ist: Die Gewerkschaften haben die Kernfor-derung der Unternehmerseite akzeptiert, mehr und länger zu arbeiten bei möglichst gleicher oder niedriger Bezahlung. Der Spielraum der Unternehmer bei der Ausdehnung der Arbeitszeit wurde erhöht. Das Kapital hat sich in seinem Kampf um den eigenen  Anteil am Profit gegen die Lohn-arbeiter durchgesetzt. Der Metall-Tarifabschluß 2004 bedeutet so Reallohnverlust und Arbeitszeit-verlängerung. Die geringen Lohnerhöhungen bei erhöhter Produktivität und Verlagerungsmöglich-keiten und –absichten nach Tschechien oder China schmerzen die Unternehmer nicht.

Tariffragen sind ganz offensichtlich Machtfragen, es geht also um die Frage „Wer wen ?“ Den Me-tall“arbeitgebern“ ging es um die Senkung der Löhne und ums Vorführen der IG Metall. Beides ist ihnen gelungen. Sie waren die Sieger dieser Kontroverse.

Eine Ursache für dieses Ergebnis ist ganz wesentlich die jeweilige „Aufstellung“ der Kontrahenten. Die Gewerkschaften waren von Anfang an kompromissbereit und z.T. uneins, die Arbeitgeber wa-ren weder kompromissbereit noch uneins. Der Unternehmerverband Metall verfolgte im Kampf um den privaten Anteil am gesellschaftlich erarbeiteten Reichtum das Hauptziel : 5 unbezahlte zusätz-liche Arbeitsstunden. Die Gewerkschaft setzte dagegen auf ihren Platz 1 das Eintreten für „einen gesetzlichen Mindestlohn, der zum Leben reicht“. Warum ? Auf Platz 1 hätte der Nachweis gehört, dass 30 Stunden Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich immer noch genügend Profit abwerfen und 5 unbezahlte Stunden Mehrarbeit einer Lohnkürzung von 14,3 % entsprechen.[ 35 h = 100% ]

Dass genau diese Forderung nicht erhoben wurde, zeigt m.E. auch die Gewerkschaftsspitzen glau-ben, die Unternehmen leiden unter angeblich zu hohen Lohn- und Lohnnebenkosten. Zugespitzt wirft das die Frage auf: Sind Unternehmer erst dann zufrieden, wenn Löhne (und Steuern!) bei Null liegen? Oder sind die jetzt schon gezahlten Lohnzuschüsse, Subventionen, Fördermittel aller Art nur der erste Schritt dazu, dass sie erst zufrieden sind, wenn sie daraus alle Löhne und Steuern zahlen können ? 

Einer Antwort kommt man näher, wenn man nicht vergißt, dass es um reale Interessenkonflikte zwischen unterschiedlich Mächtigen geht und es nichts hilft, zu versuchen, Interessenharmonie herzustellen und Gleichberechtigung vorzuspiegeln. Wie ist denn die harte Realität ?

 

Der eine besitzt Maschinen, Rohstoffe etc., mit denen der andere mehr und größere Werte schafft, als er selber im Lohn erhält. Die Differenz zwischen den geschaffenen Werten und dem erhaltenen Lohn macht letztlich den Gewinn. Der Eigentümer der Produktionsmittel nimmt ein (unbezahltes) Mehrprodukt von dem, der seine Arbeit(skraft) gibt. Der Besitzende ist daran interessiert, dass es so groß wie möglich ist. Er lebt davon, er investiert davon an Börsen.(Derzeit  wird im allgemeinen mehr spekuliert als investiert. Es bringt nämlich mehr und schneller noch mehr Geld in die Kasse. Die Steuerersparnis ist zugleich eine Verweigerung der im Grundgesetz festgehaltenen Sozialpflicht des Eigentums.) 

Der andere hingegen gibt seine Arbeitskraft her, verkauft sie. Erst dadurch ist es überhaupt möglich, Profit einzuheimsen. Der seine Arbeit(skraft) Gebende ist interessiert, dass sein Lohn steigt. Er kauft davon seine Brötchen, bezahlt Miete oder die Rate fürs Häuschen, sein Auto, den Urlaub und die Ausbildung der Kinder. 

Der Unternehmer, von der veröffentlichten Meinung als Arbeitgeber tituliert, ist der eigentliche Arbeitnehmer. Der Lohnabhängige, von der veröffentlichten Meinung als Arbeitnehmer bezeichnet, ist der eigentliche Arbeitgeber.

 

Das klingt in vielen Ohren widersinning, weil es der Erscheinung widerspricht. Und doch liegt darin das Wesen des Verhältnisses zwischen Kapital und Arbeit ![7]

 

Wer jetzt denkt: „Pfui, was für veraltetes Denken! Marx ist doch tot“, dem sei gesagt, es ist schon ein interessantes Paradoxon, dass die wissenschaftlich begründeten Ansichten von Karl Marx über den Kapitalismus 120 Jahre nach seinem Tod wieder so wahr sind, wie zu seinen Lebzeiten. Offen-sichtlich war der Kapitalismus in der Zwischenzeit vor allem durch die Arbeiterbewegung und durch kampfbereite Gewerkschaften , aber nicht zuletzt auch durch  die historisch kurze Existenz des Versuchs einer gesellschaftlichen Alternative gezwungen, sich ein wenig zu maskieren. Jetzt kann er wieder ungehindert „zur Sache gehen“.

Marx kann helfen, sowohl die scheinbare Widersinnigkeit der eben dargestellten Bezeichnungen als auch das Wesentliche an der jüngsten Metall-Tarifrunde aufzuhellen.

 

Er stellte in bezug auf die Ware Arbeitskraft fest : „Die Verkäufer machen sich ... den Markt streitig. Jeder von ihnen will verkaufen, ...womöglich ... mit Ausschluß der übrigen Verkäufer. Der eine verkauft daher wohlfeiler als der andre. Es findet also eine Konkurrenz unter den Verkäufern statt, die den Preis der von ihnen angebotnen Waren herabdrückt. Es findet aber auch eine Konkurrenz unter den Käufern statt, die ihrerseits den Preis der angebotnen Waren steigen macht. Es findet endlich eine Konkurrenz unter den Käufern und Verkäufern statt; die einen wollen möglichst wohlfeil kaufen, die andern wollen möglichst teuer verkaufen. Das Resultat dieser Konkurrenz zwischen Käufern und Verkäufern wird davon abhängen, wie sich die beiden früher angegebnen Seiten der Konkurrenz verhalten, d.h. ob die Konkurrenz in dem Heer der Käufer oder die Konkurrenz in dem Heer der Verkäufer stärker ist. Die Industrie führt zwei Heeresmassen gegeneinander ins Feld, wovon eine jede in ihren eignen Reihen zwischen ihren eignen Truppen wieder eine Schlacht liefert. Die Heeresmasse, unter deren Truppen die geringste Prügelei stattfindet, trägt den Sieg über die entgegenstehende davon.“[8]

 

Die im Tarifstreit durchgesetzte Mehrarbeitszeit besagt nicht unbedingt Mehrproduktion, auf jeden Fall aber billigere Produktion. Ausweitung der unbezahlten Mehrarbeit heißt – entgegen allen Lü-gen, (z.B. damit würden Arbeitsplätze gesichert) - : Mehr Profit und deswegen Anstieg der Ar-beitslosigkeit! Denn die Unternehmer, die ihre Produkte gewinnbringend von weniger, aber länger arbeitenden Beschäftigten herstellen lassen, werden ein Teil der Belegschaften „freisetzen“. [Nebenwirkung :Der Streß für die sich noch ausbeuten lassen dürfenden Jobinhaber verschärft sich.] Würden unterdurchschnittliche Löhne Arbeitsplätze schaffen, dann wären die neuen Bundesländer eine Oase der Vollbeschäftigung. In Wahrheit ist die Arbeitslosigkeit gerade dort am niedrigsten, wo die höchsten Löhne gezahlt werden ! In den letzten 40 Jahren schöpften die bundesdeutschen Unternehmer ihr Vermögen fast ausschließlich aus dem relativer Mehrwert . Jetzt geht es auch wieder um absoluten.

Die Unternehmer haben ein weiteres Gefecht in der Bekämpfung der abhängig Beschäftigten ge-wonnen. Bei der Qualität der Gegenwehr der „da unten“ wird es „denen da oben“ wohl auch weiter-hin gelingen. Die wachsende Rücksichtnahme der Gewerkschaften auf die Regierung ist im Kern die wachsende Sorge der Gewerkschaften um günstige Kapitalverwertungsbedingungen.

 

Welche weiteren Erscheinungen der bundesdeutschen Wirklichkeit kann man in Erinnerung rufen, um die Eingangsbehauptung umfassender zu belegen und zu zeigen, wie welche Interessen durchgesetzt werden?

 

3.       Was nehmen Unternehmer für‘s private Wohl und das der Firma?

         (12 Anmerkungen, darin 3 partielle Wiederholungen )

 

1.    Der Vorstand von Daimler Chrysler genehmigt sich eine Gehaltserhöhung von 131%.Die Mana-ger der 30 im DAX notierten Unternehme haben ein durchschnittliches Jahresgehalt von 1,25 Millionen €.

Wessen Interessen werden damit erfüllt ?

2.        Die Manager der insolventen Chipfabrik in Frankfurt/Oder(Communicant AG) bewilligen sich insgesamt 3 Millionen € Abfindung. 113 Lehrlinge sind zu Ende Februar gekündigt. Die Azubis des 1.Lehrjahrs bekommen nicht einmal Arbeitslosengeld. Sie haben, so sagte es einer, „die Arschkarte gezogen“. Eine Fortsetzung des Ausbildung würde nach firmeninternen Berech-nungen ca.3 Millionen, also die Summe der Abfindungen für die hohen Herren, kosten. CDU-Wirtschaftsminister Junghanns dazu : „Der Vorstand bekommt keinen Cent Vergütung mehr, als ihm rechtlich zusteht“. Recht hat er ! Genau das ist das Problem!                                       Wer befriedigt seine Interessen ?

3.        Nur wenige Stunden nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Toll Collect am 17.2. schnellten die Aktien der beteiligten Konzerne Daimler Chrysler und Tele-kom gegen den Trend in die Höhe, bei Telekom um 4,2 %. Spekulanten belohnen Firmen für ihren gelungenen Widerstand gegen eine Begleichung der durch sie angerichteten volkswirt-schaftlichen Schäden (insgesamt 6,5 Milliarden € ).    Vier Verkehrsminister (Müntefering, Klimmt, Bodewig, Stolpe) waren gehorsame Befehlsempfänger des Kapitals, das (noch !) Po-litiker benötigt , um Extra-Profit zu machen. Telekom ist de facto eine Tochterfirma der Bun-desregierung. Daimler Chrysler ist der größte LKW-Hersteller der Welt. Hinter diesem Konzern steht die größte europäische Bank, die Deutsche Bank. 2003 verschmolz der Güterverkehr der Bahn, die DB Cargo mit der größten LKW-Spedition, der Stinnes AG zur Railion AG. So domi-nieren heute die Interessen der LKW-Lobby nicht nur gegenüber der Politik, sondern auch beim Konkurrenten „Schiene“. Zwei Tage nach dem nutzlosen Gespräch zwischen Stolpe und Toll-Collect teilte der Aufsichtsrat von Daimler Chrysler mit, der Vertrag mit Herrn Schrempp, Spitzenmann des Konzerns und Großaktionär bei Toll-Collect werde um weiter drei Jahre über 2005 hinaus verlängert.

Um wessen Interessen geht es ? Um welche Interessen geht es ?

4.        Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank(Jahreseinkommen 2002: 6,9 Millionen €), kennt offensichtlich ein Recht auf Bereicherung, wenn er vor dem Gerichtsverfahren gegen ihn und andere erklärte: „Das ist das einzige Land, wo die, die erfolgreich Werte schaffen, deswegen vor Gericht stehen.“ Er sprach so eine Wahrheit und eine Lüge aus. Die Wahrheit: Er zählt zu jenen Kapitalisten, die sich erfolgreich ein unverhältnismäßig großes Stück vom "gesellschaftlichen Kuchen" aneignen. Die Lüge: Die Werte werden nicht von ihm, sondern von den Millionen Ausgebeuteter geschaffen, die man möglichst überall in Bundesrepublik nur noch mit einem Niedrig- sprich Hungerlohn abfinden will. Freilich: Eine Strafe wird kaum erfolgen.[9] Fakt bleibt: 60 Millionen € Abfindung, das zeigt wie in einem Brennspiegel das Wesen des Kapitalismus und den Hauptinhalt des vom Kapital siegreich geführten Klassenkampfs :gezieltes Bereichern ist nichts anders als private Aneignung des gesellschaftlich produzierten Mehrwerts. Muss man noch nach Interessen fragen ?

5.        Herr Esser war 9 Monate Aufsichtsratsvorsitzender des Mannesmann-Konzerns . Am Ende die-ser Tätigkeit bekam er dafür eine Prämie von 16,5 Mill. €, also für jeden Monat etwas mehr als 1,8 Mill. €. Der Empfänger vom so genannten Arbeitslosengeld II im Osten (331 € ohne Miet- und Heizkosten )könnte für das Monatsentgelt von Herrn Esser ein wenig über 460 Jahre lang sein Geld empfangen. Ein Wahlkreismitarbeiter eines Landtagsabgeordneten in Mecklenburg-Vorpommern müsste für das Monatssalär von Herrn Esser etwas mehr als 100 Jahre und ein gut dotierter Universitätsprofessor fast 22 Jahre arbeiten. Was geschieht hier in wessen Interesse ?

6.    (1.Wdhlg.)Einkommensmillionäre erhalten durch die Politik der Bundesregierung einen Scheck über mehrere Zehntausend € und zugleich erhalten Hunderttausende Arbeitslose durch dieselbe Bundesregierung gekürzte Leistungsbezüge, im Einzelfall  bis zu 30 %. Wer tut was für wessen Interessen?

7.    (2.Wdhlg.)Die Lebensversicherungs-Konzerne haben in den letzten drei Jahren bis zu 100 Mil-liarden € an der Börse verbrannt. Nun dürfen sie ihre Verluste steuerlich geltend machen und wenn das nicht zur Sanierung reicht, wird von der Regierung ein Notfonds eingerichtet. Den Berliner Bankenskandal, die Kürzung von Betriebsrenten bei der Commerzbank, die Berater-honorare bei der Bundesagentur für Arbeit und die durch ihren bis vor kurzem obersten Agenten Florian Gerster für sich selbst auf eine Viertelmillion € verdoppelten Bezüge kann ich hier nur summarisch erwähnen. Zwischen 1994 und 2002, erhielt die Münchener Beratungsfirma von Schröders Duzfreund Roland Berger, allein aus Niedersachsen 21 Gutachteraufträge und dafür ein Honorar von insgesamt 6,2Millionen €. Das hier umverteilte Geld , stammt in jedem Fall aus den Taschen abhängig Beschäftigter . Und das ist nur die kleine Spitze eines großen Eisbergs! Wer tut was für wessen Interessen?

8.    (3.Wdhlg.) Unternehmer fordern von der IG Metall, die Tarifautonomie aufzugeben. Lieber noch als mit labilen Gewerkschaften, wollen sie mit erpressbaren Betriebsräten „verhandeln“, die bekanntlich durch das Betriebsverfassungsgesetz zum Erhalt des Betriebsfriedens verpflichtet sind. Vorbildlich ist für Hundt die Haltung der IG Bau. Die hatte 2003 der massiven Kürzung bei Weihnachts- und Urlaubsgeld zugestimmt und angekündigt 2004 auf Lohnerhöhungen zu verzichten. Wer handelt hier für wessen Interessen?

9.    Unternehmer gehen juristisch gegen Beschäftigte vor, die Missstände im Betrieb öffentlich ma-chen (Daimler klagt gegen Kasseler Betriebszeitung / Bankgesellschaft Berlin kündigt Ange-stellten wegen Äußerungen auf seiner privaten (!) Homepage / Betriebsratsmitglied der Nie-derlassung Schlafhorst des Saurer-Konzerns in Mönchengladbach wird wegen Leserbrief ge-kündigt, der gegen zu unternehmensfreundlichen Pressebericht über das Unternehmen ver-öffentlicht wurde / eine Zeitarbeitsfirma veranlaßt Abmahnung eines Web-Diskussionsforums (mehr dazu auf der Internetseite www.labournet.de ) Wessen Interessen werden damit befriedigt, wessen geschädigt ?

10.  Unverfrorene Selbstbedienung für sich und politische Weichenstellung, um hierbei Kontinuität zu sichern, gehen Hand in Hand. BDI und BDA fordern in Briefen an die Vorsitzenden des Haushalt- und des Finanzausschusses des Bundestages Verzicht auf jegliche Mindestbesteuerung von Unternehmen, steuerliche Freistellung von Dividenden, Steuererleichterungen bei Veräußerungsgewinnen, flächendeckende Privatisierung der öffentlichen Dienstleistungen sowie die verbindliche Einführung einer Zwangsschlichtung in allen Tarifkonflikten( d.h. Warnstreiks wären künftig illegal).

11. BDI und BDA verfügen in den Spitzenetagen aller Bundestagsfraktionen über genügend Ge-folgsleute, die den Sozialabbau, d.h. die Verbesserung der Verwertungsbedingungen für das Kapital je nach „Gefechtslage“ bewältigen. Entweder per Großer Koalition wie bei der Gesund-heits“reform“ oder per Bundestagsmehrheit, wie beim Thema „Tarifautonomie“ oder per Ver-mittlungsausschuss, wie bei den Hartz-Gesetzen.

12. BDA und BDI bringen Forderungskataloge zu allen gesellschaftspolitisch relevanten Themen in die Öffentlichkeit (Rente, Betriebliche Bündnisse, Gesundheit, Flächentarif, Sozialhilfe, Arbeitslosengeld usw.) und fordern auf allen Gebieten durchgreifende Strukturreformen. BDA-Chef Hundt befindet sich nach eigenen Worten mit Schröder und Clement im Einvernehmen, dass die Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden eine „nationale Aufgabe“ sei und entweder in Tarifverhandlungen erreicht oder – wenn nicht – gesetzgeberisch vollzogen wird. Es gab kein Dementi der beiden Regierenden gegenüber der Meinung des Machthabenden. Noch Fragen zu den Interessen?

 

Um die Beweisführung für die Eingangsbehauptung abzuschließen, sei – vor der Erörterung einiger Konsequenzen - ein letzter Punkt in Form von 10 Anmerkungen, einer stereotypen Frage, einer ernsten und einer unernsten Wertung angeführt.

 

4.     Was tut die („rot“/?/-grüne) Schröder-Regierung ?

 

1.  Die BRD ist trotz und wegen Kontinuität zwischen Kohl und Schröder im Vergleich zu 1998 ra-dikal verändert. Nicht nur die Beteiligung an äußeren Kriegen, auch die Führung eines Krieges nach innen bewirkt qualitative Veränderungen in den Verteilungskonflikten. Kosovo und Hindu-kusch sind ebenso Stichworte dafür wie Rentenkürzung für die Alten, Rentenabschaffung für jüngere Generationen, Verstetigung der Massenarbeitslosigkeit, Zwangsarbeit als Norm , was zugleich einen Verstoß gegen das Grundgesetz (Art.12) darstellt. Millionen für Millionäre und reduziertes Weihnachtsgeldes bei Beamten, verlängerte Arbeitszeiten , erhöhte städtische Ge-bühren, gekürzte Gesundheitsleistungen, gekürztes Arbeitslosengeld . Ist das naturgegeben oder politisch herbei geführt ? Wenn es letzteres ist, dann ist es Klassenkampf , und zwar „von oben“, oder ?

2.        Die Regierung beschneidet die Existenzgrundlagen von Millionen Normal- und Kleinverdienern immer stärker und hat den viel gerühmten „Rheinische Kapitalismus“ längst zu Grabe getra-gen. Schröder lobte im September 2003 die Steuerreform, weil sie „die Steuerbelastung der deutschen Unternehmen eher ins untere Drittel des europäischen Geleitzuges (brachte).“ Durch die Steuerreform sollte etwa 40 Mrd. € bei den Bürgern bleiben. Solide Berechnungen von Steuerexperten ergaben: Bei etwa vier Fünfteln aller Haushalte der BRD verbleiben davon knapp ein Drittel. Beim restlichen Fünftel der Haushalte bleiben die anderen zwei Drittel. Dient das dem Bemühen um sozialen Ausgleich oder ist es eher Ausdruck der staatlich organisierten Reichtumspflege? Wenn es letzteres ist, dann ist es Klassenkampf , und zwar „von oben“, oder ?

3.        Superminister Clement schwärmt auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung „Arbeit schaffen und Arbeitslosigkeit schneller beenden – Reformprozesse in Großbritannien und Deutschland“ am 28.1.2004 über den britischen Arbeitsmarkt als Erfolg und Vorbild:„…, so muss das bei uns auch aussehen!“ Was heißt das im einzelnen ? In Großbritannien ist der Kündigungsschutz fast komplett erledigt, öffentliche Dienstleistungen weitgehend privatisiert, der Niedriglohnsektor deutlich etabliert; die Teilzeitquote auf 25 % getrieben; der Bezug von Arbeitslosengeld auf 6 Monate reduziert, die anschließend gezahlten Fürsorgegelder liegen deutlich unter dem Niveau deutscher Sozialhilfe, es gibt umfassende Kontrollen der persönlichen Lebensumstände von Arbeitslosen. Ständige Vorladungen in die Job-Center sind die Regel; jedes Angebot einer Arbeitsstelle oder Qualifizierung ist unmittelbar mit der Drohung von Streichungen der Lohnersatzleistungen verbunden, ein zweiter Arbeitsmarkt existiert nicht. Trägt die Zunahme solcher sozialen Zustände zu mehr Gerechtigkeit oder zur Verschärfung des Gegenteils bei? Wenn es letzteres ist, dann ist es Klassenkampf , und zwar „von oben, “oder ?

4.        Die Lastenverteilung für die Gesundheitssicherung zwischen Kapitalisten / Unternehmern und Versicherten ist schon seit Seehofer und Blüm in der Schieflage. Dieser als „Umbau“ getarnte Systemwechsel geht weiter. Die so genannte Gesundheitsreform ist ganz klar eine Kostenent-lastung der Unternehmer zu Lasten der abhängig Beschäftigten. Begründet wird sie mit der Lüge von der Kostenexplosion. Die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung liegen seit rund 20 Jahren bei etwa 6 % des Bruttoinlandsproduktes. Das ist in den letzten 20 Jahren ste-tig gewachsen. Also ist auch das verteilbare „Stück vom Kuchen“ gewachsen. Und zwar von ca. 44 Mrd. € im Jahre 1980 auf rund 126 Mrd. € im Jahre 2000. Sieht man nur die absoluten Zahlen, scheint es eine Explosion gegeben zu haben. Der Schein aber trügt.[10] Er wird benutzt, um zu betrügen. Sieht man indes den Anteil am gesellschaftlichen Reichtum, bekommt man sofort eine sachliche Sicht auf das Wesen der Sache. Kostenexplosion  hieße dann nämlich, dass die GKV-Kosten deutlich, rasch und extrem schneller einen größeren Teil des gesellschaftlichen Reichtums „verschlingen“. Genau das tun sie aber nicht ! Ist die Lüge Zufall oder Mittel zur Durchsetzung von Kapitalinteressen ? Wenn es letzteres ist, dann ist es Klassenkampf,  und zwar „von oben“, oder ?

5.        Neben der Massenarbeitslosigkeit, den Angriffen auf Renten- und Krankenversicherungen ge-hören die immer schlechter werdenden Ausbildungsbedingungen zu den aktuellen Erschei-nungsformen,in denen das Kapitals um bessere Verwertungsbedingungen kämpft. Ausbildung bringt nur Kosten und keinen Nutzen, also weg damit - das ist zeitgemäße kapitalistisch-betriebswirtschaftliche Logik. Zielt all das auf einen Beitrag zum Wohlstand des Volkes oder steht allein die ideale Sicherung egoistischer Klasseninteressen auf der Tages-ordnung ? Wenn es letzteres ist, dann ist es Klassenkampf, und zwar „von oben“, oder ?

6.        Banken, Versicherungen Unternehmensberater privatisieren Gewinne und vergesellschaften Verluste. Ist das dem Gemeinwohl verpflichtet oder ist es Teil der wirtschaftlich gewollten und politisch organisierten Entsolidarisierung ? Wenn es letzteres ist, dann ist es Klassenkampf, und zwar „von oben“, oder ?

7.        Die Agenda 2010 vollzieht weitere und schnellere Schritte dahin, dass alle menschlichen Zwe-cke aufgegeben werden, im neoliberalen Wahn verdampfen und nur noch der Selbstzweck der Kapitalverwertung übrig bleibt. Ziel der Agenda 2010 ist die Anhebung der Profite auf Kosten der Löhne. Beachtet der Kanzler dabei Art 1. (3) GG, wonach die Grundrechte die aktuelle Gesetzgebung  die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung binden oder wird durch die Agenda  das Gemeinwohl und das Grundgesetz verletzt ? Wird mit der Agenda 2010 Artikel 20 (1)GG, wonach die Bundesrepublik ein sozialer Bundesstaat ist, erfüllt oder verletzt? Wenn letzteres der Fall ist, dann wäre Klassenkampf ,und zwar „von unten “ dringend geboten und Art. 20 (4) GG anzuwenden.

8.        2003 sind die Sperrzeiten für Arbeitslose um (nicht auf!) etwa 180 % gestiegen. Vom 1.Jan. bis 30.Nov. 2003 gab es bundesweit 141 236 x Sperrzeiten wegen Ablehnung einer zumutba-ren Arbeit, im Osten davon 36 681x. Wissen muss man:  „Sperrzeit“, d.h. 12 Wochen kein Ar-beitslosengeld und „zumutbar“ ist jeder Job, der soviel Nettolohn bringt wie das bisherige Ar-beitslosengeld bzw. die bisherige Arbeitslosenhilfe. Die Absenkung der Sozialhilfe greift das Tarifsystem von unten an. Insofern ist die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe bei gleichzeitiger Absenkung zuerst ein Angriff auf die Empfänger dieser sozialen Leistung, dann aber auch ein Angriff auf alle lohnabhängig (noch) Beschäftigten. Wird so jedem die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit garantiert (Art.2 GG) ? Wird so niemand z.B. wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Herkunft benachteiligt (Art.3 GG) ? Oder ist eher das Gegenteil davon der Fall? , Wenn es letzteres ist, dann wäre Klassenkampf , und zwar „von unten “ dringend geboten.

9.        Die Kommunen werden durch die Bundesregierung finanzpolitisch sukzessive zum Verkauf ih-res „Tafelsilbers“, zur Privatisierung von Wasser, Energie und Müllabfuhr veranlaßt. Ganz ohne Zweifel ist das einerseits ein Abbau der Daseinsvorsorge. Gesellschaftspolitisch aber erhöht sich dadurch vor allem der Anteil und damit das Gewicht der Kapitalseite in der Gesellschaft. Gibt es somit für die Interessen abhängig Beschäftigter und die Interessen der Unternehmer gleich günstige Rahmenbedingungen oder kommt es eher zu einer schrittweisen Verschiebung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses zugunsten des Kapitals. Wenn letzteres stimmt, dann ist es Klassenkampf, und zwar von oben, oder ?

10.    Der SPD/PDS-Senat in Berlin will u.a. Mitbestimmung der Personalvertretungen bei außeror-dentlichen Kündigungen abschaffen. Die SPD/ PDS-Regierung in M-V stellt derzeit Landes-bedienstete vor die Alternative „15%-Lohnverzicht oder betriebsbedingte Kündigung “. Das heißt SPD und PDS in Regierung müssen sich oft verhalten wie ordentliche Kapitalisten, sie räumen dem marktwirtschaftlichen Wettbewerb und der betriebswirtschaftlichen Rationalität höchste Priorität ein. Verfolgt die PDS damit eigene Ziele oder wird sie eher durch den Zwang zur Einhaltung von Ge-setzen für gegenteilige Ziele eingespannt ? Wenn es letzteres ist, dann beteiligt sich die PDS gezwungenermaßen am Klassenkampf von oben, oder ?

 

Die ernsthafte Wertung :

 

Wo Erfolg mit Geld gleichgesetzt wird, da wuchert zum einen anstößige, legale Raff- und Habgier, verbunden mit Diebstahl, Kumpanei, organisiertem Verbrechen und Korruption , dieser typischen Kriminalität der Wohlhabenden. Alle zusammen sind sie das Signum einer moralisch und sozial er-blindeten Gesellschaft . In ihr wird das Gespenst der radikalen Umverteilung von unten nach oben wieder lebendig, weil sie das Gespenst des Kommunismus nicht mehr zu fürchten glaubt .

Es gehört zum Lebensnerv der asozialen Idiotie des Neoliberalismus, jener aktuellen Entfaltung der Antinomie zwischen Kapital und Arbeit : Wenn das Gift den Patienten nicht gesund macht, dann muß die Dosis erhöht werden. Der Bockmist dieser Politik wird am sichtbarsten in der Infrastruktur. Sie ist von sich aus kein marktfähiger Sektor, sondern bildet gesamtgesellschaftliche Rahmenbe-dingungen, ohne die kein Reproduktionsprozeß funktioniert. In Bildung, Kultur, Gesundheit, aber auch im öffentlichen Verkehr gilt: Radikale Kostensenkungspolitik ruiniert die stoffliche Basis und den gesellschaftlich notwendigen Gebrauchswert. Was eine Gesellschaft Kindern, Heranwachsenden, Kranken, Alten ermöglicht oder verweigert, das wirft ein helles Licht auf ihre gesellschafts-politische Verfaßtheit, auf die Moral der führenden Köpfe in Wirtschaft, Politik und Medien.

 

In diesem Licht wird sichtbar,

* ob Politiker, Wirtschaftsführer, Medienmächtige mit ihren Entscheidungen Selbstbestimmung oder Ohnmacht der Menschen, ihre Teilhabe am oder Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Reich-tum (und das nicht nur in einem vordergründig materiellen Sinne), Mündigkeit oder Einfluss-losigkeit stärken;

* ob die führenden Köpfe öffentliche Problemdebatte und –analyse auslösen, zulassen oder ob sie sie durch Werbung und „Blasenquatschen“ verhindern ; 

* ob sie die Menschenrechte ganzheitlich realisieren, also die individuellen Freiheitsrechte , die politischen Mitwirkungsrechte und die wirtschaftlich-sozialen und kulturellen Grundrechte oder ob sie den weitaus größeren Teil der Bevölkerung daran hindern ;

* ob die Wirtschaft als Mittel für gesellschaftliche Zwecke politisch geleitet wird oder ob sie Selbstzweck für die Privatbesitzer von Produktionsmitteln ist;

* ob Politiker die Gewaltenteilung im Alltag achten oder aufheben und ob Medien demokratische Kontrolle der Macht oder das Gegenteil davon betreiben.

 

In beiden einander entgegengesetzten Tendenzen realisieren sich Interessen. Es sind allerdings nicht übereinstimmende Interessen gegensätzlicher sozialer Gruppierungen.

Deshalb gibt es bei der Lösung auch letztlich nur ein Entweder-Oder. Auf beiden Seiten kann keine ernsthaft um gesellschaftliche Wirksamkeit bemühte politische Kraft stehen.

 

Die unernste Wertung:

Die Privatisierung der Infrastruktur wird (früher oder später, aber mit grausamer Unerbittlichkeit ) nicht nur Verschlechterung, sondern auch Preiserhöhung bedeuten . Weil du arm bist, musst Du früher sterben - diese alte, in der DDR überwundene - Volksweisheit, kommt schon jetzt wieder zu Ehren!

Letztlich - sarkastisch zugespitzt -  kommen wir dahin, dass für die weitaus größte Zahl der Men-schen nichts mehr funktioniert und nur ganz wenige es noch bezahlen können. Die dann machtha-benden Wirtschaftsführer werden die menschliche Gesellschaft wegen mangelnder Rentabilität ver-mutlich zur Insolvenz anmelden und woanders eine neue aufmachen.

 

Wenn die abhängig Beschäftigten, die von Großkonzernen, Banken und Versicherungen „über den Tisch Gezogenen“ diese Entwicklung nicht wollen, wenn sie ihre Interessen besser durchsetzen wollen, wenn politische Kräfte sich für diese Interessen engagieren wollen, dann werden sie um einige prinzipielle Konsequenzen (also nicht Maßnahmen und –nähmchen bzw. Reparaturen und –türchen) nicht herumkommen. Und zwar völlig unabhängig davon, ob das der einzelne Angehörige der o.a. Gruppen weiß und / oder wahrhaben will.

 

5.         Zusammenfassende Konsequenzen in neun Gedanken

 

1.Ausgangspunkt meiner Überlegungen dazu ist die Frage :

BEGREIFEN DIE AN ALTERNATIVEN INTERESSIERTEN DIE DIMENSION

DER AKTUELLEN ATTACKEN AUF SOZIALE STANDARDS ?

Ich befürchte , man muss die Frage gegenwärtig verneinen. Kaum jemand von politischem Gewicht wagt es, deutlich und laut politische und moralische Kritik am intensiven Sozialraub, an der struk-turellen und verschärften Benachteiligung der abhängig Beschäftigten zu äußern. Das zeigt zum ei-nen sehr deutlich, wie verkommen die Machthabenden und die Regierenden dieser Republik sind. Das zeigt zum anderen aber auch, wie in allen politischen Lagern das neoliberale Gift („alles muss sich rechnen“ / „es gibt keine Alternative“) aufgesogen und wirksam ist.

Warum z.B. werden Unternehmer, Politiker und Meinungsmacher nicht einfach mal herzlich ausge-lacht für den wirtschaftspolitischen GAU (= größter anzunehmender Unsinn), den sie ständig ver-zapfen ? Bei Gewerkschaftsspitzen und Teilen der PDS ist die volkswirtschaftliche Vernunft durch das neoliberale Gift ebenso gelähmt , wie die sozialpolitische Besinnung.

Für Linke sollte wieder klar werden: Wer seine gesellschaftspolitische Konzeption und seine ökono-mische Diagnose darauf baut, dass die Arbeit ständig verbilligt und das Kapital unentwegt entlastet werden muß, der landet bei Therapien, die dem Bleigießen zu Silvester ähneln: Das Ganze wird or-dentlich erhitzt, irgendwann irgendwie ins Wasser geworfen und dann schaut man mal nach, was denn so draus geworden ist.

2.Tabulos und phantasievoll, so hören wir aus der veröffentlichten Meinung, müsse der Umbau des Sozialstaates vor sich gehen. Linke sollten deshalb den generellen Anspruch der lohn- und gehalts-abhängig Beschäftigten auf die Bestimmung über Ausmaß und Ziel der Produktion behaupten, be-gründen, anstreben und durchsetzen. In der Bewegungsrichtung des entfesselten Kapitalismus müssen wir eine Strategie entwickeln, die denen „da unten“ neue gesellschaftliche Freiräume eröffnet. Fordern und realisieren wir z.B. ernsthaft instandbesetzte Betriebe. Fordern wir eine radikale Senkung der Arbeitszeiten ohne jede Lohnsenkung.[11] Fordern wir tabulos und phantasievoll, dass sich die Arbeits- und Sozialeinkommen parallel zur Produktivitäts- und Preisentwicklung bewegen. Kämpfen wir um eine stärkere Besteuerung des parasitären Reichtums, um die Finanzgrundlagen staatlichen Handelns zu stärken. Das ist alles ungewöhnlich, so mancher wird es als nicht zeitgemäß bewerten. Ich halte es ungeachtet dessen für volkswirtschaftlich vernünftig, sozial gerecht und politisch machbar.

 

Es ist erkennbar: Die „Koalition der  Sozialmarodeure“ steht und kämpft ! Alle Hoffnungen auf eine Humanisierung des Kapitalismus haben sich als das erwiesen, was sie sind: Illusionen, Selbsttäuschungen, Fiktionen.

 

3. Was also wäre zu tun, um eine „Koalition der Marodierten“ zu bilden?

Zwei Dinge scheinen mir unerläßlich:

Zum einen müssen wir ein Gesellschaftskonzept, ein Lebensweise-Projekt erarbeiten, das über die Marktwirtschaft hinausweist. Ein Modell, das wegführt von der betriebswirtschaftlichen „Standort-Logik“ und hinführt zu einer Logik des Lebens-Ortes für heutige und künftige Generationen. Ein Projekt, das nicht ausschließlich und gleich gar nicht zuerst fragt  „Rechnet sich das ?“, sondern als Ausgangspunkt aller weiteren Überlegungen fragt: „Wie wollen wir in Deutschland leben?“

Es steht ja überhaupt nicht die Frage, ob Reformen notwendig sind. Sehr wohl und sehr radikal steht aber die Frage, nach welchen Prinzipien sie vollzogen werden, wessen Interessen von der Politik anerkannt und realisiert werden. Lösungen für die wirklich notwendigen Reformen liegen nicht in der Lo-gik der „Standort Deutschland AG“, sondern – um im Bilde zu bleiben – in der Logik des „Lebens-Ortes Bundesrepublik“. Lösungen für die gewiß erforderlichen Reformen – auch im Arbeitsmarkt, bei Rente, Steuern und Gesundheit – liegen nicht in der Logik betriebswirtschaftlich-finanziellen Kalküls, sondern im Disput um eine politische Gesellschaftskonzeption .

Zum anderen: wir sollten einen volksverbundenen Antikapitalismus kreieren, um den so genannten „kleinen Leuten“, den Ausgebeuteten, Ausgegrenzten und Erniedrigten eine Identifikationsgrundla-ge und Perspektive zu geben.

Schließlich ist es unumgänglich, die Lügen der veröffentlichten Meinung offensiv entlarven und zei-gen, in wessen Interesse gelogen wird und wie diese Lügen (insbesondere: Arbeitszeit ist zu kurz, Löhne und Sozialleistungen sind zu hoch, Steuern für Unternehmen vernichten Arbeitsplätze, die Demographie ist schuld an der Krise der Sozialsysteme, im Gesundheitswesen explodieren die Ko-sten) Bestandteil des Kampfes der einen sozialen Gruppe zur Disziplinierung der anderen ist. Wir müssen so den Manipulationsvorhang wegreißen, wieder gesellschaftspolitisch diskutieren und Po-litik erneut ans Gemeinwohl binden.

Wir müssen raus aus der Sackgasse neoliberaler Verblendung und Verblödung. Klare, einfache und dennoch wahre Antworten sind zu formulieren, z.B. auf die Frage: Wessen Leistung hält die Volks-wirtschaft im Gang ? Gersters, Bergers, Ackermanns ? Eine Antwort könnte lauten : Wir produzieren den Reichtum des Landes alleine, wir können ihn auch selbständig verwalten! Abzockende Chefs brauchen wir nicht.

Eine andere Antwort könnte lauten: Sozialraub fällt den Verantwortlichen aus zwei Gründen leicht: zum einen nehmen sie es großen Menschenmassen (von jedem der mehr als 4 Millionen Arbeitslo-sen jeden Monat 10 € abgeknappst sind schon 40 Millionen €, im Jahr 480 Millionen Euro; jedem der etwa 22 Millionen Rentner...; jedem der etwa 38 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ...>> aber rechnen Sie selbst!!). Zum anderen  braucht in den höheren und höchsten Gehaltsklassen niemand unter dieser Politik zu leiden.

Nicht Rumeiern und Lamentieren ist angesagt, sondern radikale Neubegründung des politischen Ansatzes unter Zuhilfenahme von Marx, dem besten Analytiker des bis heute fortwirkenden Grund-widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Es ist eine Schallmauer in unseren Köpfen zu durch-stoßen, die Dinge wieder beim Namen zu nennen und alle aufzurufen, ohne Denkverbote alternative Lösungen vorzuschlagen.

4. Wir dürfen uns erinnern : Klassenkämpfe in der Geschichte der Menschheit waren immer auch (gewaltsame) Umverteilungskämpfe. Der Klassenkampf ist mal mit Maschinengewehren und mal mit Gesetzestexten geführt worden. Aktueller Klassenkampf zeigt sich z.B. in Hartz I-IV.[12]

Jedes schwache, vorsichtige Artikulieren der eigenen Interessen auf der Seite der abhängig Be-schäftigten hat früher und heute die Unternehmer ermutigt zum Generalangriff und die vom So-zialraub Betroffenen verunsichert bzw. demoralisiert. Der Appetit kommt auch dem Kapital beim Essen! Fehlender Widerstand gegen Agenda 2010 weckt auf der Kapitalseite zusätzliche Begehr-lichkeiten. Die Nachrichten jedes Tages zeigen es. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil! BDI und BDA zusammen mit dem Schröder–Kabinett und der CDU/CSU/FDP muß man als Koalition der Asozialität bezeichnen. Die herrschende Politik ist derzeit fixiert auf effizientes Wettrennen und Konkurrenz, um dem Kapital allerbeste Verwertungsbedingungen zu schaffen. Immer noch gilt: Wer Geld hat, hat die Macht und wer Macht hat, hat das Recht.

In einem Raubtierkäfig gibt es keine Verteilungsgerechtigkeit.

5. Alternative Politik muss das kritisieren und die Arbeit, den arbeitenden, Werte schaffenden Men-schen ebenso wie die Arbeit als Lebensbedingung für den einzelnen wie für die Gesellschaft in den Mittelpunkt stellen. Wer keine soziale und intellektuelle Alternative formuliert, macht sich nicht nur mitschuldig an der Zerstörung der Lebensweise der Älteren, sondern auch an dem Heranwachsen einer Generation der Orientierungslosen und Verzweifelten. Viele junge Leute haben keinen Ver-gleichsmaßstab, kein Kriterium einer (möglichen) Kritik. Wenn ich von Schlägerbanden in Städten, von Drogendeals auf dem Schulhof, von Vergewaltigungen insbesondere Minderjähriger, von Quäl-Orgien mit Video-Dokumentation, von jugendlichen Amok-Schützen und Selbstmördern höre und lese, dann erinnere ich mich an Hannah Arendt , die von einer Kultur der Selbstverlorenheit, des Selbstverlustes sprach. Wir erleben das Wechselspiel von sozialer Zerstörung und Kälte, von Mit-leidlosigkeit gegenüber und Einschlagen auf den anderen sowie von Unbarmherzigkeit und Vernich-tung gegen sich selbst. Der entfesselte Turbokapitalismus frisst seine Kinder!! Fressen oder gefres-sen werden – das ist die Drehachse dieser Gesellschaft!

6. Für Linke darf es kein Einverständnis mit diesen Verhältnissen geben. Sie führen direkt in die Barbarei. Das mindeste ist eine informierten und engagierte Öffentlichkeit herzustellen und radikal die Einhaltung des Grundgesetzes und der Menschenrechte zu fordern ! Zu veranschaulichen ist, dass die, die über die angeblich viel zu hohen Löhne klagen und in ihrer Senkung das Allheilmittel für alle Probleme sehen, im Grunde damit nur bestätigen, dass der größer gewordene Reichtum der Unternehmer auf der größer gewordenen (relativen ) Armut der Ausgebeuteten beruht. Die einen können nur leben(und mehr oder minder recht und schlecht auskommen), wenn sie fürs Kapital arbeiten und die anderen können definieren, wen und wie viele sie für ihre Profitproduktion benöti-gen; die anderen Menschen sind unnütz, überflüssig, werden zur Last  - und werden entsprechend behandelt. Es zählen nur noch die, die auch zahlen (können).

Diese Wirklichkeit ist ein Hohn auf das Grundgesetz! Die für diese Realität Verantwortlichen gehö-ren deshalb in die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes, jedenfalls, wenn der seine Aufgabe ernst nimmt.

7. Seit Marx Entdeckung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit ist viel Neues in der Er-scheinung zutage getreten und nichts Neues im Wesen: Die Eigentumsordnung des Kapitalismus zwingt alle, ihre Chance darin zu suchen, sich dem Kapital dienstbar machen und glücklich sein zu können, weil man sich ausbeuten lassen darf. Es ist nach wie vor und intensiver als je zuvor die reale Tendenz des Kapitalismus, alle Gegenstände der Welt in seinen Verwertungsprozeß einzubeziehen, von der gröbsten Materie bis hin zu subtilsten seelischen Regungen. So macht das Kapital die Menschen unfähig, für ihr Leben selbst zu sorgen.

Der totalitäre Terror der Ökonomie hat immer noch eine entscheidende, wesentliche Voraussetzung: die juristische Privatheit des Eigentums an Produktionsmitteln. Daraus folgt ein dominierendes Interesse der Privatbesitzer: einem am Gemeinwohl orientierten Zugang zu den Ressourcen dieser Welt und einer daran ausgerichteten Verteilung muß jeder Weg versperrt werden. Wenn dieser für das Kapital paradiesische Zustand erreicht ist, wie nach der „Wende“ in Deutschland, dann finden sich in allen Parteien welche, die den vermeintlichen  Sieg und die angebliche Alter-nativlosigkeit des Kapitals feiern und den Kapitalismus zum Lebensmittel der Menschheit erklären wollen.

 

 

Ein letztes Wort zu den Begrifflichkeiten. Begriffe sind nützlich und (stets)relativ wahr, wenn man mit ihrer Hilfe die Realität begreift. Deshalb kann man angesichts der aufgeführten Fakten feststel-len: Klassen sind soziale Gruppen von Menschen, die sich nach der Art und Weise der Erlangung und der Größe ihres Einkommens sowie nach der Qualität ihrer Verfügung über Macht und ihrer Disposition im Hinblick auf ökonomischen und politischen Zwang unterscheiden. Klassen „entstehen und bestehen“  durch „die jedesmaligen materiellen,...,Bedingungen, unter denen die Gesellschaft zu einer gegebenen Zeit ihren Lebensunterhalt produziert und austauscht.“[13]

Mit den Klassen „entsteht und besteht“ ihr Konflikt. „Der Kampf zwischen Kapitalist und Lohnarbei-ter beginnt mit dem Kapitalverhältnis selbst.“[14] Es gilt also : solange das Kapitalverhältnis besteht, existiert Klassenkampf. Eine ganz andere Frage ist, in welcher Erscheinungsform, in welcher Inten-sität, in welchen Aktivitäten, Aktionen, mit welchen Akteuren und in was für politischen Entschei-dungen der Klassenkampf sichtbar wird. Die Situation ist heute differenzierter, vielschichtiger, un-übersichtlicher, schwieriger gedanklich und begrifflich faßbar als vor 150 Jahren. Die heutigen Lohnabhängigen sind nicht identisch mit dem Proletariat zu Marx‘ Zeiten. Das gesellschaftliche Subjekt, das objektiv ein Interesse an der Veränderung der bestehenden Zustände hat, ist atomi-siert , pluralisiert, seine Organisationsstruktur weitgehend pulverisiert. Das darf uns aber nicht ver-leiten, den Fehler Proudhons zu wiederholen, der „nicht begriffen hat, dass diese bestimmten so-zialen Verhältnisse ebensogut Produkte der Menschen sind wie Tuch, Leinen etc.“[15] Wenn es an gleicher Stelle heißt: „ Die Handmühle ergibt eine Gesellschaft mit Feudalherren, die Dampfmühle eine Gesellschaft mit industriellen Kapitalisten"[16], dann müssen wir uns fragen: Was für eine Ge-sellschaft ergibt der PC und das Internet ? Als tiefer zu durchdenkende Arbeitshypothese sage ich, der PC und das Internet ergeben – Privateigentum an den Produktionsmitteln vorausgesetzt –eine Gesellschaft des neoliberalen shareholder-value-Kapitalismus, der auf der einen Seite zu unglaub-lichem, parasitärem Reichtum führt und auf der anderen Seite immer mehr Menschen hemmungs-los ins soziale Abseits stellt.

 

Sozialpartnerschaft – das war gestern die typische Form; heute steht die Zerstörung des Sozial-staates auf der Tagesordnung.

Und morgen ? Mehr Gerechtigkeit, mehr Friedlichkeit, mehr Menschlichkeit oder Krieg nach innen und außen, Barbarei, Armut und Elend.

Eine wirkliche Änderung wird es nur geben, wenn nicht nur die eine Seite ihre Interessen mit poli-tischen Mitteln durchsetzt.

Die Kapitalisten zu Marx’ Lebzeiten unterscheidet sehr viel von den heutigen Unternehmern. Die Kapitalisten vor 150 Jahren eint aber mit den heutigen modernen Bossen ein ganz wesentliches Interesse: ihre Gegner dürfen nicht zu einer politischen Kraft werden.

Einen ökonomischen Kampf hielten die Ausbeuter damals aus und ihn halten sie heute aus! Geschichte und Gegenwart beweisen es.

 

Als die Seidenweber von Lyon im November 1831 gegen ihre schlechte Bezahlung revoltierten, isoliert, uneinig und unorganisiert waren und letztlich dem Militär unterlagen, da ging der Abge-ordnete der Französischen Deputiertenkammer ,Casimir Perier, ans Rednerpult und sagte:„Meine Herren, wir können ruhig sein ! In der Bewegung der Arbeiter von Lyon ist nichts von Politik zum Vorschein gekommen.“[17] 

Heute sind die in so genannten Arbeit“geber“vereinigungen korporativ zusammengeschlossenen Kapitalisten ebenfalls erleichtert, wenn sie in den gewerkschaftlichen Forderungen lediglich ein paar ökonomisch verschmerzbare Profitpromillepunkte erkennen und die Gewerkschaften selber das an ihrer Basis ab und an vernehmbare politische Wort vom notwendigen Generalstreik abwürgen. Die Ausgebeuteten verbleiben so einstweilen in einem Alltagsgemisch von  Machtlosigkeit, Verarmung und Sinnverlust.

 

Die aktuelle Situation belegt den massiv fortschreitenden Entrechtungs-, Entfremdungs- und Ent-eigungsprozeß in der Gegenwart. Seine Überwindung verlangt – unabhängig von Wunsch und Wol-len gesellschaftlicher Subjekte – eine grundlegende Änderung der Herrschafts-, also Eigentums-verhältnisse. Linke Politik steht objektiv vor der Aufgabe, die Zerstörung des sozialen Zusammen-hangs durch den realen Kapitalismus und die Vermarktung absolut aller Lebensbereiche öffentlich zu kritisieren und unbefangen radikale Alternativen in die Öffentlichkeit zu bringen. Damit wieder gesellschaftspolitisch gedacht und gestritten werden kann, müssen wir uns sowohl jenseits des of-fiziellen Zeitgeistes als auch jenseits des Parteimarxismus der SED bewegen. Meines Erachtens heißt das, die Gegenwart realistisch zur Kenntnis nehmen, in ihrem Gewordensein verstehen und zukünftige Gesellschaftsgestaltung als offene Auseinandersetzung zwischen großen sozialen Gruppen verstehen, bei der diejenige den Sieg davonträgt,  „unter deren Truppen die geringste Prügelei stattfindet“[18] und die organisiert und entschieden ihre Interessen durchsetzt, was die Erkenntnis der eigenen Lage zwingend voraussetzt.

 

 

Die vorstehenden Anmerkungen zur Gegenwart habe ich nicht gemacht, um ewige Wahrheiten zu verkünden oder in nostalgischen Termini zu schwelgen, sondern in der Hoffnung dazu beizutragen, das Andauern von ein paar aktuellen politischen Irrtümer zu beenden.

Dr.phil.habil.Peter Kroh/Rotbuchenring 23/17033 Neubrandenburg, März 2004



[1] Vgl. Sozialreport 2004 Daten und Fakten zur sozialen Lage in den neuen Bundesländern, trafo verlag Berlin

[2] Karl Marx: Das Kapital. Dritter Band, In: MEW, Bd.25, S.892 (Hervorhebungen: P.K.)

[3] Karl Marx :Die moralisierende Kritik und die kritisierende Moral. In: MEW, Bd.4, S. 339

[4] Karl Marx: Lohnarbeit und Kapital. In: MEW, Bd. 6, S. 397

[5] Die Aldi-Brüder besitzen zusammen ein Vermögen von 41,1 Milliarden Dollar; in den Filialen gibt es Niedriglöhne, Mobbing, Behinderung bei Betriebsratswahlen

[6] „Mit entsprechendem Profit wir Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Skla-venhandel.“ T.J. Dunning / zitiert nach Karl Marx : Das Kapital. Erster Band, In: MEW, Bd. 23, S. 788

 

[7] Hilfsweise will ich zum vorläufigen Verständnis anführen, dass ja auch die Worte „Sonnenaufgang“ und „-untergang“ die Erscheinung korrekt benennen und doch dem Wesen der Sache widersprechen.

[8] Karl Marx: Lohnarbeit und Kapital. In: MEW, Bd. 6, S. 402

 

 

[9] Sonst stünden ja morgen die Verantwortlichen für "schiefe" Beraterverträge bei der Nürnberger Agentur, für LKW-Maut- und Dosenpfand-Pannen, für unsoziale Gesundheits- und Arbeitsmarktreformen mit einem Bein auf der Schwelle des Gerichts.  Seien wir also gespannt, mit welcher Begründung der Freispruch erfolgt.

 

[10]  wie beim Sonnenauf- und –untergang

 

 

[11] .Nach einer Modellrechnung des Statistischen Bundesamtes müsste angesichts der vorhandenen Arbeitsproduktivität theoretisch jeder Mensch im erwerbsfähigen Alter nur noch zwei Stunden Erwerbsarbeit leisten. Die Entwicklung dorthin wird zerstört durch die existierenden Eigentums- und Herrschaftsverhältnisse.

[12] Die große Koalition CDUCSUFDPSPDGrü hat beschlossen, zum 1.1.2005 den Sozialstaat vollends zu ent-werten . Anstelle von Arbeitslosenhilfe und alter Sozialhilfe gibt es  Arbeitslosengeld II (Sozialgesetzbuch II) und neue Sozialhilfe (statt Bundessozialhilfegesetz BSHG dann SGB XII). Beiden Gesetzen gemeinsam ist die radikale Kürzung der Leistungen . Viele Lohnabhängige und Gewerkschafter haben offensichtlich die soziale Gewalt dieses Gesetzes noch nicht erfasst.  Wichtigstes Ziel ist, den Bund von Kosten der Massenarbeitslosig-keit zu befreien. Erwerbslose und Kommunen mit hoher Arbeitslosigkeit sind absehbar die Opfer . Die Agen-turen für Arbeit können Kosten für die Regelleistung des Alg II durch „Verfolgungsbetreuung“ (d.h. provozierte Sperrzeiten) senken. Kommunen können die Kosten fürs Wohnen und Heizen reduzieren. Vorhersehbar sind Mietschulden, Obdachlosigkeit, Elendsquartiere, Armenvertreibung. Einzelne Beispiele:

- den neuen Kinderzuschlag erhalten nur Haushalte mit minderjährigen Kindern, deren Einkommen reicht, den Alg-II-Bedarf der Erwachsenen zu decken. Der Zuschlag beträgt 140 Euro und wird unabhängig von der Zahl der Kinder und maximal für drei Jahren gezahlt. Je zehn Euro, die das Elterneinkommen ihren eigenen Alg-II-Bedarf übersteigt, sinkt der Kinderzuschlag um sieben Euro.
- wer heute bei Arbeitslosenhilfe-Bezug 300 Euro dazu verdient, behält davon in der Regel 165 Euro für sich; beim Alg II bleiben 45 Euro.
- wer Hilfe zum Lebensunterhalt bezieht, behält z.B. die mit Zeitungsaustragen verdienten 35 Euro aufgrund des Sockelfreibetrages für sich; beim Alg II bleiben 5,25 Euro!
Ziel des Gesetzes ist es, den Umfang der Hilfebedürftigkeit zu verringern, daher wird Einkommen auf die ge-zahlte Leistung hart angerechnet. Arbeitsverhältnisse im Niedriglohnbereich sollen gefördert werden, daher ist im Bereich bis 900 Euro brutto der vergleichsweise günstigste Einkommensfreibetrag zu finden.

[13] F. Engels: Karl Marx. In: MEW, Bd. 19, S.102

[14] K. Marx: Das Kapital. Erster Band, In: MEW, Bd. 23, S. 451

[15]  K. Marx: Das Elend der Philosophie, In: MEW, Bd. 4 ,S.131

[16] ebenda

[17] zitiert nach: R. Luxemburg: Karl Marx. In Vorwärts vom 14.März 1903

[18] Karl Marx: Lohnarbeit und Kapital. In: MEW,  Bd. 6, S. 402