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Menschliche Würde und Gemeinwohl in der Arbeitsmarktpolitik zusammenfügen

von Peter Kroh

 

„Wer heute die Lüge und Unwissenheit bekämpfen und die Wahrheit schreiben will, hat zumindest fünf Schwierigkeiten zu überwinden. Er muß den Mut haben, die Wahrheit zu schreiben, obwohl sie allenthalben unterdrückt wird ; die Klugheit sie zu erkennen, obwohl sie allenthalben verhüllt wird; die Kunst sie handhabbar zu machen als eine Waffe; das Urteil, jene auszuwählen, in deren Händen sie wirksam wird; die List, sie unter diesen zu verbreiten. Diese Schwierigkeiten sind groß..., sie bestehen...sogar für solche, die in den Ländern der bürgerlichen Freiheit schreiben.“

Bertolt Brecht 1935

 

1.                  Ein himmelschreiender Menschenrechtsskandal – und niemand schreit !

[ In der Nähe der Macht halten ( fast ) alle den Zerrspiegel der Selbst-Täuschung bereit.

Günter H., PDS-Mitglied Neubrandenburg , 2001 ]

 

Knapp oder reichlich 4 Millionen Arbeitslose in Deutschland, mal klare, mal verbrämte – immer aber suggestiv wirksame -  Vorwürfe an die vermeintliche Passivität der Arbeitssuchenden und immer wieder neue Varianten, die Arbeitslosigkeit durch Drücke aller Art auf die Arbeitslosen zu senken, – das kennzeichnet ganz wesentlich auch nach der jüngsten Bundestagswahl die Lage in unserem Land .

Der Wahlsieg von SPD und Grünen wird aber nur Bestand haben, wenn der Wert „Arbeit und Gerechtigkeit“ als Ziel der Politik und in der Lebensrealität der Menschen wieder erkennbar wird. Nach den 16 Jahren Kohl noch einmal weitere vier Jahre Schröder mit der neoliberalen Grundausrichtung aller wesentlichen politischen Entscheidungen – das werden die Wähler von rot-grün nicht honorieren. Es gibt, wie Willy Brandt einmal sagte , in Deutschland eine Mehrheit links von der Union. Politisch tragfähig und gesellschaftlich wirksam wird sie allerdings nur, wenn die politischen Führungen die großen Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung von einem Standpunkt aus beantworten, den ich als Blick „von unten“ und „von „links“ bezeichnen möchte.

Nach der Bundestagswahl haben deshalb auch die großen christlichen Kirchen angemahnt, die Lösung drängender politischer Fragen nicht länger aufzuschieben. Darunter verstanden der evangelische Bischof von Berlin-Brandenburg , Huber ebenso wie der Essener Diözesanadministrator, Weihbischof Grave vor allem bessere Ausbildungschancen für die Jugend, unumkehrbare Wege aus der Arbeitslosigkeit und verbesserte Bedingungen für Familien.

In der Tat, Deutschland braucht einen Politikwechsel, auch wenn und gerade weil es keinen Regierungswechsel gegeben hat. Das erfordert nicht zuletzt ein Brechen mit herkömmlicher Logik und mit – leider auch von Linken unter den Christen und Atheisten  - nicht mehr hinterfragten , scheinbar „ewigen“ Grundvoraussetzungen der Arbeitsmarktpolitik.

 

Vor Jahrzehnten gab es die „konzertierte Aktion“, seit Jahren ein „Bündnis für Arbeit“ , kürzlich wurde die Bundesanstalt für Arbeit ( nicht etwa wegen zu geringer Senkung der Arbeitslosigkeit, sondern nach der Aufdeckung falscher Statistiken !) umstrukturiert, nun gibt es die Ergebnisse der „Hartz-Kommission“. All das war und ist gedacht als politisches Mittel gegen die Arbeitslosigkeit im entwickelten realen Kapitalismus der Bundesrepublik Deutschland.

 

Und all das hat bisher so nicht gewirkt und wird es in Zukunft nicht tun.

Mit welchem Recht kann man solche Behauptungen aufstellen ?

 

Der Kern der Begründung besteht darin, dass alle diese Mittel, Instrumente und Institutionen durchaus kritisch analysieren und das – möglicherweise subjektiv durchaus ehrlich gemeinte - Ziel haben , Zustände zu verändern, aber dennoch stets am Symptom „herumdoktern“ und die Ursachen außer acht lassen. Heraus kommt dabei eine Art „Lamento-Politik“. Gibt es neue Zahlen für die Arbeitslosigkeit, gibt es neue Klagen über die faulen Arbeitslosen, gibt es den neuen Ruf nach neuen Maßnahmen, Kommissionen oder neuen Befugnissen; mal für’s Arbeitsamt, mal für’s Sozialamt, mal für beide. Manchmal schien es auch so, als würden die Erfinder neuer Maßnahmen etwa derart denken: Wir wissen zwar nicht genau, wohin das führt, aber dafür sind wir schneller dort ! Manche tun auch so, als entstünde Arbeitslosigkeit nicht mitten in dieser Gesellschaft, sondern werde ihr sozusagen von außen angetan. Sie machen dann auch eine Arbeitsmarktpolitik, die eher ans Bleigießen zu Silvester erinnert, nämlich die Masse ordentlich erhitzen, das Ganze genügend am Kochen halten, spontan ins kalte Wasser gießen und dann schauen, was draus geworden ist.

Beim Thema „Arbeitslosigkeit“ geht es jedoch ganz offensichtlich um eine sehr grundsätzliche Sache im Leben jedes einzelnen ebenso wie im Leben der Gesellschaft. Sie verträgt keine „Kurpfuscherei“ , sondern verlangt ehrliche, korrekte Diagnose sowie entschiedene Therapie.

 

Im folgenden muss deshalb auch – und da bitte ich den geneigten Leser um Geduld und Verständnis – sehr prinzipiell argumentiert werden, ohne den konkreten Alltag aus dem Blick zu verlieren.

 

Arbeit für alle – die politische Gestaltung einer solchen Gesellschaft ist weder ein abstrakt-akademischer Diskurs für behagliche Stunden im kleinen Kreis noch die Aufgabenstellung für rrrevolutionäre Weltverbesserungspläne. Arbeit für alle – das ist vielmehr ein moralischer, politischer, sozialer und wirtschaftlicher Imperativ ! Arbeit für alle – das ist eine auf Gemeinwohl, Gerechtigkeit , sozialen Frieden und individuelles Wohlergehen zielende Forderung. Denn : „Arbeitslosigkeit (ist) ein existentielles, soziales und politisches Problem ersten Ranges.“/1/ Arbeitslosigkeit ist eine Beschränkung und Verletzung menschlicher Würde infolge struktureller Gewalt. Sie beraubt den einzelnen (resp. die einzelne ) der Anwendung erworbener Fähigkeiten und Fertigkeiten, sie entzieht ihm (resp. ihr) die eigenverantwortlichen Gestaltung des Lebens, sie ist ein Anschlag auf das Selbstbewusstsein , sie beeinträchtigt das seelische Wohlbefinden, sie schmälert die soziale Anerkennung, sie ist oft der Einstieg in die Verarmung und sie produziert so eine tiefe und schädliche Spaltung der Gesellschaft. Arbeitslosigkeit ist ein moralischer, politischer, sozialer und wirtschaftlicher Skandal erster Güte. „Obwohl die Arbeitslosigkeit ein gesamtwirtschaftlicher Problem darstellt, ist das Vorurteil weit verbreitet, sie beruhe auf individuellem Versagen. Viele Arbeitslose beziehen solche Schuldzuweisungen auf sich, ziehen sich aus Scham zurück und fühlen sich vielfach ausgegrenzt. Sie vermissen die Chance, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu sichern, Kontakte zu pflegen, sich weiter zu qualifizieren und am gesellschaftlichen Leben verantwortlich zu beteiligen.“ /2/

Auch deswegen haben die Gründerväter und –mütter der modernen Menschenrechtsauffassung nach Ende des 2.Weltkrieges in einem völkerrechtlich gültigen Dokument formuliert  : “Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit unter Berück-sichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates in den Genuß der für seine Wür-de und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen. Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit. Alle Menschen haben ohne jede unterschiedliche Behandlung das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist.“  /3/  Die Arbeit ist „zugleich auch eine Quelle von Rechten des Arbeitnehmers. Diese Rechte müssen untersucht werden im großen Zusammenhang der Menschenrechte ins-gesamt, der Rechte, die sich aus der Natur des Menschen ergeben und von denen viele durch verschiedene internationale Stellen proklamiert sind und von den einzelnen Staaten für ihre Bürger immer mehr garantiert werden.“/4/

Schon vor diesem Hintergrund muss deshalb gefragt werden, ob in der Bundesrepublik nicht ganz andere ( wirtschafts- und sozial-) politische Schritte notwendig sind, wenn wir die Arti-kel 25 ; 1(1 und 2) und 14 (2) des Grundgesetzes ernsthaft als Maßstab der Verfassungswirklichkeit im Alltag der Bürger nehmen ? Denn die allgemeinen Regeln des Völkerrechts sind Bestandteil des Bundesrechtes und gehen den Bundesgesetzen vor. Die Würde des Menschen ist unantastbar , sie „zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, die „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte“ sind für das deutsche Volk „Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Dafür ist auch das Eigentum in die Pflicht zu nehmen, „sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ 

Mitunter scheint es so, als ob es im Bundestag und in den Länderparlamenten keine Sensibilität für die Erfordernisse des Grundgesetzes mehr gäbe, als ob die Parlamentsparteien „grundgesetztaub“ (oder zumindest –schwerhörig) wären.  Prinzipiell muss deshalb gefragt werden: Ist das Grundgesetz für die Parteien eher mehr eine Barriere, eine Behinderung für ihre Politik oder doch noch immer ein Orientierungshinweis, ein Wegweiser ?

Aber nicht allein das Grundgesetz nimmt Partei für Menschenrecht und Würde . Beide großen christlichen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland unterscheiden „drei Arten von Menschenrechten“. Neben den individuellen Freiheitsrechten und den politischen Mitwirkungsrechten sind das für den hier behandelten Sachverhalt die besonders wichtigen „wirtschaftlich - soziale(n) und kulturelle(n) Grundrechte, die den Anspruch auf Teilhabe an den Lebensmöglichkeiten der Gesellschaft begründen und Chancen menschlicher Entfaltung sichern: Recht auf Bildung und Teilnahme am kulturellen Leben, Recht auf Arbeit und faire Arbeitsbedin-gungen, Recht auf Eigentum, Recht auf soziale Sicherung und Gesundheitsversorgung auf Wohnung, Erholung, Freizeit.“/5/

Konkret zu fragen ist z.B.(und eigentlich müssten all diese Fragen von einem Aufschrei begleitet sein) : Wie erfüllt denn die „staatliche Gewalt“ ihre Pflicht, die Würde auch der Millionen Arbeitslosen zu schützen ? Was tut sie wirklich , um das Recht auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit  (zwischen Männern und Frauen, zwischen West und Ost z.B.) endlich umfassend zu sichern ? Wie und mit welchen Hilfsmitteln organisiert die staatliche Gewalt in der Bundesrepublik, dass alle Bürgerinnen und Bürger tatsächlich in den Genuss der für ihre Würde und die freie Entwicklung ihrer Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte gelangen ? Ist nicht ein Wandel des wirtschaftlichen Ordnungsrahmens (eher früher als später!) unumgänglich ? Müssen wir nicht aufhören, Wirtschaftspolitik so zu verstehen und zu betreiben , dass für bestimmte Interessen der Wirtschaft Politik gemacht wird ? Muss Politik nicht künftig (wieder?) stärker sichern , dass wirtschaftliches Handeln sich an politisch definierten Zielstellungen ausrichtet ? „Von der Verwirklichung der Menschenrechte kann nur dann gesprochen werden, wenn die staatliche Rechtsordnung die elementaren Rechte jedes Menschen unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Herkunft oder seinen individuellen Merkmalen schützt und diese Ordnung von allen Beteiligten anerkannt wird.“ /6/

 

Die Akzeptanz solcher Fragen und die Suche nach Antworten ist daran geknüpft, den Standpunkt abzulehnen, der Mensch sei für die Wirtschaft da. Oberste Prämisse ist statt dessen : die Wirtschaft ist für den Menschen da. Denn nur damit gerät der Mensch, seine schöpferischen Fähigkeiten, die Nutzbarmachung seiner Fertigkeiten in den verschiedensten Tätigkeiten in den Mittelpunkt. Diese Art, ökonomisch zu denken , kann zu einem politisch wirksamen Faktor bei der Bewältigung der Arbeitslosigkeit werden. “Noch einmal könnten sich die Fragen der Organisation und der Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit als der Dreh- und Angelpunkt des historischen Veränderungsgeschäftes erweisen. Allerdings nur dann, wenn wir es schaffen, die Arbeit aus ihrer industrialistisch-kapitalistischen Verengung zu lösen und sie wieder in den konkreten Lebenszusammenhang der Menschen zu stellen – begrifflich und praktisch.“/7/

 

In der Menschheitsgeschichte waren viele Jahrhunderte lang die Herkunft, die Geburt, das Geschlecht, das Eigentum die Grundlage für die Entwicklung der Individuen ebenso wie für die der Gesellschaften. Mit den zwei „Kopernikanischen Wenden“ in der Herausbildung der frühbürgerlichen Gesellschaft wird zum einen die Sonne zum Zentrum des neuen Weltbildes und zum anderen die Leistung des einzelnen im Handwerk, im Handel, im Ackerbau zum kulturprägenden Kriterium für die Subjektwerdung der Individuen. Arbeit , d.h. Verausgabung lebendiger Arbeitskraft, die ihres Lohnes würdig ist, ist Grundlage für ein selbstbestimmtes  Leben , für individuelle Sinnfindung. Denn wir wissen es spätestens seit Martin Luther : „Der Mensch ist zur Arbeit geboren wie der Vogel zum Fliegen.“ /8/ 

Zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert entwickelte sich (mit viel Gewalt!) die fabrikmäßige Herstellung von Gütern. Marx nennt das später die ursprüngliche Akkumulation. Ohne diesen widerspruchsvollen Prozess hier ausführlich würdigen zu können, ist doch festzuhalten, dass die Arbeit, die Verausgabung von Kraft und Nerven des lebendigen Menschen, der unaufhebbare sinnlichgegenständliche Austausch zwischen Mensch und Natur einen immer höheren Stellenwert in den Normen des Alltags der Arbeitenden erreicht. Der Adel verachtete noch (vermeintlich „niedere“) Handarbeit(er) . Mit dem Frühbürgertum wird jedoch schrittweise die lebendige Arbeit zu einem wesentlichen Faktor  - und das ist für unser Thema äußerst wichtig - auch der Sozialisation der Herrschenden und der Humanisierung der Gesellschaft.

Die bürgerliche Gesellschaften, vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts nahmen schrittweise die individuell-kulturelle und die sozial-kulturelle Dimension der lebendigen Arbeit zurück und setzten durch erweiterte Akkumulation, Zentralisation und Konzentration kontinuierlich eine politische Ökonomie des Kapitals, des Marktes , der toten Arbeit, an ihre Stelle. Genau durch die systematische Ausblendung der kulturellen Dimension, durch die praktische und begriffliche Vernachlässigung des konkreten Lebens entstanden (und entstehen immer wieder !) die zerstörerischen Effekte, die in der grenzenlosen Raffgier der einen und in der strukturellen Massenarbeitslosigkeit der anderen zutage treten. Weder menschliche Emanzipation noch befriedigende Arbeitsverhältnisse, weder gerechte Organisation des Arbeitslebens noch gerechte Verteilung seiner Ergebnisse, weder eine vernünftige Form der Strukturierung des Gemeinwesens noch Solidarität mit den Schwachen und Hilflosen kommen in der politischen Ökonomie des Marktes vor. Die Bourgeoisie „hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst." / 9/ Seit dem Erscheinen der päpstlichen Enzyklika „Rerum Novarum“ im Jahre 1891 wurde „das Problem der Arbeit zur Grundlage des großen Konfliktes, der in der Epoche der industriellen Entwicklung und Hand in Hand mit ihr zwischen der ‚Welt des Kapitals‘ und der ‚Welt der Arbeit‘ auftrat...Dieser Konflikt entstand dadurch, daß die Arbeiter ihre Kräfte der Gruppe der Unternehmer zur Verfügung stellten und diese, weil vom Prinzip des größten Gewinns geleitet, darum bestrebt war, für diese Leistung der Arbeiter eine möglichst niedrige Entlohnung festzulegen. Dazu kamen noch andere Elemente der Ausbeutung ...“/10/  Die Gesellschaft produziert auf ökonomischem Weg notwendig die Arbeitslosen, die sie auf politischem Weg (scheinbar!) verhindern will.

In der Gegenwart bricht der räuberische Wildwuchs der kapitalistischen Ökonomie, die Maßlosigkeit des Marktes, der „Terror der Ökonomie“  (V.Forrester) alle zivilisatorischen Schranken für das Kapital nieder. Der neoliberal entfesselte Kapitalismus hat den kulturprägenden , elementaren Gedanken Luthers über die Kongruenz von Person und Arbeit zum Verschwinden gebracht  (oder ist noch dabei – das ist schon ein Teil der Hoffnung des Autors) und will an seine Stelle unverrückbar die nackte und brutale Logik von Markt und Kapital setzen (oder hat dies bereits getan ?  – das ist ein Teil der Befürchtungen des Autors). Neoliberaler Kapitalismus pur – das ist ein Monstrum ! Eine Marktwirtschaft, die völlig frei ist von sozialen und moralischen Bindungen , von einem Gebunden-Sein an das Gemeinwohl und die menschliche Würde – das ist eine apokalyptische Vorstellung, die in Ansätzen schon Realität ist.

Nur in einem solchen gesellschaftlichen Kontext, in dem fast alle Widerstände eliminiert, fast alle Kontrollen verhindert, fast alle Gegenpositionen verunglimpft, fast alle Barrieren abgebaut sind, ist es möglich, dass Konzerne stolz drauf sind, keine Steuern zur Finanzierung des Gemeinwohls zu zahlen, dass der damalige Nestle-Chef Arbeitslose als „Wohlstandsmüll“ bezeichnete und so 1997 das „Unwort des Jahres“ kreierte. Nur so ist es möglich, dass der da-malige BDI-Präsident Necker angesichts fehlender Investitionen im Osten und unter Leugnung jedweder Gemeinwohlverpflichtung des Eigentums ( also genau genommen unter Verstoß gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland ) zynisch erklärte, das Kapital geht überall hin, wo es sich wohl fühlt. Nur so ist es möglich, dass die ins Auge gefassten Lösungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit immer zu Lasten des Arbeitenden, zu Ungunsten der lebendigen Arbeit gehen. Sozusagen prototypisch steht dafür der bekannte Unternehmensberater Berger. Er behauptete im März 2001, „Vollbeschäftigung ist möglich“ . Dazu allerdings müßten hemmende Faktoren beseitigt werden. Für ihn sind das „...der überzogene Kündigungsschutz, die Beschränkung von Zeitverträgen, das Recht auf Teilzeit, die Ausweitung der Mitbestimmung.“ /11/. Bei den Arbeitenden also muss man nach seiner Meinung die Schrauben noch etwas härter anziehen, und zwar möglichst frühzeitig, möglichst schnell und möglichst hart. Auch die CDU/CSU setzt mit ihrer „Offensive 2002 – Aufschwung für Arbeit“ auf eine radikale Marktsteuerung aller Elemente des gesellschaftlichen Lebens. Mit Niedriglöhnen , dieser neuen Erscheinungsform von Zwangsarbeit mit Verelendungsfolgen , jedoch erhöht sich nur die Zahl nicht existenzsichernder Arbeitsverhältnisse , Absolventen und Fachleute werden außer Landes getrieben, die Würde des Menschen wird den Verwertungsinteressen des Kapitals untergeordnet – oder anders gesagt: Die Ökonomie der toten Arbeit bestimmt die lebendige Arbeit. Rezepte gegen die Arbeitslosigkeit, die die  Rechte von Arbeitenden und Arbeitssuchenden beschränken, ähneln der  Entscheidung eines Arztes, der dem Patienten den verstauchten und stark schmerzenden Fuß amputiert mit der Begründung, was weg ist, kann ja nicht mehr weh tun.  In bestimmter Hinsicht gewinnt man jedoch – ohne jede Wertung vollinhaltlich zu akzeptieren ! -  ein Stückchen Optimismus, wenn auch ein sachkundiger Christ, wie der frühere Bundesarbeitsminister Blüm kritisiert : „Die Kapital- und Finanzströme umkreisen den Erdball auf der Datenautobahn – und die Menschen hetzen hinterher... Die Menschen folgen den Arbeitsplätzen wie die Zugschwalben der Sonne. Das ist der letzte Schrei der Verwirtschaftung der Gesellschaft, die nicht weniger menschenfeindlich ist wie die alte Vergesellschaftung der Wirtschaft, gegen die wir im Westen erfolgreich angekämpft haben. Jetzt kommt die Menschenverachtung durch die Hintertür ins Haus geschlichen und maskiert sich als Liberalisierung.“ /12/ 

 

Passen einige Vorschläge der Hartz-Kommission , z.B. verschärfte Zumutbarkeitsregeln mit Verlagerung der Beweislast auf die Arbeitssuchenden, d.h. zügige Lohnabsenkung und Qualifikationsentwertung, oder Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, d.h. Senkung der Lohnersatzleistungen, nicht genau in diesen Denkansatz ? Die „Ich-AG“ greift einen Vorschlag des amerikanischen Mangement-Beraters Peters auf. Der definiert das so : „Wir sind die Manager unserer eigenen Firma, der Ich-AG. Um heute im Geschäft zu bleiben, ist es unser Hauptanliegen, Marketingchef der Marke Ich zu sein.“ /13/  Mein „Ich“ soll eine Aktiengesellschaft werden, die (von mir !) ausschließlich nach Prinzipien der Ökonomie gelenkt wird. Der Gedanke der Selbstbestimmung wird mißbraucht, um Selbstvermarktung und –ausbeutung zu begründen. Das Recht auf Freizügigkeit wird für Arbeitslose aufgehoben, wenn sie jeden Job „irgendwo“ akzeptieren müssen. Die Halbheiten von „Hartz“ werden - selbst bei kurzfristig einsetzenden „Erfolgen“ – den Arbeitsmarkt weiter neoliberal formen.

Einen Schritt fort von den jetzigen Zuständen kommen wir damit gewiß, aber ein Fortschritt ist das nicht.

Linken Christen und Atheisten stellt sich die Frage : Ist es nicht ein Teil des Skandals der Massenarbeitslosigkeit, dass die , die mehr als alles haben und nichts davon hergeben wollen, die vermeintlich klügsten Vorschläge machen, was Arbeitslose tun sollen und was man mit ihnen tun sollte ?

Die Arbeitslosigkeitsexperten von Schröder und Stoiber , die Herren Hartz und Späth, wirken auf dem Feld der Arbeitsmarktpolitik wie Leute, die einen Wettkampf im Pflügen bestreiten. Dabei gewinnt derjenige, der am meisten Erde aufwirft und dabei den größten Medienlärm erzeugt. Ob etwas wächst, ist uninteressant, denn gesät wird ja nicht. Und dabei sind die vier Millionen Arbeitslosen „nur“ eine Form asozialer Degradierung des Menschen. Wer bedenkt die Masse an verschenkter – weil weder für die individuelle Würde noch für das allgemeine Wohl nutzbringender – lebendiger Arbeit derjenigen, die zu Kurzarbeit verdammt sind oder der vielen geringfügig Beschäftigten, die aber eine volle Stelle suchen oder der ABM-Teil-nehmer, die wissen, auch nach der Maßnahme sind sie arbeitslos und die nur mitmachen, um zu Hause nicht völlig zu verblöden oder die wohl oder übel in den Vorruhestand „Gezwungenen“  oder die Hoch- und Fachschulabsolventen, die – ohne genau zu wissen, wozu – weiterstudieren, weil sie keinen Job finden...

Müssen nicht Katastrophen in Südamerika, wo die ersten Staatsbankrotte des 21.Jahrhunderts im Sog des Neoliberalismus (verursacht u.a. durch eine extreme Ausweitung von Niedriglöhnen sowie durch enorme Privatisierung von Staatsvermögen !)  stattfinden, Linke unter Christen und Atheisten angesichts globaler Abhängigkeiten zum ernsthaften Nachdenken anregen ?

 

Mit dem Regierungswechsel 1998 war nicht nur Gerechtigkeit, sondern auch Innovation versprochen. Die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung jedoch blieb ängstlich ,einfallslos, in ausgefahrenen Gleisen , sie war weder innovativ noch gerecht. Der neoliberale Kurs wurde – nach ein paar kleinen Gerechtigkeits-„Reparaturen“ am Beginn der Regierung Schröder - phantasielos übernommen und nachfragevernichtend fortgesetzt. „Nach dem Abgang Lafontaines ist Schröder den produzierenden Unternehmen und dem zinstragenden Kapital in den vergangenen drei Jahren so weit entgegengekommen, wie kein deutscher Sozialdemokrat vor ihm... Nach dem kurzen Duumvirat mit Lafontaine hat Schröder seine Zukunft in der Kontinuität zu Kohl, in der wirtschaftspolitischen Vergangenheit gefunden : Standortpflege durch unternehmerfreundliche Steuerpolitik, permanenter Mäßigungsappell an die Beschäftigten, Beschränkung öffentlicher Investitionen im Interesse einer schematischen Haushaltkonsolidierung, weitgehender Verzicht auf die anderenorts...erfolgreich umgesetzte Kombination von Flexibilität und sozialer Sicherheit.“ /14/

 

Die andauernde Massenarbeitslosigkeit macht das wie keine andere gesellschaftliche Erscheinung deutlich. 

 

Dieser Skandal schreit zum Himmel, aber keine der Parteien entwickelt ernsthaft politischen Widerstand , wenn auch aus unterschiedlichen Gründen . Von den konservativen und neoliberalen ist natürlich kein Aufschrei zu erwarten, sie sind entweder politische Vertreter der  Nutznießer „der wirtschaftspolitischen Vergangenheit“ und damit diejenigen, denen die skandalöse Spaltung der Gesellschaft noch nicht weit genug geht. Sie wollen diese Entwicklung und sie befördern sie. Von linken Politikern in mehreren politischen Parteien der Bundesrepublik ist allerdings auch kein Notsignal zu hören, oft schon deshalb , weil sie – beim tagtäglichen Manövrieren zwischen der Skylla politischer Einflußlosigkeit und der Charybdis opportunistischer Angepaßtheit - fast nur in der Logik des Kapitals denken ! Das ist bis zu einem gewissen Grad verständlich und die Balance ist gewiß im politischen Alltagsgeschäft stets schwierig. Aber : Wo sollen denn Impulse für eine wirtschaftspolitische Zukunft entstehen, wenn nicht bei den Linken ? Dürfen deshalb Linke krisenvertiefende Lösungen mitgehen, wo eher Maßnahmen zur Überwindung des Neoliberalismus auf der Tagesordnung stehen ? Haben sich linke Politiker/innen dadurch nicht in die Gefahr gebracht, über die Legislatur einem bestimmten Schein, einer Täuschung zu unterliegen und am „Zahltag“ dafür durch ein Kreuz auf einem Wahl-Schein eine Ent-Täuschung hinnehmen zu müssen ? Wenn Linke den entfesselten Profitmechanismus mit seinen Folgen der dauerhaften Massenarbeitslosigkeit nicht radikal und kritisch als gesellschaftspolitischen Skandal wahrnehmen, dann wird schrittweise aus der Bedrohung Realität, dass sie infolge ständiger Demut gegenüber dem Kapital ihre eigentlichen gesellschaftlichen Ansprechpartner aus den Augen verlieren.  Ist das von Dauer, dann wäre es nicht nur ein folgenschwerere Irrtum, es wäre tödlich.

Sind sich Linke bewusst, dass die sogenannte Wählerwanderung ihren Ursprung nicht darin hat, dass die Parteien ihre Anhänger ungenügend mobilisieren, sondern darin, dass der neoliberal entfesselte Kapitalismus die Demokratie zerstört ? Wähler reagieren oft wie Kranke. Haben sie mehrere Ärzte vergeblich um die Linderung ihrer Leiden bemüht, dann versuchen sie es schließlich beim Wunderheiler. Wenn es Menschen immer weniger möglich ist , über politische Alternativen zu entscheiden, weil alle Parteien sich mehr oder minder dem Neoliberalismus aktiv verschrieben oder passiv ergeben haben – warum sollen sie dann noch wählen gehen ? Fehlt auch linken Politiker/innen das Wissen darum, in welcher Gesellschaft wir leben ? Verfügen sie deshalb nicht über die erforderlichen Begriffe , kommt es infolge dessen erst zu einem Realitätsverlust und dann zu anhaltender geistiger Orientierungslosigkeit ? Und verlieren sie ihre Problemlösungsfähigkeit , weil sie zu wenig bereit oder zu wenig in der Lage sind, die Gesellschaft mit dem Blick „von unten“ und „von links“ zu sehen ?

 

Natürlich kann keine linke Kraft heute die Abschaffung des Kapitalismus als politische Tagesaufgabe in Angriff nehmen, aber laut und deutlich schreien, dass „Schwarz“ schwarz und „Weiß“ weiß ist – das kann man schon erwarten. Über den politischen Alltagsaufgaben mit ihren (oft leider nur in Legislaturperioden gedachten) Nahzielen dürfen die Fernziele nicht in Vergessenheit geraten. „Natürlich ist es sehr schwer, sich den Mächtigen nicht zu beugen, und sehr vorteilhaft, die Schwachen zu betrügen.“ Auch in unseren Zeiten „ist Mut nötig,...von so niedrigen Dingen wie dem Essen und Wohnen der Arbeitenden ( ihren Arbeitsbedingungen oder ihrer vergeblichen Arbeitssuche – Hinzufügung : P.K.) zu sprechen.“ /15/  Gesagt werden muss z.B. – auch auf die Gefahr hin, dass uns Linken die Worte schon wie Asche im Mund schmecken : “Die Reduzierung des Lebens auf die Gesetze des Marktes ist das Gegenteil von Freiheit und lässt keinen Raum für Würde, Ehre, Opferbereitschaft, Treue und Nächstenliebe.“ /16/ Könnten Linke z.B. dem Gedanken gesellschaftliche Akzeptanz verschaffen, dass der Arbeitsmarkt grundsätzlich nicht mit dem Warenmarkt und den Kapitalmärkten auf eine Stufe gestellt werden darf, sondern stets den Vorrang vor diesen hat ?  Könnten Linke Antworten auf die Frage finden : Wie nimmt man dem Kapital die Schubkräfte, die Anreize, immer wieder neue Arbeitslosigkeit zu erzeugen? Oder haben wir Angst, mit einer solchen Frage in die Nähe von Terroristen gerückt zu werden ? Könnten Linke – analog zur Umwandlung des Bundesagrarministeriums – dafür sorgen, dass das Ministerium für Arbeit und Sozia-les umgewandelt wird in eine Ministerium für Arbeitsplatzschaffung und –sicherung ? ( Und – nicht ganz zum Thema gehörend - wenn man das erreicht hat, könnten dann Linke das Verteidigungsministerium umstrukturieren in ein Ministerium für Kriegsprävention und außenpolitische Konfliktlösung ? ) 

 

Für Linke muss klar sein, bleiben oder werden : Es geht um zwei konträre Sichtweisen auf das Ökonomische. Die eine geht von der lebendigen Arbeit aus und stellt folgerichtig den Menschen in den Mittelpunkt des Wirtschaftens, sieht den Markt als ein politisch zu steuerndes Mittel der volkswirtschaftlichen Effektivität. Die andere geht von der vergegenständlich-ten Arbeit aus und stellt folgerichtig das Kapital in den Mittelpunkt, sieht im rein betriebswirtschaftlichen Denken den Drehzapfen der Gesellschaft und im Menschen ein Anhängsel, das sich den Erfordernissen gemäß zu fügen, anzupassen hat. Entfesselte Marktwirtschaft und Ökonomie der lebendigen Arbeit verhalten sich zueinander wie Wasser und Feuer. Eine Politik, die auf Menschenrechte und Menschenwürde setzt, könnte eine solche gesellschaftliche Akzeptanz finden, dass Neoliberalismus und Massenarbeitslosigkeit wirksam zurückgedrängt, eingeschränkt, gezähmt werden. Fehlt der Politik allerdings die Zielperspektive, verkommt sie zum blanken Aktionismus, oft für den Zweck des eigenen Machterhalts. Dann dominiert pragmatische Gewurstel und verloren geht der beharrliche Einsatz für ein gesellschaftpolitisches Konzept, das auf den Interessen der sogenannten „kleinen Leute“ beruht. Nur eine Politik aber, die sich wirklich engagiert, um die Entwürdigung der Arbeitslosen zu mildern und das Unrecht-Tun der Gesellschaft ihnen gegenüber schrittweise zu verkleinern (um es letztlich ganz zu beseitigen) beweist sozialen Sinn. Alles andere ist eine Spielart von Asozialität, sowohl z.B. die nicht gezahlten Steuern der Konzerne als auch z.B. die am Symptom herumkurierenden „Lösungs“-Vorschläge. 

 

2.         Das neoliberale „Bündnis für Steaks“ – ein Irrweg

[ Die Verwandlung des Amtes durch den Menschen dauert länger als die Verwandlung des Menschen durch das Amt. Joseph Fischer, Bü90/Gr , 1999 ]

 

Deshalb wird die Diskussion um die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, um die historisch sich wandelnden Instrumente und Mittel solange schief laufen, solange über Fehler im System geklagt wird und schon die Frage (!) unterbleibt, ob nicht das System selbst der Fehler sei. Dem Papst ist zuzustimmen , wenn er sagt : vollzieht man eine „Analyse der grundlegenden Wirk-lichkeit im gesamten wirtschaftlichen Prozeß und vor allem in der Struktur der Produktion – eben der Arbeit – ist es angebracht zuzugeben, daß der Irrtum des primitiven Kapitalismus sich überall dort wiederholen kann, wo der Mensch in irgendeiner Weise dem Gesamt der materiellen Produktionsmittel gleichgeschaltet und so wie ein Instrument behandelt wird und nicht entsprechend der wahren Würde seiner Arbeit, das heißt als ihr Subjekt und Urheber, und eben dadurch als wahres Ziel des ganzen Produktionsprozesses.“/17/

Martin Luther kann dabei die Richtung weisen ! Er meinte ganz am Beginn der jetzt sich so extrem vertiefenden Spaltung der Gesellschaft : „ Wer arm sein will, soll nicht reich sein. Will er aber reich sein, so greif er mit der Hand an den Pflug und such es sich selbst aus der Erde...Es schickt sich nicht, daß einer auf die Arbeit eines anderen hin müßig geht und wohllebt , während der andere schlecht lebt, wie es jetzt der verehrte Mißbrauch ist.“ / 18/  Unernst formuliert, könnte man fast auf den Gedanken kommen, Luther habe manchen unserer Zeitgenossen, die nur noch vom Spekulieren an der Börse sich ihren, z.T. parasitären Wohlstand finanzieren, gekannt. Man könnte auch auf die Idee kommen, nicht nur, aber auch der „christliche Adel der Gegenwart“ sei zur „Besserung“ aufgefordert. Ernsthaft aber ist zu betonen : Die neoliberalistisch geprägte Globalisierung ( gegen die bei Zugrundelegung einer Ökonomie der lebendigen Arbeit gar nichts einzuwenden wäre ) kann  und wird nicht der Weg sein, auf dem eine überlebensfähige, vernünftige Gesellschaft entsteht.

Die Politik ist deshalb dringend gefordert, neoliberale Entscheidungsmuster zurückzudrängen, das Gemeinwohl neu zu definieren und die Gesellschaft so aus der „babylonischen Gefangen-schaft“ der angeblichen Sachzwänge zu führen. Linke Politiker dürfen nicht wie Marionetten arbeiten, an deren Strippen die Mächtigen aus Banken und Konzernen ziehen, um das Volk, den großen Lümmel (H. Heine) immer besser und immer wieder erneut einzulullen. Beim Befolgen der scheinbar ewigen Axiome des Neoliberalismus haben sich viele linke Politiker ei-ner Art „Selbstverzwergung“ unterworfen. Manchem tut nach der jüngsten Bundestagswahl nun das Kreuz weh. Das spricht dennoch für sie und ist irgendwie auch hoffnungsvoll. Denn : Neoliberalismus ist  Sozialdarwinismus und dieser hat eine Nähe zum Faschismus mit seinen Grundzügen der Intoleranz, Ausgrenzung und Ausmerzung. Neo-Liberalismus ist Re-Barbarisierung der Gesellschaft im Zeitalter des Computers.

Er ist gekennzeichnet durch die simple und falsche,  durch die Wirklichkeit nicht bestätigte Formel: „Je höher die Gewinne, desto höher die Investitionen und demzufolge um so mehr Arbeitsplätze“. Solche und andere falsche Aussagen begünstigen die erhebliche Umverteilung von unten nach oben schon deswegen, weil sie den Widerstand lähmen, den Widerspruch verhindern, die Wahrheit verhüllen . Denn das genaue Gegenteil ist der Fall ! : Je höher die Gewinne , desto geringer der Beitrag zum Gemeinwohl. Je weniger Ausbildungs- und Arbeitsplätze durch das Unternehmen bereit gestellt werden, desto mehr Subventionen kann es dem Staat dafür abpressen. Je weniger man investiert, desto besser werden Umweltauflagen unterlaufen. Je mehr man die Gewinne verschleiert, klein rechnet und an Börsen spekuliert, desto härter kann man den Sozialabbau forcieren und – bei „Begleitmusik“ durch die Medien - mit der genannten und anderen falschen Auffassungen alles in allem  die Arbeit Habenden ebenso ruhig halten wie die Arbeit Suchenden . Neoliberalismus  begünstigt so nicht nur die Entwicklung neuer Formen der Akkumulation von Reichtum (und damit von Armut!), sondern auch die Entwicklung neuer Machtzentren und neuer Formen zur Beherrschung der Gesellschaft. Neoliberalismus  preist die Freiheit der Ellenbogen, legitimiert sie aus angeblich unausweichlichen Globalisierungszwängen, lässt soziale Fähigkeiten der Empathie verkümmern und redet eine Krise des Sozialstaates herbei. So wird der Staat den Armen und Schwachen genommen und die Reichen okkupieren ihn, um ihre Interessen an der Profitmaximierung noch ungehinderter realisieren zu können.

Neoliberalismus spaltet die Gesellschaft also zweifach, und zwar entlang der Trennlinien „arm oder reich“ und „demokratisch oder autoritär“.

Politisch organisiert und herbeigeredet wird soziale Unsolidarität und fast grenzenloser Egoismus, damit sich nachhaltige Solidarität der Schwachen und Ausgegrenzten in einer gesellschaftlichen Krise möglichst nicht entwickelt. Neoliberalismus treibt die Marktanpassung des einzelnen auf die Spitze. Das „Persönlichkeitsideal“ des Neoliberalismus ist der Mensch, der den „Markt“ als Schicksal , als Lebensinhalt, als Identitätsgrundlage verinnerlicht hat und der alle seine Verhältnisse und Beziehungen an der Meßlatte von Angebot und Nachfrage prüft und regelt. So werden aus schöpferischen, rational und emotional geleiteten Menschen universelle, zynisch-opportunistische Kalkulierende, die Solidarstrukturen werden zerstört und die soziale Des-Integration befördert. So macht der Neoliberalismus letztlich auch die Politik überflüssig, denn an die Stelle gemeinwohlorientierter politisch-ethischer Gestaltungskraft rückt die betriebswirtschaftlich durchdachte Durchsetzung von Partikularinteressen. Früher oder später wird dadurch die Bundesrepublik Deutschland von einem demokratischen und sozialem Bundesstaat (vgl.Art.20 GG) mit Parteien, die an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken (vgl.Art.21 GG), mit einem Bundespräsidenten (vgl.Art.54 GG), einem Bundeskanzler und Bundesministern (vgl.Art. 63, 65 GG) sowie einem Bundestag (vgl. Art. 38, 42,) zu einer „Aktiengesellschaft Deutschland“ mit einem Vorstand, einem Vorsitzenden und einem Aufsichtsrat. Weggelassen wird so (irgend-)eine politische Idee. Das Gemeinwesen löst sich auf und damit auch jede ( noch so verbogene ) Form von Demokratie. Denn : „Es gibt zwar Politik ohne Demokratie, aber keine Demokratie ohne Politik.“ /19/ 

Diese Entwicklungstendenz , basierend auf der Ökonomie des totalen , ja totalitären Marktes bewirkt weder den Schutz der menschlichen Würde noch die Entwicklung sozialer Gerechtigkeit , sie beeinträchtigt nachhaltig das Gemeinwohl . Sie ist selbst eine pathologische Form des Sozialverhaltens und unterstützt die Herausbildung anderer Krankheitserscheinungen der Gesellschaft.

Diese Entwicklungstendenz ist , wenn schon nicht zustande gekommen, so doch ganz wesentlich begünstigt worden durch die bisher ergebnislosen Versuche , der Arbeitslosigkeit durch verschiedene Formen des Drucks auf die Betroffenen Herr zu werden. Die jetzige Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg ist seit der Gründung ihres Vorläufers im Jahre 1927 der Versuch, Probleme auf einem riesigen und differenzierten Markt mit Instrumenten einer riesigen und differenzierten Bürokratie aufzufangen, ja lösen zu wollen. Paritätisch sollen darin „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“ Verantwortung tragen. Die heutige BA basiert auf dem Arbeitsfördergesetz, das am 1.7. 1969 (!) verabschiedet und seitdem mehrfach novelliert wurde. Damals regierte eine Große Koalition. Das Gesetz wurde ohne politischen Streit in Kraft gesetzt, man hielt die Konjunktur für beherrsch- und beinflussbar. Deshalb hieß es im §2 des damaligen Gesetzes: „ Die Maßnahmen nach diesem Gesetz haben insbesondere dazu beizutragen, dass weder Arbeitslosigkeit und unterwertige Beschäftigung noch ein Mangel an Arbeitskräften eintreten oder fortdauern.“

Liest man das heute in Ruhe und vergleicht es mit der Realität, dann könnte man angesichtsvon 4 Millionen Arbeitslosen und dem gewollten Ausbau des Niedriglohnsektors einen Lachanfall bekommen, wenn es nicht zum Heulen und Schreien wäre. Eine Anstalt, die langfristig für einen durch Vollbeschäftigung gekennzeichneten Arbeitsmarkt konzipiert war, soll Massenarbeitslosigkeit wirksam bekämpfen! Ein Unding!

 

Schon in den 70er Jahren , vor allem mit den beiden Ölkrisen 1973 und 1979 , bemerkte man schrittweise die Unwirksamkeit der BA und konstruierte ein „Bündnis für Arbeit“. 1975 gab es in der Bundesrepublik erstmals seit dem „Wirtschaftswunder“ mehr als eine Million Arbeitslose, das bedeutete damals einen Anstieg der Arbeitslosigkeit von 0,7 % auf 4,7 % innerhalb von 24 Monaten. 1980 waren zwar wieder „nur“ 3,8% Arbeitslosigkeit zu konstatieren, aber schon 1983 lag die Quote bei 9,1%. Das waren damals rund 2,2 Millionen betroffene Frauen und Männer. Einher ging diese Entwicklung damit, dass immer wieder „kritisch“ analysiert wurde. Und im Ergebnis der Analyse wurden mal die Arbeitslosenbeiträge erhöht, mal die Ansprüche auf das Arbeitslosengeld verkürzt, mal Zumutbarkeitsklauseln verschärft, mal Berechtigungsgründe für Arbeitslosenhilfe eingeschränkt, mal mehrere Maßnahmen miteinander kombiniert.

Ursachen gerieten (und geraten !) aber, wenn es immer wieder nur darum geht, das Lebensniveau der Arbeitslosen zu senken und/oder sie statistisch „unsichtbar“ zu machen so nicht in den Blick.

Bis heute sitzen sowohl in der BA als auch im „Bündnis“ Vertreter von Kapitalisten und Vertreter von Arbeitern zusammen. Und Politiker tun dabei so, als ob sie auf neutrale Weise zwischen Gleichberechtigten moderieren. Und genau das ist der Kern der Misere. Es sitzen eben nicht Vertreter von Gleichberechtigten am Tisch.

Ja, hier schimmert der „alte“ Klassenkampf durch ! Aber das hat erst einmal mit Marx nichts zu tun! Die Existenz von Klassen und deren Kampf ist lange vor ihm entdeckt worden. Von seinen unterschiedlichen historischen Erscheinungsformen zu Lebzeiten von Karl Marx und in der Gegenwart abgesehen, der zentrale Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit ist nach wie vor existent und wirksam. Wir können ihn beobachten in den Konflikten um innerbetriebliche Rationalisierung, in Auseinandersetzungen um Arbeitsbedingungen, Arbeitszeit, Arbeitslohn, im raffinierten Betrug von Kleinaktionären, im Kampf um mehr Ausbildungsplätze usw. 

Wenn es also darum geht, grundlegende, allgemeine , wesentliche Probleme der Gesellschaft zu erklären, dann darf man auf grundlegende, allgemeine , wesentliche Ursachenbenennung auch nicht verzichten.

Und genau darauf kommt es doch an, will man die Hilflosigkeit der BA, die Ohnmacht der Politiker verstehen . Sie wollen reale Interessenkonflikte zwischen unterschiedlich Mächtigen lösen , indem sie versuchen , Interessenharmonie herzustellen und Gleichberechtigung vorzuspiegeln.

Der eine besitzt aber Maschinen, Rohstoffe etc., mit denen der andere mehr und größere Werte schafft, als er selber im Lohn erhält. Die Differenz zwischen den geschaffenen Werten und dem erhaltenen Lohn macht letztlich den Gewinn. Der Besitzende ist daran interessiert, dass dieser so groß wie möglich ist. Er lebt davon, er investiert davon (z.B. in neue Maschinen und / oder Neueinstellungen) und er spekuliert davon an Börsen . Derzeit  wird im allgemeinen mehr spekuliert als investiert. Es bringt nämlich mehr und schneller noch mehr Geld in die Kasse. Die Steuerersparnis ist zugleich eine Verweigerung der im Grundgesetz festgehaltenen Sozialpflicht des Eigentums. Die Bezüge , Vergütungen, Abfindungen, Tantiemen der Manager sind so in den letzten Jahren durchschnittlich um 300 % gestiegen.

Der andere hingegen verkauft seine Arbeitskraft, erst dadurch ist Gewinnerzielung überhaupt möglich. Er ist daran interessiert, dass auch sein Lohn wächst. Er kauft davon seine Brötchen, bezahlt Miete oder die Rate fürs Häuschen, sein Auto, den Urlaub und die Ausbildung der Kinder. Alles wird teurer. Er braucht also mehr Geld. Deshalb fordern Gewerkschaften zu Recht 5% und mehr an Einkommensverbesserungen.

 

Wer jetzt denkt: „ Pfui, was für veraltetes Denken ! Marx ist doch tot“ , dem sei gesagt, es ist schon ein interessantes Paradoxon, dass die wissenschaftlich begründeten Ansichten von Karl Marx über den Kapitalismus fast 120 Jahre nach seinem Tod  wieder so wahr sind, wie zu seinen  Lebzeiten. Offensichtlich war der Kapitalismus in der Zwischenzeit vor allem durch die Arbeiterbewegung und durch kampfbereite Gewerkschaften , aber nicht zuletzt auch durch  die historisch kurze Existenz des Versuchs einer gesellschaftlichen Alternative gezwungen, sich ein wenig zu maskieren. Jetzt kann er wieder ungehindert „zur Sache gehen“. Während z.B. die Gewinn- und Vermögenseinkommen zwischen 1998 und 2000 um 21 % gestiegen sind, wuchsen die Nettoeinkommen um nur 1%. Die abhängig Beschäftigten haben zwischen 1993 und 2000 6,4 % an Kaufkraft verloren, die Nettogewinne der Kapitalgesellschaften stiegen im gleichen Zeitraum um 85 %. In den letzten Tarifrunden sind die Löhne und Gehäl-ter im Durchschnitt um 3,3 % gewachsen, die Einkommen der Spitzenmanager in Deutschland jedoch wuchsen um 64 %. Und die Arbeitslosigkeit bleibt bei all dem unverändert hoch.

Die Ursache dafür ist klar und eindeutig : Die Arbeitslosen sind nicht arbeitslos, weil die Gesellschaft zu produktiv ist oder sie selbst zu faul sind. Sie sind arbeitslos, weil Arbeit kapitalfixiert organisiert wird – also auf maximalen Profit orientiert ist. Im Produktionsprozess tritt der Arbeiter als Eigentümer und Verkäufer seines Arbeitsvermögens auf; ihm gegenüber steht der Kapitalist als Käufer des Arbeitsvermögens und als Eigentümer von Produktionsmitteln.

Die Kapital-Logik lautet schlicht und einfach : Nur profitabwerfende Arbeitsplätze sind sichere Arbeitsplätze. Linke könnten hier als erste Stufe für einen Paradigmenwechsel fragen : Wie hoch muss denn der Profit (also letztlich die Kapitalverzinsung) sein, damit Kapitalisten Arbeitsplätze als sicher einschätzen ? Sind Unternehmer erst dann zufrieden, wenn Löhne und Steuern bei Null liegen ? Oder sind die jetzt schon gezahlten Lohnzuschüsse, Subventionen, Fördermittel aller Art nur der erste Schritt dazu, dass sie erst zufrieden sind, wenn sie daraus alle Löhne und Steuern zahlen können ? Die Antworten ergäben eine sehr sinnvolle Diskussion um den am Menschen und am Gemeinwohl orientierten Maßstab.

Die Logik der lebendigen Arbeit ist ebenfalls unkompliziert und klar : Nur menschenwürdige und gemeinwohlnützige Arbeitsplätze sind gewinnabwerfende Arbeitsplätze. Linke könnten diesbezüglich fragen : Wieviel an Gemeinnützigkeit und Menschenwürde ist möglich, um zugleich Gewinn zu erzielen ? Die Antworten ergäben eine sehr sinnvolle Diskussion über notwendige und mögliche Gewinnspannen .

Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, ist deshalb mit einem – wie auch immer gearteten - Bündnis und mit einer - wie auch immer konstruierten – Anstalt nicht zu lösen. Er wird durch solidarisches Engagement der Arbeitenden für ihre Interessen zu ihren Gunsten bewegt. Sonst gewinnen immer die Kapitalvertreter. Die Globalisierung mit ihrer „Fusionitis“, den dabei erzielten horrenden Gewinnen und steigenden Aktienkursen sowie den zugleich (!) damit „freigesetzten“ Arbeitenden (ob z.B. Bankangestellter, Schiffsbauer, Tankstellenpächter, Mö-belhersteller , Redakteur oder Informatik-Fachmann ) beweisen das national und international.

 

Ein Bündnis für Arbeit ist ein hilfloser Versuch , ein Irrweg. Und zwar objektiv ! Das sehen selbst Fachleute für Unternehmensführung so. Der ehemalige Europa-Chef von Mc Kinsey und Mitglied der Corporate-Governance-Kommission der Bundesregierung, sagte der Frank-furter Allgemeinen vom 1.3.2002 : Die geplante Umstrukturierung der Bundesanstalt „ist ein reines Placebo“, das Zusammenwirken von „Gewerkschaften, Arbeitgeber und Vertreter der öffentlichen Hand“ ermögliche keine „effektive Kontrolle der Bundesanstalt“, denn „Jede dieser Gruppen hat ganz andere Probleme oben auf ihrer Agenda.“ Bei einer Befragung meinten Betriebsräte und Vertrauensleute kürzlich, die Gewerkschaften gerieten immer mehr in die Defensive und das Bündnis für Arbeit trage ganz wesentlich dazu bei. /20/

In der Tat ! Ob „konzertierte Aktion“ oder „Bündnis für Arbeit“ oder „Von Jagoda über Gerster zu Hartz und zurück“ – das alles ist Schaulaufen ohne Punktewertung. Man tut etwas, viele freuen sich, aber ein menschenwürdiges Ergebnis kommt nicht zustande. Das Bemühen um einen Ökonomie des Marktes, des Kapitals ohne Arbeitslosigkeit ist eine contradictio in adjecto, d.h. das Streben danach ist identisch mit dem Bemühen um ein rundes Viereck. Wenn es nicht so ernst wäre, weil es das Schicksal von Millionen Müttern, Vätern , geborenen und (noch) ungeborenen Kindern zum Negativen, zum Unglücklichsein, zur Beschädigung ihrer Würde beeinflußt, dann könnte man flapsig sagen : durch die Hartz-Kommission zu einem neoliberalen Kapitalismus ohne Arbeitslosigkeit ? Das hieße , dem Regen die Nässe nehmen ! Man kann es natürlich auch so machen, wie der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Herr Gerster. Er meinte im Tagesspiegel vom 10.06 2002,  seine Anstalt sei in 10 Jahren überflüssig, denn dann herrsche Vollbeschäftigung ! Warum ? Weil die Deutschen schneller sterben als neue Ausländer ins Land kommen und die Politik das bißchen übrig gebliebener Sozialstaat nicht mehr über die Lohnnebenkosten, sondern über höhere Verbrauchssteuern finanziert. Ist das nicht hübsch und einfach, um nicht zu sagen einfältig und blind ?

 

Aber ernsthaft ! Arbeitslosigkeit überdauert mit den Bedingungen, die sie verursachten und verursachen. Es ist nicht Unaufrichtigkeit oder individuelle Gier, die zu den Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt führen. Zu Instabilität , sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung kommt es, weil die wirtschaftlich und politisch Mächtigen immer wieder dafür sorgen, dass sich das Leben der Gesellschaft um die „Sonne des Profits“ dreht.

Ohne den Wandel in den sozialen Strukturen seit Marx zu übersehen , das Grundverhältnis des Kapitalismus ist nicht verschwunden. Nach wie vor schließt es die Asymmetrien der Vermögens-, Besitz- und Einkommensverhältnissse und damit die Schieflage in der Verteilung von Lebensqualität und Entwicklungschancen für die Menschen ein. Und die Gegenwart zeigt eher die Zunahme der Ungleichheiten und gesellschaftlichen Fehlentwicklungen.

Solange Löhne, Gehälter und Steuern betriebswirtschaftlich als gewinnschmälernde Kosten gesehen werden, ist keine gesellschaftspolitische Änderung möglich. Löhne, Gehälter und Steuern müssen volkswirtschaftlich als Ankurbelung konsumtiver Nachfrage und öffentlicher Ausgaben für Gemeinwohl bewertet werden. Das geht jedoch nur innerhalb einer Ökonomie der lebendigen Arbeit. Das erstere basiert hingegen auf der radikalen Marktökonomie.

Für Linke kommt es m.E. mithin darauf an, der gegenwärtigen Ausgestaltung des Kapitalismus durch eine dauerhafte und überzeugende Kritik die Legitimation zu entziehen, denn die  Realität des Lebens belegt jeden Tag aufs Neue zwei seiner Hauptdefizite : Weder entstehen durch die sprunghaft gewachsene Profitmaximierung mehr Arbeitsplätze noch wird das Ge-meinwohl durch Steuerehrlichkeit der Konzerne gesichert. Die kapitalistischen Gesellschaf-ten haben keinerlei „Werkzeug“ gefunden, das Übel der Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Technisch, technologisch, organisatorisch hat sich die Arbeitswelt seit Marxens Lebzeiten immens verändert, sie ist z.T. gar nicht mehr zu vergleichen. In der Welt der Arbeitslosen herrschen nach wie vor Demütigung, Perspektivlosigkeit, Ausgrenzung, Entwürdigung, für die Kinder schlechte Entwicklungschancen – fast alles blieb beim Alten.

Müssen es Linke nicht als soziale Schande anprangern und heraus schreien , dass das Riesenvermögen der Gesellschaften an Intellekt , Phantasie, Kreativität, Verantwortungsbewußtsein fast ausschließlich in der Sphäre des Ökonomischen zutage trat und tritt und aus der des Sozialen fast vollständig eliminiert wurde ? Oder zählen auch linke Politiker/innen zu jenen Menschen, die gelegentlich – z.B. bei Wahlen – über eine Wahrheit stolpern, sich aber schnell wieder aufrichten und weiter gehen, als sei nichts geschehen ?

 

Sollte nun meine Sicht auf den real existierenden Kapitalismus dennoch falsch sein und wir demnächst wieder aufgefordert werden , im Bündnis für Arbeit weiterhin eine sachgerechte Lösung für Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu sehen, dann möchte ich die Vertreter solcher Auffassung bitten : Seid ganz konsequent und benennt z.B. einen industriell arbeitenden Schlachthof um in „Bündnis für Steaks.“  Die Rindviecher wissen ja nichts davon.

 

3.         Ein prinzipieller, komplizierter und deshalb ernst gemeinter Lösungsvorschlag

[ Im Normalfall rühren Politiker nicht an Themen, die den Leuten Einsichten oder Einbußen abverlangen. Werner B., parteiloser Journalist, Berlin 2002 ]

 

Generell muss man in der Politik ja den einfachen Lösungen mißtrauen. Bei kaum einen Problem gibt es sie wirklich, auch wenn so mancher Politiker uns das einreden will. Beim Thema „Arbeit für alle“ sind Lösungen ohne Zweifel sehr komplex, langwierig und schwierig. Das darf aber Linke , ob sie nun Atheisten oder Christen sind,  nicht abhalten . Es kann sie nur  herausfordern , vor allem zu einem sachlichen Streit , der Fernziele mit Nahaufgaben verbindet. Meine Sicht möchte ich im Folgenden zur Diskussion stellen.

 

Dabei möchte ich zunächst frühere Fragen in Aussageform wiederholen. Ja, ein Wandel des wirtschaftlichen Ordnungsrahmens ist (eher früher als später!) unvermeidbar. Ja, Wirtschaftspolitik darf nicht mehr so verstanden und betrieben werden , dass für bestimmte Interessen der Wirtschaft Politik gemacht wird. Vielmehr muss Politik stärker sichern , dass wirtschaftliches Handeln sich an politisch definierten Zielstellungen ausrichtet. Dafür könnte die im Grundgesetz festgeschriebene Sozialpflicht des Eigentums für das Gemeinwohl durchaus eine wesentliche rechtliche Grundlage sein . 

Nicht der Gewinn ist zu verteufeln ! Er ist legitimes Ziel unternehmerischer Tätigkeit. Aber Profitmaximierung auf Kosten der Allgemeinheit und Nichtwahrnahme der Verantwortung fürs Gemeinwohl – das liegt genau genommen weder im Interesse von „Arbeitnehmern“ noch von „Arbeitgebern“. Marktwirtschaft brauchen wir, Politik muss sie erst wieder sozial machen ! Der Weg in die Marktgesellschaft , in der nur zählt, was sich rechnet und absolut alles andere eliminiert wird (egal ob z.B. Jugendklub, Oper , Lehrer oder Obdachloser) muss abgebrochen werden.  „Die Besinnung auf das Menschenbild und die Grundwerte, auf denen die Soziale Marktwirtschaft gründet, ist die unerläßliche Voraussetzung für eine nachhaltige Ver-besserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage.“ /21/

Linke unter den Christen und Atheisten sollten endlich aufhören, an die Selbstregulierungs- und Selbstheilungskräfte des Marktes zu glauben. Markt total – das ist vielmehr die Ursache für Fehlentwicklungen auf dem Arbeitsmarkt, in der Bildung, in der Kunst, im Gesundheits-wesen ...Als erstes muss deshalb die Politik die Zügel wieder in die Hand (und also den Neo-liberalen aus der Hand) nehmen und sozial gestaltend wirken, sonst ist die Kapitulation der  Politik vor der Ökonomie des Marktes bald perfekt. Aus dem bisherigen Scheitern von Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit muss die Politik Konsequenzen ziehen, die auf die Gesellschaft und ihre Strukturen, statt auf die betroffenen Individuen gerichtet sind. Das unterscheidet – ganz nebenbei – Politik von Psychotherapie. Deshalb sind Rechtsvorschriften zu überprüfen , unpraktikable auszusondern und neue zu erlassen. Zum Beispiel wäre es erforderlich, die Eigentumsrechte auf erarbeitetes Eigentum gesetzlich neu zu regeln und „erspekuiertes“ Eigentum stärkstens zu besteuern. Es kann hier nicht der ganze Kanon einer Rechtsordnung für eine Ökonomie der lebendigen Arbeit entwickelt werden. Die Grundlage für die Forderung zu radikalen Entlüftung und zum entschlossenen Umbau des Rechts liegt in dem Hinweis von Rousseau , dass es die Freiheit ist, die zwischen dem Starken und dem Schwachen unterdrückend wirkt und es das Gesetz ist, dass die Beziehungen zwischen beiden befreit. Klar ist m.E. ebenfalls :  „Diese rechtliche Ordnung hat eine doppelte Aufgabe. Sie muß einerseits das Wohlverhalten der einzelnen wirtschaftenden Menschen und Menschengruppen sicherstellen, indem sie ihnen sagt, was sie zu tun und zu lassen haben, um ihrer Verant-wortung für das Ganze gerecht zu werden; andererseits muß sie aber auch selber verantwortungsbewußt sich des Wohlergehens eben dieser Menschen und Menschengruppen annehmen, indem sie für eine solche Gestaltung und einen solchen Ablauf der Wirtschaft sorgt, daß alle zu ihrem Recht kommen. Dazu gehört wiederum zweierlei. Einmal, daß alle vom Ertrag der Wirtschaft den Anteil erhalten, der ihnen gestattet, bei sich und ihren Familien Bedarf und Deckung dauerhaft in Einklang zu bringen, zum anderen Male, daß auch der Vollzug der Wirtschaft so gestaltet wird, daß nicht allein die Menschenwürde aller daran Beteiligten, sowohl der selbständig als auch der unselbständig Erwerbstätigen, gewahrt wird, sondern auch für alle die Voraussetzungen gegeben sind, um durch ihre Tätigkeit im Raume der Wirtschaft ihrem Leben einen erfüllten Sinn zu geben...“/22/  Rechtliche Regelungen müssen der Sozialpflichtigkeit des Eigentums dienen. Der Gesetzgeber kann und muss sichern, dass das Eigentum an Produktionsmitteln in der arbeitsbezogenen, produktiven Sphäre ebenso wie in der Sphäre volkswirtschaftlich und gesellschaftspolitisch notwendiger Dienstleistungen tätig wird und nicht mehr in Bereichen der leistungslosen, spekulativen Vermögensvermehrung.

Politische Bejahung der Marktwirtschaft kann für Linke auf keinen Fall bedeuten, alles unkritisch gut zu heißen, was existiert oder mit dem Wort „Sachzwang“ betitelt wird. Bejahung einer sozialen  Marktwirtschaft schließt ein, bösartige Wucherungen eben „Krebsgeschwür“ zu nennen und nach der Diagnose politische Schritte zu gehen, die als „Therapie wirken.

Der Ökonomie des Marktes ist langfristiges und uneigennütziges Denken und Handeln fremd. Für eine wirkliche Eindämmung der Arbeitslosigkeit, für eine Vollbeschäftigung bei verkürzter Arbeitszeit müssen wir deshalb u.a. weg von der Vergötzung des Marktes und „zurück“ zu den Zielen des Grundgesetzes, das eben nicht schrankenlosen Egoismus und eine raffgierige Konsum- und Börsen-Gesellschaft will und infolgedessen dem Eigentum zugleich eine Gemeinwohlverpflichtung auferlegt . Natürlich, die wirtschaftlich Mächtigen denken im Traum nicht an Vollbeschäftigung oder eine Ökonomie der lebendigen Arbeit. Aber warum sollen dann Linke akzeptieren, dass zwar der ungehemmte Wettbewerb fast zu einem Menschenrecht (v)erklärt wird, aber ein schon völkerrechtlich definiertes Recht auf Arbeit nicht in die Verfassung aufgenommen wird und alle dahin gehenden Versuche politisch, ideologisch und formalrechtlich  erstickt werden ?

Nichts ist von Linken unter Atheisten und Christen gegen die Wirtschaft oder die Wirtschaft-lichkeit zu sagen, aber es gilt - wenn wir eine engere Verbindung zwischen ökonomischer Stärke des Landes und weniger Arbeitslosigkeit, zwischen stabiler Finanzierung des Gemeinwohls und der Würde des Menschen in der und durch die Arbeit haben wollen : Die lebendige Arbeit ist die Quelle des Reichtums der Gesellschaft. In betriebswirtschaftlicher Verengung gerät diese Tatsache nicht in den Blick und deshalb ist aus diesem Blickwinkel das Kapital die Quelle individuellen Reichtums.

Linke Politik könnte deshalb dem Motto folgen :

Nur mit einer Ökonomie der lebendigen Arbeit erreichen wir die Zukunft  ,

nur mit strikter Wahrung des Gemeinwohls ertragen wir sie  !

Wer das als aus dem Reich der Phantasien und Luftschlösser stammend bewertet, dem sei gesagt, dass er den sozialen Frieden aufs Spiel setzt. Vielmehr bewegen wir uns mit diesem – zugegebenermaßen verkürzten - Slogan auf ein höheres Maß an gesellschaftlicher Vertrauenswürdigkeit und politischer Aufrichtigkeit zu.

Ein Zurückdrängen der aggressiven Selbstsucht von einigen wenigen zig-Tausenden in der gesellschaftlichen Lebenswirklichkeit ist eine ganz wesentliche Voraussetzung dafür, dass Arbeitslosigkeit wirksam bekämpft werden und Arbeit für alle geschaffen werden kann. Die Zeit ist reif für einschneidende Veränderungen ! Die neoliberale Ordnung ist ein Menschheitsuntergangs- system. Wer es gut mit dem Menschen meint, muß sie radikal in Frage stellen. Wir brauchen auf politisch-praktischem und wirtschaftlich-ethischem Gebiet eine radikale Überwindung der Irrwege des entfesselten Kapitalismus. Notwendig ist ein gesellschaftspolitischer Paradigmenwechsel, dessen wesentliche „Änderungen auf der Linie einer entschiedenen Überzeugung vom Primat der Person über die Sache, der menschlichen Arbeit über das Kapital“/23/ liegen .

 

Wie könnte eine Ökonomie der lebendigen Arbeit aussehen, in der die Würde des einzelnen einher geht mit der Stärkung des Gemeinwohls ?

 

„Auch in Zukunft wird die Gesellschaft dadurch geprägt sein, daß die Erwerbsarbeit für die meisten Menschen den bei weitem wichtigsten Zugang zu eigener Lebensvorsorge und zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben schafft. In einer solchen Gesellschaft wird der Anspruch der Menschen auf Lebens-, Entfaltungs- und Beteiligungschancen zu einem Menschenrecht auf Arbeit.“ Die Verantwortlichen in der Wirtschafts-, Arbeitsmarkt, Tarif- und Sozialpolitik sind verpflichtet, „größtmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um die Beteiligung an der Erwerbsarbeit zu gewährleisten...“/24/. Wenn es darum geht, gesellschaftliche Irrwege abzubrechen, den sozialen Frieden neu zu gründen und stabil zu sichern – und um nichts anderes geht es letztlich bei unserem Thema - , wenn es also darum geht, „das menschliche Leben menschlicher zu machen, dann bekommt gerade dieser Schlüssel, die menschliche Arbeit, eine grundlegende und entscheidende Bedeutung.“/ 25/

Die Menschenwürde verlangt, dass „der arbeitende Mensch“ nicht mehr „Wirtschaftsuntertan“ sei, sondern „daß er zum Wirtschaftsbürger“ werden muß /26/.  Eine Ökonomie der lebendigen Arbeit geht aus von einem Menschen , der nicht Diener, Lakai, Knecht irgendwelcher fremder Interessen ist, sondern gleichberechtigtes Gemeindemitglied, Mitmensch, Citoyen im Sinne der Französischen Revolution. Von Immanuel Kant ist uns der Gedanke überliefert, dass die Würde des Menschen mit seiner Autonomie, seiner Selbstbestimmung verbunden ist. In einer Ökonomie der lebendigen Arbeit spielt die ethische Bedeutung der Arbeit eine unersetzbare Rolle. „Die Arbeit ist ein Gut für den Menschen – für sein Mensch-sein -, weil er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpaßt, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja  gewissermaßen ‚mehr Mensch wird‘.“/27/ Unabdingbare Voraussetzung für seine Selbstbestimmung in der Gegenwart ist, dass der Mensch von bezahlter Arbeit leben kann. In einer wirklich sozialen Marktwirtschaft wird das nicht nur die wertschaffende Arbeit sein. Es werden sich durch eine Ökonomie der lebendigen Arbeit viel reichhaltigere und ganz andere Formen der Arbeit entwickeln, bei denen sich die handelnden Individuen in ihrer Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung wiedererkennen, z.B. weil sie Verantwortungsvolles tun für die Gemeinschaft ist. Öffentlich geförderte Beschäftigung (ÖBS) und Gemeinwohlorientierte Arbeitsförderprojekte (GAP)  könnten sich eines Tages als erste schüchterne und unvollkommene, aber zugleich auch sehr ernsthafte Versuche herausstellen, in einem Bundesland Vorformen und Spurenelemente einer Ökonomie der lebendigen Arbeit zu schaffen. 

 

4.                  Zwölf praktisch-politische Schritte zu einer Ökonomie der lebendigen Arbeit

[ Die Gesellschaft findet nun einmal nicht ihr Gleichgewicht, bis sie sich um die Sonne der Arbeit dreht. Karl Marx, Ökonom und Philosoph, London 1867 ]

 

1) Von einem Paradigmen – Wechsel, wonach Wirtschaftspolitik künftig nicht so zu verstehen und zu betreiben ist , dass für bestimmte Wirtschaftsinteressen Politik gemacht wird, sondern so, dass sich wirtschaftliches Handeln an politisch definierten Zielstellungen ausrichten muss , war schon die Rede. Ohne dass eine zentralistische Staatsbürokratie in Gang gesetzt wird, muß es in politischer Auseinandersetzung erreicht werden, dass letztlich nicht mehr das Kapital und seine Selbstverwertung Ausgangs- und Endpunkt, treibendes Motiv und letzter Zweck der Produktion ist, sondern der Mensch und die Mittel für den Lebensprozeß der Gesellschaft. Zuerst ist diesbezüglich zu verhindern , dass die Unternehmer jedes Jahr von der Bundesregierung de facto vor die Frage gestellt werden: Wollen wir etwa die Hälfte unserer Profite ersatzlos an den lieben Staat abführen oder wollen wir lieber die ganze Knete für uns behalten ? Jeder weiß, wie sie sich entscheiden ! Alles behalten, viel spekulativ anlegen, rationalisieren, entlassen – und dann nach neuen Subventionen für die Bereitstellung neuer Arbeitsplätze rufen. „Das bisweilen scheue Reh zur Krippe führen, dem Ungeheuer Beute versprechen, kurz :  das Gewinnstreben hofieren – wer sich darauf beschränkt begibt sich in eine selbst verschuldete Abhängigkeit von äußeren Umständen, die er nicht kontrollieren kann. Nur den Boden zu bereiten und auf den eigenen kreativen Auftritt ganz und gar zu verzichten, reicht nicht. Schon gar nicht für einen SPD-Politiker in einem Land, das sich zwar von Solidarprinzipien entfernt, aber sie nicht in Gänze aufgeben will und das im Interesse gesellschaftlicher Stabilität auch gar nicht kann.“ /28/ Ein finanz- und rechtspolitisch handlungsfähiger Staat muss statt dem unbegrenzten Gewinnstreben zu huldigen, die Dienstleistungen schützen und stützen, die zwar betriebswirtschaftlich nicht marktfähig, aber volkswirtschaftlich unumgänglich notwendig sind. Es geht um nicht mehr als um die Wiedergewinnung der politischen Steuerung der Wirtschaft. Aber auch nicht um weniger !

 

2) Durch politische Entscheidungen ist die Entwicklung zu beenden, dass auf der einen Seite die Arbeitsproduktivität, die Gewinne und die Aktienkurse steigen und auf der anderen Seite die Verschuldungs- und Verarmungstendenz zu- und die Arbeitslosigkeit nicht entscheidend abnimmt. Wenn Politik das dennoch weiterhin zuläßt, dann verhält sie sich letztendlich wie die Ärzte im Mittelalter, die den schwindsüchtigen Patienten erst durch fortgesetztes Schröpfen ausbluteten und danach in den Akten traurig und erstaunt registrierten, der Patient sei leider und völlig überraschend gestorben. Nur wenn wir uns (weiterhin?) wie mittelalterliche Wunderärzte verhalten wollen, müssen wir weiterhin zulassen , dass es unverschämten Reichtum und verschämte Armut gibt , dass mit dem Wachstum des Privatvermögens zunehmender politischer Einfluss verbunden wird und so demokratische Institutionen ausgehebelt werden. Denn bei diesen Ärzten erlaubte bekanntlich nicht einmal der Tod des Patienten einen Zweifel an der Richtigkeit ihrer Diagnose und Therapie.

 

3) Wer das nicht will, wem es um die schrittweise Entwicklung einer Ökonomie der lebendigen Arbeit und also um die wirk- liche Zurückdrängung von Arbeitslosigkeit geht, der wird nicht umhin kommen , ganz nachdrücklich vermeintliche (und tat- sächliche !)  Sachzwänge zu hinterfragen, weil sie menschlichen Ansprüchen widersprechen. Ihre Anerkennung bedeutet nämlich die freiwillige Unterwerfung der Politiker/innen unter sozial blinde Mächte der Finanzlogik und ist Verrat an der Ver- antwortlichkeit des Politikers .Sowohl für Kriminalpolizisten als auch für Politiker/innen muss die alte Frage „Cui bono?“ erkenntnis- und entscheidungsleitend sein. Denn damit entdeckt man die hinter „Sachzwängen“ stehenden Interessenkon- stellationen . So kommen Alternativen in den Blick, z.B. Finanzspielräume umzuverteilen, juristische Vorfestlegungen in Frage zu stellen und zu ändern, ideologische und traditio-nelle Blockaden zu erkennen und zu beseitigen. Wenn sie ernsthaft eine Öko- nomie der lebendigen Arbeit wollen, dann müssen Linke unter Atheisten und Christen – auch und nicht zu-letzt ! – dafür sorgen, dass die Argumente der Kapitallogik a priori als verdächtig, weil men-schen(rechts)feindlich erkannt und bewertet werden. 


Gesellschaftsentwicklung ist bekanntlich immer offen. Zu jeder Entscheidung gibt es immer Alternativen. Politik ist in ihrem Wesen darin gegründet, in Alternativen zu denken. Sonst ist sie ( bzw. macht sich! ) überflüssig. Kreativ ist Politik , wenn sie „Sachzwänge“ enthüllt, vor-handene Widersprüche benennt und Ideen entwickelt, die vorwärtsweisende Lösungen ermöglichen . Linke brauchen den Vorwurf der Konservativen  „Die Linken wollen die Gesellschaft verändern !“ nicht beachten. Denn die, die so rufen, verändern sie seit langem immer wieder zu ihren Gunsten. Konservative Politik sagt z.B. Freiheit, Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Gemeinsinn. Aber sie meint z.B. Lohnnebenkosten, Dosenpfand, Körperschaftssteuer, Zinssatz und Abschie- bung. Was meinen Linke, wenn sie Freiheit, Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Gemeinsinn sagen ?

Ohne behaupten zu wollen, es gäbe eine Art „Königsweg“ für die Vermenschlichung des gesellschaftlichen Zusammenlebens, kluge, realisierbare Vorschläge gibt es schon ! Das Kämpfen der Linken um eine alternative gesellschaftliche Entwicklung könnte z.B. beinhalten: „Aufgabe einer zurückhaltenden Lohnpolitik und die Stärkung der Arbeitseinkommen; Heranziehen der Kapital- und Vermögenseinkommen zur Finanzierung des Systems sozialer Si-cherheit (Rente, Gesundheit, Arbeitslosigkeit) und der öffentlichen Angelegenheiten. Ausbau der innerbetrieblichen Rechte in Richtung einer wirksamen Unternehmens- verfassung mit anerkannnten Beteiligungsrechten der Beschäftigten und der Gewerkschaften. Gesellschaftliche Steuerung und Kontrolle der gesamten Wertschöpfung über die Investitionsbewegung; Reorganisation von gesellschaftlichen Bereichen wie Wohnen, Bildung, Gesundheit und Kultur – auch nach genossenschaftlichen und gemeinwirtschaftlichen Grundsätzen.“/29/

 

4) Auch wenn’s ein wenig theatralisch klingt, es ist ein unumgängliches Erfordernis, sozusagen der richtige erste Schritt in die richtige Richtung, dem weitere Schritte folgen können und müssen :  Retten wir das Gemeinwohl als konstitutives Element der Bundesrepublik ! Und damit ist mehr gemeint als das sicher oft sehr verdienstvolle Engagement vieler Firmen für wohltätige Zwecke. Gemeinwohl im 21. Jahrhundert zu sichern, dass geht über betriebswirtschaftliches Sponsoring für eine gute Sache hinaus. Gemeint ist die radikale Korrektur der gegenwärtigen Schieflage ,die im Hinblick auf das Thema „Gemeinwohl“ insbesondere darin besteht, dass die Körperschaftssteuer (d.h. die Einkommenssteuer von GmbH und AG ) 2002 runde 2,5 % zum Aufkommen  an Gemeinschaftssteuern von Bund, Ländern und Gemeinden beiträgt, aber genau diese Unternehmen mit fast 90% die Nutznießer von Wirtschaftsfördergeldern des Bundes und der Länder sind. Die Sozialpflicht des Eigentums darf nicht auf eine Sponsoring nach Lust oder Laune des Unternehmens eingedampft werden. /30/ . Rettung des Gemeinwohls oder Versinken in der Barbarei – das ist die Alternative, deren Beginn wir schon hinter uns haben. Gemeinwohl sichern statt Barbarei weiter dulden – das ist die Aufgabe. Den Bau einer Gesellschaft anvisieren, in der alle Menschen (und auch die Natur !) ihren Platz haben anstatt menschliche Rohheit und gesellschaftliche Unkultur weiter steigern – das ist der Auftrag an die Politik.

 

5) Wirtschaftliche Freiheit darf künftig nicht mehr die Minimierung ( oder gar Eliminierung ) von Begrenzungen und die Maximierung ( oder gar Verabsolutierung ) von Freiräumen bein-halten, sondern die Gewährung individueller Selbstbestimmung ( Rechte / Erlaubnisse ) in Korrelation mit gemeinwohlorientierter Selbstbegrenzung ( Pflichten / Verbote) .Es geht bei wirtschaftlicher Freiheit also nicht um absolute Ungebundenheit ( das wäre Anarchie ), sondern um ein Sich-Selbst-Geben von Normen, Regeln und Gesetzen, in deren Mittelpunkt zwangsläufig nicht partikulare Interessen stehen können, sondern die Gemeinschafts- und Gemeinwohlinteressen  stehen müssen. Die schon an anderer Stelle genannte Veränderung der  Rechtsordnung muss z.B. gar nicht in irgendeiner Weise explizit „sozialistisch“ sein, sie muss im Grunde genommen „nur“ das seit der Französischen Revolution übliche Verständnis des Eigentums wieder zur Alltagspraxis des Rechts, der Gesetzgebung machen. Im Code Napoleon ( der wesentlichen Grundlage aller seither erschienenen Gesetzbücher, heißt es im Artikel 544: „Das Eigentum ist das vollkommen absolute Recht, Sachen zu nutzen und über sie zu verfügen, unter dem Vorbehalt, das man nicht einen Gebrauch davon macht, der durch Gesetze und Verordnungen verboten ist.“ /31/(Hervorhebung: P.K.)

 

6) Eine an der Gemeinwohlverpflichtung des Grundgesetzes orientierte Steuerpolitik braucht mindestens einen Zuwachs an Steuergerechtigkeit durch eine effektive Entlastung von Steuern im unteren Arbeitseinkommensbereich und die (schon von Schröder versprochene, aber nicht realisierte!) Wiedereinführung einer Vermögenssteuer (würde jährlich rund 7,5 bis 9 Milliarden Euro bringen). Weiterhin ist eine Börsenumsatzsteuer erforderlich, wir brauchen Rechtsvorschriften für eine Besteuerung von Gewinnen durch Spekulation und wir brauchen die Rücknahme der Steuerbefreiung bei Veräußerungsgewinnen von Aktiengesellschaften (würde jährlich rund 3 Milliarden Euro bringen) ebenso wie eine reformierte Erbschaftssteuer (würde jährlich rund 7,5 bis 10 Milliarden Euro bringen). Schon dadurch hat der Staat Mittel zur Verfügung, um Rahmenbedingungen für eine Ökonomie der lebendigen Arbeit finanzieren zu können.

 

7) Um sofort mit ersten finanzpolitischen und juristischen Schritten zur Inangriffnahme einer Ökonomie der lebendigen Arbeit, d.h., zur endgültigen Vermeidung von stets entwürdigender Arbeitslosigkeit, beginnen zu können, wäre es noch im Jahre 2002 möglich, Rückflüsse aus der Europäischen Union zu nutzen (ca.2,3 Milliarden Euro ), nicht verbrauchte Investmittel der Bahn zu verwenden (ca.400 Millionen Euro), Mittel aus der EU-Förderung der Grenzregionen zu verwenden (ca. 10 Millionen Euro ), die bei etwa einer halben Million Arbeitslosen eingesparten Lohnersatzleistungen der Bundesanstalt für Arbeit zu nutzen (ca. 2,5 Milliarden Euro ) sowie einen Teil der für die Währungsstabilität nicht mehr benötigten Goldreserven der Deutschen Bundesbank zu nutzen (ca. 36 Milliarden Euro  )./32/ 

 

8) Das alles sind zugleich Schritte zu mehr sozialer Gerechtigkeit. Soziale Gerechtigkeit muss in der kommenden Gesellschaft, basierend auf einer Ökonomie der lebendigen Arbeit,  den gleichen Stellenwert haben wie Wahrheit in Gedankensystemen. Das heißt , eine Gesellschaft muss und wird – bei Strafe ihres Untergangs -  geändert werden, wenn sie nicht ( oder nicht mehr) dem Anspruch der Gerechtigkeit entspricht.

Wahrheit und Gerechtigkeit dulden keine faulen Kompromisse.

Hauptgegenstand der sozialen Gerechtigkeit ist die Grundstruktur der Gesellschaft. Und zwar, weil ihre Wirkungen – für den einzelnen - tiefgreifend und von Anfang an vorhanden sind. Soziale Gerechtigkeit ist immer mit Situationen sozialer Ungleichheit – vom einzelnen erst einmal vorgefunden und insofern objektiv - verbunden, mit Zuständen also, in denen verfüg-bare Güter und Lebenschancen ungleich verteilt sind. Soziale Gerechtigkeit hat deshalb überhaupt nichts mit Gleichmacherei zu tun . Soziale Gerechtigkeit stellt sich vielmehr aus der Begründung und Akzeptanz oder der Beseitigung von Ungleichheiten her. Letztere sind z.B. dann durchaus erträglich, wenn sie von niemandem ausgenutzt werden können, um die Chancen anderer zu vernichten. Ja, genau genommen sind dann Ungleichheiten sogar ein Anreiz für den einzelnen. Soll die soziale Ungleichheit jedoch nicht – wie es z.B. in der Massenarbeitslosigkeit der Fall ist !-  in Unfreiheit, und Ausgrenzung umschlagen , dann ist ein ständiger innergesellschaftlicher Diskurs um die Minimalbedingungen für den Schutz der menschlichen Würde und die Sicherung des Gemeinwohls erforderlich. Wenn der nicht von den Linken initiiert wird, dann findet er garantiert nicht statt.

 

In erster Annäherung kann man deshalb ein Handeln von Politikern, Parteien, Regierungen  sozial gerecht nennen, das zuerst Interessenkonflikte ehrlich, realistisch, korrekt benennt und dann – was noch viel schwieriger ist – darauf sieht, um welche Interessen es sich handelt und nicht , um wessen Interessen. Und genau das war eben bei den bisherigen, erfolglosen Versuchen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht der Fall !

Das massenhafte Erleben sozialer Ungerechtigkeiten schlägt derzeit (noch!) nicht in Widerstand und sozialen Protest um, sondern („nur“) in wachsende Distanzierung vom Politik- und Parteiensystem. Das muss nicht so bleiben und rechte Nutznießer sind schon existent. Deshalb: Interessenkonflikte  unbeschönigt und unverzerrt benennen und auf dieser Grundlage sachlich und ausgewogen politisch entscheiden, dass Ungleichheiten begründet und akzeptiert oder aber beseitigt werden - das könnte bei der Zurückdrängung von Arbeitslosigkeit sehr hilfreich sein .Erst dann wird die Arbeitsmarktpolitik aufhören, das schmückende Alibi-Fähnchen an der Kanone des Panzerkreuzers „Wirtschaft“ zu sein.

 

9) Notwendig ist eine Stärkung der Binnennachfrage, denn sie schafft Arbeitsplätze. Nur damit ist letztlich Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Alles andere ist – wie schon gesagt- ein (mehr oder minder) kluges Verwalten der Arbeitslosigkeit, aber keine Lösung. Ankurblung der Binnennachfrage schließt Erweiterung der öffentlichen Investitionen für die Infrastruktur der Kommunen und den besseren Schutz der Umwelt ein.

 

10) Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für den Mittelstand und die Handwerksbetriebe, denn sie schaffen die meisten Arbeits- und Ausbildungsplätze. Zu solchen Rahmenbedingungen zählen u.a. rechtliche Regelungen zum Schutz vor schlechter Zahlungsmoral (auch öffentlicher Auftraggeber!!), niedrige Mehrwertsteuersätze für arbeitsintensive Handwerkerarbeiten, Steuerregelungen für Existenzgründer, die das junge Unternehmen stabilisieren.

 

11) Unverzichtbar für eine Ökonomie der lebendigen Arbeit ist ein solcher Abbau der Überstunden, der neue Arbeitsplätze schafft. Das geht zweifelsohne einher mit einer Arbeitszeitverkürzung, bei der jedoch nicht von vornherein auf Lohnausgleich verzichtet werden darf. Lohnverzicht der abhängig Beschäftigten wäre allenfalls denkbar, wenn die Unternehmen auf den Profit verzichten und nur noch Kostendeckung fordern, wenn die Großaktionäre sich mit ihrem Wertbesitz begnügen und auf Divi- dende verzichten, wenn die Banken nicht leichtsinnig, aber großzügig Kredite geben und auf Zinsen über 1,5 %  verzichten. Ist das nicht realisierbar, dann wird Lohnzurückhaltung ebenso wie die Ausdehnung eines Niedriglohnsektors  – wie bisher - nur dazu führen, die „da oben“ reicher zu machen, das Gemeinwohl zu schwä-chen und den gesellschaftspolitischen Niedergang zu beschleunigen.

 

12) Die Politik hat im Verein mit der Wirtschaft und begleitet von den Medien auf die Entwicklung einer Ökonomie der lebendigen Arbeit, d.h. auf die tatsächliche Zurückdrängung der Arbeitslosigkeit einen nachhaltigen und konkreten Einfluss.

Allgemein ist er daran meßbar, ob die Politiker, die Wirtschaftsführer , die Medienmächtigen mit ihren Entscheidungen Selbstbestimmung oder Ohnmacht der Menschen, ihre Teilhabe am oder Ausgrenzung vom gesellschaftlichen Reichtum (und das nicht nur in einem vordergrün-dig materiellen Sinne), Mündigkeit oder Einflusslosigkeit stärken. Konkret heißt das z.B. , die Einwirkung von Politikern, Wirtschaftsführern und Medienmächtigen zeigt sich daran, ob sie eine öffentliche Problemdebatte und –analyse auslösen, zulassen oder ob sie sie durch Werbung und „Blasenquatschen“ verhindern, vertreiben.

Im Detail ist der Einfluss in dreifacher Weise ablesbar. Zum einen am Grad der ganzheitlichen Realisierung der Menschen- rechte, also der individuellen Freiheitsrechte , der politischen Mitwirkungsrechte sowie der wirtschaftlich-sozialen und kul- turellen Grundrechte .Zum anderen am Ausmaß, mit dem die Wirtschaft als Selbstzweck oder als Mittel für gesellschaftliche Zwecke politisch geleitet wird ; sozusagen am Umfang , mit dem der Neoliberalismus geför-dert oder in soziale Bahnen gedrängt wird (was gleichbedeutend mit der Frage danach ist, welche Ökonomie dominiert, die der lebendigen Arbeit oder die des totalen Marktes ) und schließlich in der Art und Weise wie die Gewaltenteilung im Alltag funktioniert oder aufgehoben wird und die Medien demokratische Kontrolle der Macht oder das Gegenteil davon betreiben.

 

5.         Memento

[ Ich kann nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird; aber soviel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll.

Georg Christoph Lichtenberg , Schriftsteller und Physiker ,1778 ]

 

Die heute schon erkennbare, früher als gedacht noch schärfer sichtbar werdende Alternative bei der Lösung des gesellschaftspolitischen Skandals der Massenarbeitslosigkeit lautet m.E. : Entweder wir schaffen es, durch die schrittweise, aber auch energische Umstrukturierung unserer Wirtschaft hin zu einer Ökonomie der lebendigen Arbeit eine neue, sozial gerechte, le-benswerte und zukunftsfähige Gesellschaft allmählich und zugleich zielklar auf den Weg zu bringen oder wir schauen der Zerstörung der Natur und der sozialen Polarisierung und Ausgrenzung mit ihrem shareholder value (dem neuen Wort für die alte Profitgier) , mit ihren faschistoiden Wucherungen weiter zu, jeder karrieristisch-egoistisch damit beschäftigt, ja nicht selbst zu den Verlierern auf der Achterbahn des totalen Marktes zu gehören. “Damit aber ist die große vor uns liegende politische Auseinandersetzung im Kern eine kulturelle, bei der es darum geht, die Menschlichkeit gegen die drohende Barbarei eines entfesselten Kapitalismus und einer die Grenzen des Humanen sprengenden Wissenschaft und Technik zu behaupten.“ /33/

 

Sind damit verbundene Forderungen nun rückwärtsgewandte Träume oder kann man mit einer gewissen Berechtigung fordern, das eigene Handeln von solch einer Alternative leiten zu lassen  ? Ich glaube ja. Und zwar aus drei Gründen :

Zum einen : Es fehlt nicht an Kapital, nicht an Menschen, nicht an Rohstoffen, nicht an Technologien, nicht an Visionen. Noch fehlt „nur“ der politische Wille zum entschlossenen Handeln.

Zum anderen : Linke unter den Christen und Atheisten müssen doch von Politikern „nur“ fordern, dass sie beim Lösen eines wesentlichen Problems vieler Menschen, vieler Familien in der Gesellschaft ebenso klug und engagiert handeln, wie beim Kampf um die Macht oder besser: Noch klüger !

Und schließlich : Wir sollten uns in unsere eigenen Angelegenheiten immer wieder einmischen und uns „nur“ nicht gefallen lassen, was uns nicht gefällt.

Dreimal das Wörtchen „nur“ – ist das eine Überlegung wert oder begründet es Resignation ?

 

Neues ist, eben weil es neu ist, ungewohnt, d.h. nicht in Denk- oder Verhaltensgewohnheiten verfestigt. Neues widerspricht stets der herrschenden Denkweise und wird als Anomalie, seine Anhänger nicht selten als arme Irre bewertet. Das war beim Weltbild des Kopernikus ebenso wie beim Atommodell von Rutherford.  Das war so bei der Einführung der fordistisch -tay- loristischen Produktionsweise und es ist so beim Denkimpuls für eine Ökonomie der lebendigen Arbeit.

Letztlich gilt, wer keine Kraft zum Träumen hat, der hat auch keine zum Kämpfen. Linke unter den Christen und den Atheisten brauchen immer mal wieder Selbstermutigung über den Tag, die Legislaturperiode, die eigene Arbeitsaufgabe hinaus. Damit neue Möglichkeiten entstehen, muss immer wieder scheinbar Unmögliches in Angriff genommen werden.

 

Gibt es diese Kraft nicht, dann – das ist meine ernste und tiefe Sorge – werden die neoliberalen Schläge, die derzeit ‘nur‘ eine ‘Minderheit‘ von 4 Millionen Arbeitslosen treffen, sich in nicht allzu ferner Zeit gegen die ganze bundesdeutsche Gesellschaft richten.

Es ist nicht auszuschließen, dass die heute ausgegrenzten Minderheiten die Mehrheiten der nächsten Generation sind. Die Anzeichen sind da. Stichworte müssen genügen : Aushöhlung der Bürgerrechte nach dem Terroranschlag vom 11.9. 2001; Rentenprivatisierung ; Bundeswehr im Krieg ; Kollaps des Gesundheitssystems ; Planungen für den Bundeswehreinsatz im Inneren, d.h. Militarisierung der inneren Sicherheit ; Hormonkriminalität und Lebensmittelskandale ; Schwarzarbeit mit einem Volumen von 350,4 Mrd. Euro im Jahre 2002; Geheimdienste mit polizeilichen Befug-nissen ; PISA-Ergebnisse ; Stadtumbau, d.h. Wohnungsabriß Ost ; Ersparnis - Abzocke bei Millionen Telekom-Kleinaktionären synchron mit massiven Zuschlag für Millionengehälter des Vorstands ; der Berliner Banken-Skandal als neue Melodie zum alten Text : “Wärst Du nicht arm, wär ich nicht reich!“ ; die „innere Kündigung“ und Fluchtbewegung der Jugend im Osten, die finanzielle Strangulierung der Kom- munen.... 

 

Natürlich weiß ich wie jeder Leser, dass hier verschiedene einzelne Sachverhalte scheinbar willkürlich aufgezählt sind. Aber haben sie nicht alle eine allgemeine Ursache, die auch beim Thema „Arbeitslosigkeit“ sichtbar wurde ? Brauchen Linke nicht auch wieder mehr Mut zu einer realistischen Art von „Fundamentalismus“, anstatt  zu häufig nur über Maßnahmen und –„nähmchen“, über Reparaturen und –„türchen“ nachzudenken. Nur Leute, die der menschenverachtenden Arbeitslosigkeit richtig ablehnend gegenüber stehen, werden Entscheidungen und Methoden für eine Ökonomie der lebendigen Arbeit aufrichtig zustimmen und schrittweise in die Wege leiten können.

 

“Indem der Marxismus überhaupt nichts anderes ist als der Kampf gegen die kapitalistisch kulminierende Entmenschlichung...ergibt sich, dass echter Marxismus seinem ...Zielinhalt nach nichts anderes ist, sein kann, sein wird als Beförderung der Menschlichkeit .“

Ernst Bloch 1968


QUELLEN:

/1/ J. Strasser : Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes.

      Zürich, München 2001, S. 172

/2/ Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland

     und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland, Hannover und

     Bonn 1997, S.26

/3/ Allgemeine Erklärung der Menschenrechte; verabschiedet von der Generalversammlung der Vereinten

     Nationen am 10. Dezember 1948 ; Artikel  22 und 23 (1), (2), (3),

/4/ Enzyklika LABOREM EXCERCENS von Papst Johannes Paul II. In : Verlautbarungen des Apostolischen

      Stuhls Heft 32, vom 14. September 1981, S.36

/5/ Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, a.a.O., S.53

/6/ ebenda, S.52

/7/ J. Strasser : Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes.

      a.a.O. S. 191

/8/ M. Luther. Predigten, Jena 1927, S.422

/9/ K .Marx / F. Engels : Manifest der Kommunistischen Partei. In : Marx / Engels : Ausgewählte Schriften in zwei Bänden, Berlin 1968, Bd. I, S.28

/10/ Enzyklika LABOREM EXCERCENS, a.a.O.,  S.24

/11/ Vgl.: Süddeutsche Zeitung vom 12.3.2001

/12/ Globale Dumping-Stafette. Norbert Blüm zu Kolonialherren neuer Art und der Verwirtschaftung der Gesellschaft. In: Süddeutsche Zeitung , 21.03.2002

/13/ T. Peters : Der Innovationskreis. Ohne Wandel kein Wachstum – wer abbaut, verliert, München 2000,

       S. 129

/14/ H. Thie: Schröder in der Beschäftigungsfalle. In: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung, Nr. 3 / 2002

/15/ Bertolt Brecht: Schriften, Aufbau Verlag Berlin und Weimar 1973, S. 117f

/16  O. Lafontaine : Die Wut wächst. Politik braucht Perspektiven. München 2002, S.11

/17/ Enzyklika LABOREM EXCERCENS, a.a.O., S.16

/18/ M. Luther. An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung. In.  

        M. Luther : Die Hauptschriften, Berlin o. J., S.246

/19/ E. Eppler : Die Wiederkehr der Politik. Frankfurt a.M. 2000, S.116

/20/ Vgl.: M. Schwarzbach und T. Strohschneider: Heftige Diskussionen in der Gewerkschaft vor dem

        Leipziger Zukunftskongreß. In Neues Deutschland, 12.06.2002

/21/ Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, a.a.O., S.39

/22/ O. von Nell-Breuning: Baugesetze der Gesellschaft. Freiburg, Basel, Wien 1990, S. 64 f

/23/ Enzyklika LABOREM EXCERCENS, a.a.O., S.31

/24/ Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit, a.a.O.,, S.62

/25/ Enzyklika LABOREM EXCERCENS, a.a.O. , S.8

/26/ Vgl.: O. von Nell-Breuning : Baugesetze der Gesellschaft. a.a.O., S. 65

/27/ Enzyklika LABOREM EXCERCENS, a.a.O. , S. 21

/28/  H. Thie: Schröder in der Beschäftigungsfalle. In: Freitag. Die Ost-West-Wochenzeitung, Nr. 3 / 2002

/29/  J. Bischoff / S.Herkommer / H.Hüning : Unsere Klassengesellschaft. Hamburg 2002, S.228

/30/ Vgl.: Christa Luft : Gemeinwohl nur gesponsert. In. Neues Deutschland , 12.07.2002,

/31/A zitiert nach H. C. Biswanger : Dominium und Patrimonium – Eigentumsrechte und –pflichten unter dem

   Aspekt der Nachhaltigkeit. In: M. Held / H. G. Nutzinger  : Eigentumsrechte verpflichten. Frankfurt a.M 1998,

    S. 130  

/32/ Vgl.: Sofortmaßnahmen zum Abbau der Arbeitslosigkeit. PDS-Bundestagsfraktion, März 2002

/33/ J. Strasser : Leben oder Überleben. Wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes.

      a.a.O. S. 22